Die Schnecken und die Sonne

Die Schnecken und die Sonne

Heidelinde kroch besonders langsam durch den Garten, im Schneckentempo eben und noch etwas langsamer. Sie war auf der Suche nach einem schönen Platz für einen Mittagsschlaf. Nicht zu schattig, aber auch nicht zu sonnig sollte er sein. Ihre Mutter hatte schon immer gesagt: „Meide die Mittagsonne, die tut uns Schnecken nicht so gut!“

„Eigentlich schade“, brummelte sie nun. „Die Sonne ist ein so nettes und hübsches Ding. Sie macht den Tag heller und alle freuen sich. Nur wir müssen sie meiden. Wirklich schade ist das.“

„Ach Heidelinde, du bist aber auch nie zufrieden!“, schimpfte Adelheid, ihre Freundin. „Du weißt doch, wie empfindlich unsere Haut ist, wie eine Baby-Haut nämlich und ein Baby würde man doch auch nicht der vollen Mittagssonne aussetzen, nicht wahr?“

Heidelinde seufzte.

 „Du hast ja recht. Nur, es wäre halt schön, die Sonne besser genießen zu können.“ Sie blickte zu der kleinen Wiese hinüber, die im prallen Sonnenlicht lag und wo reges Leben herrschte. Käfer brummten, Hummeln summten, Ameisen wuselten durchs Gras und Schmetterlinge tanzten ihre schönsten Tänze.

„Ach, wir schauen den anderen einfach zu bei ihrem lustigen Treiben. Das ist doch auch sehr schön. Weißt du, liebe Heidelinde, ich verrate dir etwas!“, sagte Adelheid und war ins Flüstern übergewechselt. Das klang geheimnisvoll und gespannt wartete Heidelinde darauf, was die Freundin ihr erzählen würde.

„Es ist so“, begann Adelheid. „Im Leben gibt es immer die, die etwas tun und dann die, die zuschauen. Wir sollten an den Tänzen der Insekten Freude haben und die bunten Schmetterlinge einfach bewundern. Sie alle sind großartig!“

Heidelinde nickte. Ja, das fand sie auch, dass alle großartig waren, aber … Sie zögerte, dann fuhr sie mit leiser Stimme fort:

„Aber es fühlt sich traurig an, abseits zu stehen und nur zusehen zu dürfen. So traurig, dass ich mich am liebsten in mein Schneckenhaus verkriechen und ein bisschen weinen möchte.

„Weinen?“ Adelheid war bestürzt. „Aber meine Gute. Alles hat seine zwei Seiten.“

Aber Heidelinde hatte sich schon zurückgezogen in ihr Schneckenhaus. Adelheid hörte ein leises Wimmern und weil ihr das so furchtbar leidtat, weinte sie gleich ein wenig mit.

Das hörte auch Fritz, der Grashüpfer.

„Was ist denn hier los? Großes Schneckenweinen?, fragte er besorgt.

Adelheid seufzte. „So kann man es nennen. Das Leben ist manchmal hart, besonders zu uns Schnecken.“

Das verstand Fritz nicht.

„Es ist doch schön so, wie es ist“, meinte er. „Und ihr habt es doch ganz besonders gut, könnt ihr euch doch in eure Ruhe zurückziehen, wenn euch danach ist. Wer sonst kann das schon?“ Er lachte. „Glaub nicht, dass der Lärm auf der Wiese immer angenehm ist!“

„Nicht?“, rief Adelheid erstaunt. „Ich stelle mir das einfach wunderbar vor, aber vielleicht stimmt es, manchmal braucht man seine Ruhe und wir Schnecken haben es da wirklich gut!“ 

„Sag ich doch!“ Fritz lachte und klopfte an Heidelindes Häuschen. „Hast du es gehört?“, fragte er.

Langsam, aber nur ganz langsam, kam Heidelinde aus ihrem Haus gekrochen. Ihre Augen waren ganz verweint, aber sie lächelte schon wieder ein bisschen.

„Ich hätte nur so gerne auch einmal ein Tänzchen gemacht“, flüsterte sie.

„Dann tanzen wir!“, rief Fritz. „Ich habe nämlich eine wundervolle Idee: Wir machen ein Tanzfest am Abend, wenn die Sonne den Tag verlassen hat und es kühler geworden ist. Ich werde gleich meine Freunde, die Grillen, um eine besonders schöne Grillenmusik bitten. Na, meine Damen, was haltet ihr davon?“

Die Schneckendamen waren begeistert und gleich war aller Kummer vergessen. Fritz hielt sein Versprechen und kümmerte sich um die Musik zum Tanz. Es wurde ein wunderbarer und fröhlicher Abend und ihr hättet mal Heidelinde und Adelheid beim langsamen Walzer sehen sollen. Das war einfach nur großartig! Ehrlich!

© Regina Meier zu Verl

Linus, das Bobbycar und Opa Baumann

Linus, das Bobbycar und Opa Baumann

Linus hat sein Bobbycar direkt neben Papas Auto geparkt. Er steigt ab, steckt die Hände in die Hosentaschen und betrachtet die beiden Fahrzeuge.
„Na, Linus, welches Auto gefällt dir besser?“, fragt Opa Baumann, der nebenan wohnt und gerade im Garten nach dem rechten schaut.
„Meins“, antwortet Linus. „Nein, das von Papa. Ist doch klar!“ Er überlegt und sieht den alten Nachbarn nachdenklich an.
„Nein, auch nicht“, meint er dann leise. „Dein Auto ist das Tollste. Weil es so alt ist und so toll rappelt, wenn der Motor läuft.“
Opa Baumann grinst und freut sich. Er liebt sein Auto und es macht ihn stolz, dass auch Linus erkannt hat, was für ein tolles Gefährt er besitzt. Trotzdem schmeichelt er dem Jungen: „Weißt du, Dein Auto, lieber Linus, ist aber das umweltfreundlichste von allen.“
„Um…welt…freund…lich?“, fragt Linus langsam und er denkt dabei über jede Silbe nach. Er hat das Wort schon oft gehört, aber so ein bisschen hat er lieber nicht hingehört. Es ist kein spannendes Wort und irgendwie auch langweilig und das sagt er gleich auch laut. Doch dann überlegt er: Freund ist drin in dem Wort, Freunde mag Linus. Und Welt ist ebenfalls drin. Die Welt ist schön, findet Linus. Ja, und spannend ist sie auch, die Welt! Ja, das gefällt ihm. Linus nickt.
„Das passt auch zu meinem Auto. Es ist das schönste auf der Welt und irgendwie ist es nun auch mein Freund.“ Er lacht. „Sag, Opa Baumann, ist dein Auto auch dein Freund?“
Opa Baumann nickt auch. „Aber so was von! Viel haben wir beide in vielen Jahren schon erlebt. Das kannst du mir glauben.“
„Erzähl doch mal!“, fordert Linus Opa Baumann auf. Der überlegt einen Moment, dann lächelt er und sagt eine Weile gar nichts. Linus stubst ihn an. „Na?“, fragt er ungeduldig.
„Ach so, ja, warte, wie fange ich denn an?“, fragt er grinsend.
„Am Anfang, Opa Baumann, immer am Anfang fängt man an!“
„Stimmt, du Schlaubär, einen Anfang braucht jede Geschichte, denn sonst könnte man sie nicht erzählen, nicht wahr?“ Opa Baumann nimmt die Mütze ab und kratzt sich erst einmal am Kopf. „Also, das war schon verrückt, denn eigentlich wollte ich kein Auto haben. Doch ein Auto schon, aber nicht diese Kiste. Sie war nämlich …“ Er lacht. „Rosa war sie. Mädchenrosa!“
„Iiiiiiigittigitt!“, kreischt Linus. „Mädchenrosa?“
„Ja, ganz ehrlich, aber ich habe schnell gehandelt und Abhilfe geschaffen. Später war er dann Grün, der Oskar!“
„Oskar? Heißt er so?“, Linus ist verwundert. Das hat er ja gar nicht gewusst!
„Klar! Grün kann nur Oskar heißen, denn Oskar ist auch grün“, sagt Opa Baumann.
Das versteht Linus gerade gar nicht. „Ein Oskar kann doch keine Farbe sein.“
„Doch! Oskar war mein Schmusetier, als ich so alt war wie du, und das war grün. Ein grüner Drache.“
„Verstehe! Und nun ist er nicht mehr grün, sondern blau – wie heißt er denn jetzt?“, will Linus wissen. Er streicht liebevoll über den Kotflügel des alten Autos.
„Gib du ihm einen Namen, irgendwann wird er ja dir gehören, mein Junge!“, sagt Opa Baumann. „Ich werde ihn gut pflegen und hegen, damit du noch viel Freude an ihm hast.“, verspricht er dem Jungen.
Linus springt vor Freude in die Luft. „Das ist toll!“, ruft er. „Ich bekomme einen uralten Mercedes und er wird blau bleiben und er wird Opa Baumann heißen!“
Opa Baumann lacht. Das gefällt ihm und der Linus, der gefällt ihm sowieso, der wird schon gut auf sein altes Auto aufpassen. Ein bisschen Zeit hat er noch, bis er ihn fahren darf. Und dann … wird Opa Baumann seinen Führerschein vielleicht abgeben, aber so ganz genau weiß er das noch nicht!

© Regina Meier zu Verl

Oma Betty meditiert*

Oma Betty meditiert

„Oma, was machst du gerade?“, fragt Mila ihre Großmutter, die im Schneidersitz auf dem Teppich sitzt. Oma Betty öffnet kurz die Augen und lächelt.
„Ich meditiere!“, sagt sie leise.
„Ach so!“, sagt Mila. Sie überlegt eine Weile, dann startet sie einen neuen Versuch.
„Macht das Spaß, Oma, dieses Meditieren?“, fragt sie.
„Es tut gut!“, antwortet Oma. Mila betrachtet Omas Hände, die gefaltet auf ihrem Schoß liegen. Oma atmet ruhig ein und aus. Lustig klingt das Ausatmen, denn da pfeift immer so ein SSSS-Laut mit.
„Oma, warum machst du das?“ Mila hält ihr Ohr nahe an Omas Mund und lauscht.
„Das ist bewusstes Ausatmen, Mila. Versuch es doch auch einmal! Atme durch die Nase ein und dann durch den Mund auf SSS wieder aus!“, schlägt Oma vor.
Mila setzt sich ebenfalls in den Schneidersitz, faltet ihre Hände und atmet bewusst durch die Nase ein und durch den Mund auf SSS wieder aus.
„Ich merke nichts, Oma!“, kichert sie.
„Was solltest du denn merken?“, fragt Oma und öffnet die Augen wieder kurz.
„Na, dass es was mit mir macht. Mir geht’s wie eben, nicht besser und nicht schlechter!“, erklärt Mila.
„Man muss geduldig sein, Mila und regelmäßig üben!“
„Aber ich kann schon ganz lange atmen, Oma, das muss ich doch nicht üben. Jedes Kind kann das!“, meint Mila.
„Es geht nicht nur ums Atmen, es geht darum zur Ruhe zu kommen, den Geist zu erfrischen und auf die innere Stimme zu hören.“ Oma hat eine Engelsgeduld, auch wenn sie sich ein wenig gestört fühlt im Moment. Mila versucht es noch einmal. Fast zwei Minuten lange schafft sie es ganz still zu sein, dann springt sie auf.
„Oma, jetzt hat sie mit mir gesprochen!“, ruft sie fröhlich.
„Wer?“, fragt Oma.
„Die innere Stimme, sie hat geknurrt und gesagt: Mila, du hast Hunger! Was sagte deine Stimme, Oma?“
Oma lauscht, dann lacht sie laut auf.
„Meine innere Stimme sagt: Betty, steh auf und mach dem Kind ein Butterbrot!“
„Meditieren ist toll, Oma!“, sagt Mila und hüpft in die Küche. Morgen wird sie wieder mit Oma meditieren, ganz bestimmt!“

© Regina Meier zu Verl

Prinzessin Robert und ihre Prinzen

Prinzessin Robert und ihre Prinzen

Am Rosenmontag sollte in diesem Jahr ein Schulfest stattfinden.
„Lasst uns ein schönes buntes Fest feiern!“, hatte der Schulleiter in seiner Einladung geschrieben und darum gebeten, dass jedes Kind kostümiert zur Schule kommen sollte.
Die Eltern sollten für das leibliche Wohl sorgen und die Band der älteren Schüler würde für die Musik zuständig sein.
„Liebe Eltern!“, stand am Ende der Einladung. „Wir würden uns alle auch sehr freuen, wenn auch Sie sich kostümieren könnten. Schön wäre es auch, wenn sich einige Freiwillige finden würden, die uns helfen, den Saal zu schmücken. Es soll für die Kinder ein unvergessenes Fest werden, frei von all den Problemen unserer Zeit für ein paar Stunden. Ein kleiner Urlaub für unser aller Seelen. Bitte geben Sie Bescheid, ob wir mit Ihrer Mithilfe rechnen können.“
„Er hat recht!“, sagte Miras Vater Robert. „Wir sollten alle mal die Probleme für ein paar Stunden vergessen. Eine richtig gute Idee ist das!“
„Stimmt!“ Auch Miras Mutter fand die Idee richtig gut und schon überlegte sie, welche Kostüme es geben könnte. Auf dem Dachboden stand eine große Verkleidungskiste, mit deren Hilfe man vier Familien einkleiden könnte.
„Ich gehe als Prinzessin!“, verkündete Mira. „Haben wir so ein Kostüm?“
„Mehrere. Schau hier!“ Sie deutete auf einen alten Reisekoffer, mit dem die Urgroßeltern schon viele Reisen gemacht hatten. „Es sind alte Kostüme, die wir, meine drei Brüder und ich, ein paar Jahre lang immer wieder getragen haben.“
„Wir könnten alle drei diese Kostüme tragen, dann passen wir schön zusammen!“, fand Mama und das gefiel allen ganz gut.
„Nein“, entscheidet sich Mira schnell. „Wir machen es anders. Wir gehen als Prinzen, du und ich, Mama – und Papa ist die Prinzessin. Hurra! Das wird ein Spaß!“
Papa schaute ein wenig bedröppelt aus der Wäsche, so richtig gut gefiel ihm der Vorschlag nicht, aber seine beiden Frauen strahlten so, da mochte er ihnen den Spaß nicht verderben.
„Also gut!“, meinte er und fügte sie in sein Schicksal.
„Und was mache ich so als … Prinzessin“, fragte er und er klang wirklich gar nicht glücklich.
„Lächeln!“, sagte Mama.
„Lachen!“, rief Mira.
Und Papa lächelte und lachte gern, doch das konnte nicht alles sein, deshalb fragte er nach:
„Aber ich muss doch etwas tun als Prinzessin, außer schön zu sein und zu lächeln!“, sagte er.
„Stimmt!“, antwortete Mama. „Du musst den Prinzen sagen, was sie zu tun haben. Das können Frauen nämlich besser!“
Papa schluckte, fast wollte er sich schon ärgern, aber dann lächelte er und flüsterte Mama etwas ins Ohr, was Mira nicht verstanden hat.
Und Mama flüsterte zurück. Mira konnte wieder kein Wort verstehen.
„Versucht nicht, euch zu drücken!“, sagte sie lauter als beabsichtigt. Dann schnappte sie sich die Kostüme und stieg die Speicherleiter wieder hinab. „Wir sollten die nun anprobieren, ob sie passen! Kommt ihr?“
Kurze Zeit später standen alle drei in ihren Kostümen da. Mamas Brüder waren groß und schlank gewesen, so dass Mira und Mama kein Problem hatten mit den Größen. Papa allerdings passte das Prinzessinnenkleid nicht, eigentlich klar, oder? Aber all das Zubehör, Krone und Schmuck und noch so allerlei schmückendes Beiwerk war vorhanden, fehlte nur noch ein hübsches Kleid und das würde Mama schon irgendwie zaubern, denn sie war nicht nur ein Prinz, sondern auch eine Zauberin! Ehrlich!
Und eine Zauberin war sie auch dieses Mal. Großartig sah Papa aus, als Mama mit ihm fertig war. Fast wie eine echte Prinzessin. Nur das Gesicht passte nicht ganz dazu, denn es sah, irgendwie, leidend aus. Aber das gab sich dann auch, als sie beim Schulfest angekommen waren und am Ende sogar noch einen Preis für ihre Familienkostümierung erhielten.

© Regina Meier zu Verl

Sterne am Birnbaum

Heute haben Nora und ich besprochen, dass wir gemeinsam eine Geschichte schreiben möchten. Nora hat das Thema vorgegeben und ich habe geschrieben. Nora ist ja erst 3,5 Jahre alt, die Fantasie funktioniert, aber mit dem Schreiben müssen wir noch ein wenig warten (glücklicherweise)

Sterne am Birnbaum
„Ich wünsche mir, dass auf dem Birnbaum Sterne wachsen!“, sagt Nora zu Oma. Die beiden machen während einer Regenpause einen Spaziergang durch den Garten und Oma erklärt, was für Bäume und Sträucher sich da finden. Noch ist alles kahl, aber schön bald werden die Forsythien und Magnolien blühen und auch die Obstbäume werden nach und nach voller Blüten sein.
„Ach, das wird schön!“, seufzt Oma und kann es kaum noch erwarten. Auch Nora freut sich auf den Frühling, wenn sie endlich wieder im Garten herumtollen darf und die Sonne sie wärmt.
„Oma, was wird schön? Wenn Sterne auf dem Birnbaum wachsen? Meinst du, das könnte klappen, wenn ich es mir ganz fest wünsche?“, fragt Nora.
„Wenn man sich etwas ganz fest wünscht, dann kann es sein, dass es in Erfüllung geht“, meint Oma. „Aber manchmal funktioniert es auch nicht! Warum wünschst du dir Sterne am Birnbaum?“, will Oma jetzt wissen.
Als sie keine Antwort bekommt, fragt Oma weiter: „Möchtest du diese Sterne auch essen, oder sollen sie einfach nur leuchten wie die Sterne am Himmel?“
„Sie sollen im Garten Licht machen, ich mag es doch nicht so, wenn es dunkel ist. Und ab und zu könnte man mal einen essen. Die schmecken dann sicher lecker!“, sagt Nora und reibt sich ihren kleinen Bauch.
„Warten wir einfach mal ab. Zuerst muss der Baum blühen und die Bienen müssen kommen und die Blüten bestäuben und dann können die Früchte wachsen. Das alles dauert noch bis zum Spätsommer. Vorher dürfen wir uns aber schon auf Kirschen und Frühäpfel freuen“, schwärmt Oma und sie hat auch schon eine Idee, wie demnächst Sterne auf dem Birnbaum wachsen könnten, aber zuerst … ihr wisst schon: zuerst müssen wir geduldig auf die Blüte warten.
Bis zum Spätsommer möchtet ihr nicht warten? Verstehe ich, deshalb verrate ich Omas Gedanken. Also, zuerst wird Oma mit Nora geduldig auf die Blüte warten und die Bienen beobachten und dann wird sie sehen, wie winzig kleine Birnen heranwachsen und wenn sie dann feststellt, dass keine Sterne dabei sind, obwohl sie es sich doch ganz fest gewünscht hat, dann wird sie nachhelfen – aber nur dann. Wie? Sie wird eine Lichterkette in den Baum hängen, eine mit Sternen natürlich, die kann man zwar nicht essen, aber das Problem mit der Dunkelheit wird sie lösen. Genial, oder?

© Nora & Regina Meier zu Verl

Von Meisen und Mäusen

Von Meisen und Mäusen

„Blaumeisen und Kohlmeisen sind auf jeden Fall täglich da, auch mehrere Rotkehlchen kommen immer wieder und die frechen Spatzen sowieso!“, erzählt Oma, die nichts mehr liebt, als vom Esszimmerfenster aus die Besucher auf ihrer Terrasse zu beobachten.
„Und die großen dicken da vorn, was sind das für Vögel?“, will Lio wissen und klopft an die Scheibe. Im Nu sind alle gefiederten Freunde verschwunden.
„Hey, du darfst sie nicht stören beim Fressen, sie haben doch Angst vor uns!“, schimpft Oma.
„Oh, das wollte ich nicht!“, sagt Lio schuldbewusst.
„Die Großen, das sind Drosseln“, erklärt Oma. „Die schaffen es nicht, an die Meisenknödel zu kommen und auch das kleine Futterhäuschen ist für sie schlecht zu erreichen, deshalb streue ich für sie immer ein wenig Futter auf den Schnee. Das darf aber der Opa nicht sehen, dann schimpft er mit mir!“, erzählt Oma und lacht.
„Warum das denn?“, will Lio wissen.
„Weil er sagt, dass ich die Mäuse damit anlocke und wenn sich dann mal eine im Haus verirrt, dann ist das meine Schuld, behauptet Opa.“
Nun muss auch Lio lachen. „Das ist doch Quatsch. Hast du schonmal in Opas Pferdestall geguckt? Da wohnen unzählig viele Mäuse, die fressen alles, was sie kriegen können, die kleinen Schelme!“
„Und die verirren sich natürlich nicht im Haus, die hat Opa erzogen, nicht wahr?“ Oma lacht zwar noch, aber ein bisschen ärgerlich wird sie nun doch.
„Na warte, mein Lieber!“, sagt sie drohend und meint damit nicht den Lio.
„Aber verrate nicht, dass ich dir das erzählt habe!“, bitte Lio.
„Ach was, das wusste ich doch längst“, sagt Oma. „Hast du Lust, eine Runde mit mir spazieren zu gehen?“, fragt sie und da ist Lio sofort dabei. Schnell ziehen die beiden ihre Winterstiefel, die dicken Jacken und Handschuhe an und Omas selbstgestrickte Mützen wärmen die Ohren.
„Was hast du im Sinn, Oma?“, fragt Lio, der seine Oma ganz schön gut kennt. Wenn sie freiwillig rausgeht, ohne im Garten zu arbeiten, was ja jetzt im Winter nicht möglich ist, dann braucht sie die frische Luft als Treibstoff für ihren Kopf. So hat sie ihm das einmal erklärt und oft entstehen dann nach den Spaziergängen Geschichten.
„Na, was werde ich wohl im Sinn haben?“ Oma lacht. „Eine Geschichte!“
Lio strahlt. Er mag Omas Geschichten sehr und meist ist er der Erste, der sie hören oder lesen darf.
„Worum geht’s diesmal?“, fragt er neugierig.
„Rate!“ Oma grinst, kein Anflug mehr von schlechter Laune.
„Geht’s um die Vögel auf der Terrasse?“
„Nein, die habe ich schon so oft für meine Geschichten verwendet!“
„Geht’s um Opa?“
„Nur ein bisschen, auf jeden Fall wird es eine Geschichte werden, die Opa zu denken geben wird – oder die ihn ärgert, je nachdem!“
„Du machst es aber spannend!“ Jetzt möchte Lio doch gern wissen, was Opa ärgern könnte, ob Oma ihn doch verraten würde. Nein, das sah ihr gar nicht ähnlich, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie etwas versprochen hatte. Auf Oma war Verlass, immer.
Eine Weile schweigen beide. Dann sagt Oma: „Die Geschichte der Terrassen- und Stallmäuse! Das ist der Titel, damit du weißt, um was es geht und nun hilf mir beim Denken!“, fordert sie Lio auf und der schnattert auch sofort los.
„Es waren einmal ein paar Terrassenmäuse und viele, viele Stallmäuse…“

© Regina Meier zu Verl

Das kannst du nicht

Das kannst du nicht

Mucksmäuschenstill wurde es, als sich Esther erhob und in die Mitte des Raumes stellte. Sie blickte kurz in die Runde, lächelte und schlug ihr Buch auf und begann zu lesen:
„Ich lese ein Kapitel aus meinen Kindheitserinnerungen.
Es war ein paar Tage nach meinem sechsten Geburtstag. Ich hatte von meinen Eltern ein Fahrrad bekommen, konnte aber noch nicht fahren. Wie auch? Ohne Fahrrad war das eben unmöglich gewesen. Heute fangen die Kinder mit Laufrädern an, oder mit dem Dreirad. Meist können sie dann schon fahren und benötigen auch keine Stützräder mehr, wenn sie ein „richtiges“ Fahrrad bekommen.
Für mich war es schwer, das Fahren zu erlernen, denn ich war von jeher ein ängstliches Kind gewesen. Geschürt durch die Ängste meiner Mutter traute ich mir nichts zu. Aber ich war ehrgeizig, und das in jeder Beziehung, sogar beim Fahrradfahren.“
Esther hielt kurz inne und schaute in die Runde. Sie entdeckte kein bekanntes Gesicht, was nicht ungewöhnlich war, denn sie war heute in einer für sie völlig fremden Stadt. Wenn sie daheim Lesungen hielt, dann kamen oft die gleichen Zuhörer, was angenehm war und doch wieder nicht. Stets zweifelte Esther nämlich, ob sich jemand auf den Schlips getreten fühlte, wenn sie wahre Geschichten erzählte und so vermied sie, zu Hause aus ihren Kindheitserinnerungen vorzulesen. Bei diesem ersten Absatz hätte sich ihre Mutter sicherlich geärgert. Sie hörte ihre Stimme: „Geschürt durch die Ängste meiner Mutter? Was soll das denn heißen? Habe ich nicht alles für dich getan?“
Esther räusperte sich und fuhr fort:
„Mutig stieg ich immer wieder auf, immer und immer wieder, und schaffte es nach einiger Zeit ein paar Meter zu fahren, sprang dann aber wieder vom Rad und blieb mit klopfendem Herzen daneben stehen. Mama gab Anweisungen vom Straßenrand aus. „Kind, fahr vorsichtig! Pass auf, da kommt ein Schlagloch, du musst es umfahren. Sitz doch nicht so verkrampft! Du musst nach vorn schauen!“
Ich weiß, dass Mama es gut meinte. Aber manchmal ist eben weniger mehr. Sie traute es mir nicht zu, dass ich es schaffen würde. Erst viel später habe ich verstanden, warum das so war. Sie selbst hatte als Kind kein Fahrrad gehabt, es waren Kriegszeiten und auch ihre Mutter, meine Großmutter, war eine eher ängstliche Person. Ihre eigenen Wünsche stellte sie stets hintenan und versuchte meinem Großvater alles recht zu machen. Der nutzte das aus, was ich allerdings als Kind nicht so gesehen habe. Ich liebte meinen Opa sehr und er hat ein sehr wichtiges Stück meiner Kindheit wunderschön bereichert und in mir die Liebe zur Literatur, der Musik und zur Natur erweckt. Jedenfalls glaube ich, dass er es war, denn in vielen Dingen finde ich mich wieder und noch heute denke ich sehr viel an ihn. Er traute mir alles zu und sagte niemals den Satz: Das kannst du nicht!“
Im Publikum bekam jemand einen Hustenanfall. Esther unterbrach ihren Vortrag für einen Moment, nahm einen Schluck Wasser und setzte erst wieder an zu erzählen, als sich die Dame wieder gefangen hatte. „Entschuldigen Sie!“, rief die Frau. Doch Esther wehrte ab. „Alles ist gut!“, sagte sie.
„Nein, ist es nicht!“, schluchzte die Frau und alle sahen sich erstaunt nach ihr um. Was war denn nur in sie gefahren? Jemand reichte ihr ein Taschentuch und ein Glas Wasser. Die Anwesenden murmelten leise. Esther war verunsichert. Sollte sie ihren Vortrag fortsetzen, so, als sei nichts gewesen? Innerlich entschied sie sich dagegen, aber sie war nicht sicher, was man nun von ihr erwartete. Eine derartige Situation hatte sie noch nicht erlebt. Allerdings blitzte ein kleiner Hoffnungsschimmer, die Lesung zu retten, in ihr auf, als sie spontan ihre Gitarre zur Hand nahm, sich auf den Barhocker setzte, den man für sie bereitgestellt hatte und ein paar leise Akkorde anschlug. Sofort wurde es wieder still. Esther spielte eine Weise, die sie auch zu Hause spielte, wenn sie sich beruhigen wollte. Das funktionierte eigentlich immer und auch die Zuhörer genossen die butterweiche Melodie und die perlenden Tonfolgen. Während sie spielte, beschloss sie, die Erinnerungsgeschichte vorsichtig wieder aufzunehmen, ließ aber die Stellen aus, die eine erneute Traurigkeit verursachen könnte.
„Ich komme nun zum Ende dieses Kapitels meiner Kindheitserinnerungen, damit wir uns einer anderen Geschichte widmen können. „Das kannst du nicht!“, war ein Satz in meiner Kindheit, den ich oft zu hören bekommen habe. Vielleicht war es gerade dieser Satz, der mich gestärkt hat, denn ich wollte allen beweisen, dass ich eben doch kann, was ich können möchte! Ich fiel hin und stand wieder auf, richtete meine Krone, wie man heute so treffend sagt und wurde zu der Frau, die ich heute bin. Und ja, ich kann sagen, dass ich eine glückliche Kindheit mir kleinen Hindernissen hatte. Doch es waren nur kleine Steine, die da im Weg lagen. Ich habe sie zur Seite gekickt und weitergemacht!“
Esther schlug ihr Buch zu und ihr erster Blick ging in Richtung der Frau, die noch vor ein paar Minuten vom Weinen geschüttelt wurde. Sie saß entspannt auf ihrem Stuhl und lächelte Esther an. Nach der Lesung kam sie zu ihr und bedankte sich für den Abend. „Ich kann das auch! Sie haben mir Mut gemacht!“, sagte sie und drückte Esther die Hand.

© Regina Meier zu Verl

Mira und das Weiß

Mira und das Weiß

„Ich spüre es im rechten dicken Zeh!“, sagt Oma, als Mira bei ihr zu Besuch ist. „Morgen wird es schneien!“
Mira hüpft vom Sofa und tanzt durch das Wohnzimmer. „Juchhu!“, ruft sie und springt wieder aufs Sofa, um Oma einen dicken Kuss zu geben.
„Ach ja!“ Oma seufzt und fasst sich ins Kreuz. „Eigentlich kann ich mich dieses Mal gar nicht auf Schnee freuen. Mein Ischias hat so gar keine Lust auf Spaziergänge im Schnee. Und wie ich mit diesen Schmerzen den Bürgersteig fegen soll, ist mir jetzt schon ein Rätsel.“
Mira lässt sich die Freude aber nicht verderben.
„Ach Oma, das mache ich dann einfach für dich, ist doch kein Problem. Und wenn ich es allein nicht schaffe, dann muss Opa mir eben helfen!“, schlägt sie vor.
„Soso!“, macht Oma nur und blickt zu Opa hinüber. Der sitzt wie fast immer im Winter vor seiner kleinen Staffelei und malt. Er malt den Winter. Und meist tut er dann so, als würde er nicht zuhören, wenn Oma oder MIra etwas sagen.
„Opa, sag du doch auch einmal etwas dazu!“, bittet Mira. Sie weiß aber schon jetzt, was Opa sagen wird, nämlich: Der Schnee bleibt liegen, bis ich ihn gemalt habe!
Und da spricht er es auch schon aus. „Was stört euch an dem wundervollen Weiß, das noch gar nicht da ist? Der Schnee bleibt liegen, bis ich ihn gemalt habe, Punkt!“, sagt er. „Also ich freue mich darauf und wie ihr wisst, ist Vorfreude die allerschönste Freude.“
„Aber Opa, Weiß ist doch eigentlich langweilig, findest du nicht? Ich mag Weiß nur, wenn es Schnee ist!“, meint Mira.
Hm! Darauf wissen die Großeltern nicht gleich etwas zu sagen.
„Du quengelst“, sagt Oma.
„Es gibt nicht nur ein Weiß“, brummt Opa. „Weiß hat viele Farben. Schneeweiß ist eine davon.“
„Hellweiß und Dunkelweiß?“, fragt Mira und kichert. “So wie Hellschwarz und Dunkelschwarz?“
„Das kommt der Sache schon näher.“ Opa brummt noch immer, freundlicher jetzt.
„Ich wette mit dir, dass du es nicht schaffst, mir zehn Beispiele mit verschiedenen Weißtönen zu zeigen. Schau dich um und suche das Weiß und das vergleichen wir dann mit dem Weiß der Schneeflocken. Morgen, wenn wir Glück haben und es schneien wird.“
Das gefällt Mira, sie sucht im Zimmer nach weißen Dingen und entdeckt zuerst Omas Strickzeug. „Da!“, ruft sie. „Das ist weiß, aber nicht schneeweiß! Es erinnert mich an Vanilleeis und das würde ich jetzt gerne essen. Oder Käsekuchen, der ist auch weiß. Gelbweiß. Und Sahnetorte. Und weiße Schokolade, Schaumküsse, Vanillesoße, Kokosriegel, Puderzucker, oh, hm, Weiß schmeckt lecker und jedes von ihnen sieht anders aus. Toll!“
„Jetzt habe ich Hunger bekommen!“, sagt Opa und wäscht seinen Pinsel aus. „Sollen wir mal eine kleine Kekspause machen?“, fragt er.
„Einverstanden!“, sagt Oma und legt ihr Strickzeug zur Seite. Mira holt die Keksdose aus der Küche und Oma setzt einen Kaffee auf. Als die drei dann gemütlich im Wohnzimmer sitzen, entdeckt Mira die erste Schneeflocke und es werden immer mehr.
„Da haben wir wohl den Schnee herbeigeredet!“, meint Opa und lacht.
Mia lacht auch. „Dann sind wir Schneezauberer! Ist das nicht toll?“

© Regina Meier zu Verl

Wer sucht, der findet

Wer sucht, der findet

Rechtzeitig, bevor der Frost kam, wurde im Stadtpark die kleine Wiese geflutet, auf der, wie in jedem Jahr, eine Eislauffläche für die Kinder entstehen sollte.
Anton und Nele hatten das beobachtet und in ihnen wuchs schon die Freude aufs Eislaufen. Prompt fror es in der nächsten Nacht und dann auch in den darauffolgenden Tagen und Nächten.
„Ich glaube, wir können schon mal unsere Schlittschuhe bereitstellen“, sagte Nele.
„Au ja. Wo sind sie denn?“ Anton schaute sich suchend um, so, als kämen ihm die Schlittschuhe jeden Moment entgegen.
„Auf dem Dachboden, glaube ich. Oder im Keller? Oder in der Garage oder … bei Opa?“, zählte Nele auf.
„Hm, dann mal los! Suchen wir sie!“, schlug Anton vor. Zuerst stiegen sie gemeinsam auf den Dachboden.
„Ui, ist das hier staubig!“, meinte Nele, als sie ein paar Kisten an die Seite geräumt hatten und der Staub in den Sonnenstrahlen, die in die Dachluke schien, tanzte!
„Staubig und kalt.“ Anton rieb sich die Hände. „Lass uns schnell suchen, ist so schweinekalt hier!“
„Schweinekalt?“, fragte Nele.
„Ja, das sagt man doch so!“, erwiderte Anton.
Sie suchten den ganzen Dachboden ab, lugten in alle Ecken, hoben alle Kisten und Koffer an, schauten in alte Schränke und fanden viele wunderbare Schätze. Nur die Schlittschuhe, die waren nicht da.
Weiter ging es im Keller. Nele musste sich überwinden, denn in den Keller ging sie eigentlich gar nicht gern. Gut war aber, dass Anton bei ihr war, dann fürchtete sie sich nicht so sehr und außerdem wollte sie unbedingt die Schlittschuhe finden. Aber wie es so ist mit Dingen, die man unbedingt sucht. Man ist sich so sicher, sie da oder dorthin gelegt zu haben, aber dann stimmte dieses Bild, das man im Kopf hatte, doch nicht. Und genauso erging es den Geschwistern nun. Im Keller nämlich waren die Schlittschuhe ebenfalls nicht.
Also, auf in die Garage – aber da war es lausig kalt, noch kälter als auf dem Dachboden. Also mummelten sich die beiden erstmal dick ein und dann machten sie sich auf die Suche. Die Hände waren schon ganz steif von der Kälte und die Nase gefror, jedenfalls fühlte es sich so an, als Anton ein Gedankenblitz traf. „Die Schlittschuhe sind doch im Keller!“, rief er freudig aus. „Jetzt weiß ich auch genau wo!“
Schnell rannten die Kinder ins Haus, hüpften die Kellertreppe hinunter. Anton öffnete die alte Gefriertruhe, die die Eltern abgeschaltet hatten, weil sie ein zu großer Stronmfresser war.
„Da hinein packen wir die Schlittschuhe. Das passt!“, hatte Mama gesagt, „Gefrierschrank und Eis und Schlittschuhe!“
Und da lagen sie auch, die Schlittschuhe. Aber nicht nur die. Noch weitere Pakete lagen darin, hübsch verpackt in buntes Weihnachtspapier.
Weihnachtspapier? Weihnachten war doch schon vorbei. Hm!
Sollten die Eltern die etwa vergessen haben? Komisch war das auf jeden Fall, so komisch, dass Mama laut lachte, als Anton und Nele ihr davon erzählten.
„Könnt ihr euch nicht an die Hektik am Tag vor Weihnachten erinnern, als Papa unbedingt noch etwas besorgen musste, weil Pakete verschwunden waren? Aber das könnt ihr ja nicht wissen!“ Mama lachte und lachte und am Abend, als Papa auch da war, machten sie nochmal eine kleine Nachweihnachtsbescherung, schön, dass der Baum noch stand!

© Regina Meier zu Verl

Claras Puppenstube

Claras Puppenstube

Zufrieden trat Steffen einen Schritt zurück, um sein Werk noch einmal mit gebührendem Abstand zu betrachten. Schön war die Puppenstube gelungen, die sich Carla so dringend zu Weihnachten wünschte. Seine Tochter hatte ihm genau beschrieben, wie ihr Wunsch aussah und er, Steffen, hatte sich bemüht, alles genauso umzusetzen. Eine Puppenstube, die anders war als die, die man kaufen konnte, sollte es sein. Und ganz wichtig: Nichts durfte rosa sein. Die Farbe mochte Carla nämlich nicht leiden. Außerdem sollte ein Platz für einen Esel vorhanden sein. Einen Esel? Steffen fand, dass diese Bedingung am schwersten umzusetzen war. Jedenfalls war ihm das so vorgekommen, doch dann hatte er die Idee gehabt, gleich einen ganzen Stall anzubauen, so wie es damals auch in seinem Zuhause war, auf dem Bauernhof vor langer Zeit.
»Eine Stube mit Stall!« Er grinste. »Das muss mir erst einmal jemand nachmachen.«
»Das ist nichts Neues, Junge!«, brummelte Urgroßvater Hinrich, der mit einem Buch neben ihn saß und las. »Auf dem Land hatte man das früher so. Ich habe das noch manchmal gesehen.«
»Was? Wohnen mit Stall?« Steffen staunte. Er stellte sich das nicht so angenehm vor und sicherlich hatte das doch gestunken!
»Klar, die Tiere haben die Deele mit ihren Körpern gewärmt, so dass im Winter die Kälte nicht in die Küchen kriechen konnte, die war nämlich meist direkt neben der Deele. Erinnerst du dich gar nicht mehr an unseren Hof, mein lieber Steffen?«
»Schon. Aber daran nicht.« Steffen zögerte. »Aber die Stube, die sehe ich noch genau vor mir. Gemütlich war sie und den großen Kamin habe ich über alles geliebt. Es war so kuschelig, so heimisch.« Er zögerte wieder und sagte dann leise: »Wenn mich jemand nach meiner Heimat fragt, so muss ich immer an die Geborgenheit auf dem alten Hof denken.“
Der Urgroßvater schmunzelte. »Daher ähnelt deine Puppenstube wohl ein bisschen unserer alten Deele, nicht wahr?«
Steffen nickte. »Weißt du was? Ich werde auch noch versuchen, ein paar Tiere zu finden. Irgendwo auf dem Dachboden ist sicher noch mein altes Holzspielzeug, ich schaue gleich einmal nach!«, verkündete er.
Der Urgroßvater klappte sein Buch zu und schloss die Augen. Es dauerte gar nicht lange, da war er eingeschlafen und jetzt könnt ihr euch sicherlich denken, wovon er träumte, oder? Richtig, er war ein Kind und befand sich auf dem Bauernhof. Gerade war ein Kälbchen geboren worden. Der Urgroßvater rieb es mit Stroh trocken und durfte ihm einen Namen geben. Wilhelm hatte er es taufen wollen. Das war der Name des letzten Kaisers und von dem hatte ihm sein Urgroßvater so oft und so viele Geschichten erzählt, dass der kleine Hinrich so unbedingt auch einen Wilhelm haben wollte. Aber alle Hofbewohner hatten die Nasen verzogen. Einen Kaiser Wilhelm wollten sie nicht auf dem Hof haben, nicht einmal im Kuhstall. Aber gelacht haben sie noch in der lange in der Familie, wenn sie von dem Willhelm-Kalb sprachen.
Mittlerweile war Steffen wieder vom Dachboden hinabgestiegen und wollte seine Ausbeute an Holztieren dem Urgroßvater zeigen. »Großvati, schläfst du?«, flüsterte er und legte seine Hand sanft auf die Schulter des alten Mannes.
»Nein, nein, ich ruhe nur ein wenig!«, sagte dieser.
»Schau, was ich gefunden habe!« Steffen zeigte einen Esel, ein Schaf und eine Kuh mit ihrem Kälbchen. Der Urgroßvater griff nach dem Kälbchen und schaute es mit Tränen in den Augen an. »Wollen wir es Wilhelm nennen?«, fragte er.
»Sicher, wenn du das möchtest, heißt es jetzt Wilhelm!«, sagte Steffen und als er die glücklichen Augen des alten Mannes sah, freute er sich schon darauf, wenn Carla und der Urgroßvati gemeinsam mit der Puppenstube spielen würden.

© Regina Meier zu Verl