Ein fast verunglückter Konzertabend

Ein fast verunglückter Konzertabend

Petra reichte ihrer Mutter den Arm.
„Komm, Mama!“, sagte sie liebevoll.
„Ich will aber nicht in dieses blöde Konzert“, schimpfte die Mutter und verzog ihr Gesicht wie ein unartiges Kind. „Die können das alle nicht!“
Petra biss die Zähne zusammen. Ruhig bleiben, ermahnte sie sich selbst. Ganz ruhig bleiben und weiter gehen.
„Ach Mama“, bat sie leise. „Lass es uns doch einmal anhören! Vielleicht wird es ja ganz nett. Sie hatten doch auch viel Zeit zum Üben.“
„Wer noch üben muss, kann nichts“, knurrte ihre Mutter. Sie war heute wieder besonders schlecht gelaunt.
Petra hatte in den letzten Jahren gelernt zu schweigen. Sie schluckte eine Bemerkung runter und dort gelangte sie zu den anderen verschluckten Bemerkungen und irgendwann würde sie sicherlich Gallensteine oder Ähnliches haben von den runtergeschluckten Sorgen und Problemen. Sie seufzte innerlich. Eigentlich konnte es so nicht weitergehen. Ihre Mutter tyrannisierte sie und das schon seit Jahren und ganz ohne Einsicht. Reichte sie ihr einen Finger, so nahm sie die ganze Hand und meckerte trotzdem. Nichts war ihr gut genug und ihre Liebe schon gar nicht. Als Kind des Krieges kannte sie die Liebe nicht.
„Nach dem Konzert trinken wir noch irgendwo ein Gläschen Wein, bevor ich dich nach Hause bringe“, versuchte Petra der Mutter den Abend schmackhaft zu machen. Doch auch das war nicht richtig heute. „Ich vertrage keinen Wein momentan, ein Bier wäre mir lieber!“, sagte sie.
„Du hast noch nie Bier getrunken“, erinnerte Petra sie. „Das sei dir zu bitter und bei dem Geschmack würde dir übel werden.“
„Das stimmt doch gar nicht!“ Empört starrte ihre Mutter sie an. „Was du immer alles so sagst? Ich habe immer Bier getrunken und das hat mir sehr gutgetan.“ Ihre Stimme wird leidend. „Aber du gibst mir ja keines mehr.“
Die beiden Frauen waren am Konzerthaus angekommen. Petra wollte sich die Laune nicht verderben lassen, zu sehr hatte sie sich gefreut und eigentlich müsste es auch für ihre Mutter sehr schön sein. Diese hatte ihr Leben lang klassische Musik geliebt und auch selbst recht passabel Klavier gespielt.
„Jetzt lass uns erst einmal die Musik genießen“, sagte sie versöhnlich. „Sie spielen unter anderem Beethoven, die Mondscheinsonate, und die Polichinelle von Rachmaninov. Das Orchester soll wunderbar sein und der Pianist ist noch ganz jung. Die Mondscheinsonate hast du mir früher immer vorgespielt. Du warst brillant und ich konnte dir ewig zuhören. Ich habe es so geliebt. Weißt du noch?“
Die Gesichtszüge der Mutter hatten sich verändert. Viel weicher waren sie geworden, ja, sie strahlte mit einem Mal und drückte Petra dankbar den Arm.
„Danke, meine Liebe, dass du mich erinnerst und danke für diese warmen Worte, die meiner Seele so guttun!“, sagte sie.
Petra spürte, wir ihr Herz schneller schlug. Aus Rührung dieses Mal. Momente wie diese waren selten geworden und daher umso mehr zu wertzuschätzen und zu genießen.
„Danke, Mama“, sagte sie und ihre Stimme klang weich. „Danke, dass du da bist.“
„Ich bin auch froh, dass ich dich habe!“, sagte die Mutter.
Als die beiden Frauen nebeneinander im Konzertsaal der wunderbaren Musik lauschten, sah Petra, wie Tränen über das Gesicht ihrer Mutter liefen und auch sie kämpfte mit den Tränen – welch ein glücklicher Moment. Einer von denen, die sie nie vergessen würde.

© Regina Meier zu Verl

Hier liest die wunderbare Tanja Esche die Geschichte für euch vor! Danke, liebe Tanja @tanja.esche

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