Die Schnecken und die Sonne
Heidelinde kroch besonders langsam durch den Garten, im Schneckentempo eben und noch etwas langsamer. Sie war auf der Suche nach einem schönen Platz für einen Mittagsschlaf. Nicht zu schattig, aber auch nicht zu sonnig sollte er sein. Ihre Mutter hatte schon immer gesagt: „Meide die Mittagsonne, die tut uns Schnecken nicht so gut!“
„Eigentlich schade“, brummelte sie nun. „Die Sonne ist ein so nettes und hübsches Ding. Sie macht den Tag heller und alle freuen sich. Nur wir müssen sie meiden. Wirklich schade ist das.“
„Ach Heidelinde, du bist aber auch nie zufrieden!“, schimpfte Adelheid, ihre Freundin. „Du weißt doch, wie empfindlich unsere Haut ist, wie eine Baby-Haut nämlich und ein Baby würde man doch auch nicht der vollen Mittagssonne aussetzen, nicht wahr?“
Heidelinde seufzte.
„Du hast ja recht. Nur, es wäre halt schön, die Sonne besser genießen zu können.“ Sie blickte zu der kleinen Wiese hinüber, die im prallen Sonnenlicht lag und wo reges Leben herrschte. Käfer brummten, Hummeln summten, Ameisen wuselten durchs Gras und Schmetterlinge tanzten ihre schönsten Tänze.
„Ach, wir schauen den anderen einfach zu bei ihrem lustigen Treiben. Das ist doch auch sehr schön. Weißt du, liebe Heidelinde, ich verrate dir etwas!“, sagte Adelheid und war ins Flüstern übergewechselt. Das klang geheimnisvoll und gespannt wartete Heidelinde darauf, was die Freundin ihr erzählen würde.
„Es ist so“, begann Adelheid. „Im Leben gibt es immer die, die etwas tun und dann die, die zuschauen. Wir sollten an den Tänzen der Insekten Freude haben und die bunten Schmetterlinge einfach bewundern. Sie alle sind großartig!“
Heidelinde nickte. Ja, das fand sie auch, dass alle großartig waren, aber … Sie zögerte, dann fuhr sie mit leiser Stimme fort:
„Aber es fühlt sich traurig an, abseits zu stehen und nur zusehen zu dürfen. So traurig, dass ich mich am liebsten in mein Schneckenhaus verkriechen und ein bisschen weinen möchte.
„Weinen?“ Adelheid war bestürzt. „Aber meine Gute. Alles hat seine zwei Seiten.“
Aber Heidelinde hatte sich schon zurückgezogen in ihr Schneckenhaus. Adelheid hörte ein leises Wimmern und weil ihr das so furchtbar leidtat, weinte sie gleich ein wenig mit.
Das hörte auch Fritz, der Grashüpfer.
„Was ist denn hier los? Großes Schneckenweinen?, fragte er besorgt.
Adelheid seufzte. „So kann man es nennen. Das Leben ist manchmal hart, besonders zu uns Schnecken.“
Das verstand Fritz nicht.
„Es ist doch schön so, wie es ist“, meinte er. „Und ihr habt es doch ganz besonders gut, könnt ihr euch doch in eure Ruhe zurückziehen, wenn euch danach ist. Wer sonst kann das schon?“ Er lachte. „Glaub nicht, dass der Lärm auf der Wiese immer angenehm ist!“
„Nicht?“, rief Adelheid erstaunt. „Ich stelle mir das einfach wunderbar vor, aber vielleicht stimmt es, manchmal braucht man seine Ruhe und wir Schnecken haben es da wirklich gut!“
„Sag ich doch!“ Fritz lachte und klopfte an Heidelindes Häuschen. „Hast du es gehört?“, fragte er.
Langsam, aber nur ganz langsam, kam Heidelinde aus ihrem Haus gekrochen. Ihre Augen waren ganz verweint, aber sie lächelte schon wieder ein bisschen.
„Ich hätte nur so gerne auch einmal ein Tänzchen gemacht“, flüsterte sie.
„Dann tanzen wir!“, rief Fritz. „Ich habe nämlich eine wundervolle Idee: Wir machen ein Tanzfest am Abend, wenn die Sonne den Tag verlassen hat und es kühler geworden ist. Ich werde gleich meine Freunde, die Grillen, um eine besonders schöne Grillenmusik bitten. Na, meine Damen, was haltet ihr davon?“
Die Schneckendamen waren begeistert und gleich war aller Kummer vergessen. Fritz hielt sein Versprechen und kümmerte sich um die Musik zum Tanz. Es wurde ein wunderbarer und fröhlicher Abend und ihr hättet mal Heidelinde und Adelheid beim langsamen Walzer sehen sollen. Das war einfach nur großartig! Ehrlich!
© Regina Meier zu Verl