Die Schnecken und die Sonne

Die Schnecken und die Sonne

Heidelinde kroch besonders langsam durch den Garten, im Schneckentempo eben und noch etwas langsamer. Sie war auf der Suche nach einem schönen Platz für einen Mittagsschlaf. Nicht zu schattig, aber auch nicht zu sonnig sollte er sein. Ihre Mutter hatte schon immer gesagt: „Meide die Mittagsonne, die tut uns Schnecken nicht so gut!“

„Eigentlich schade“, brummelte sie nun. „Die Sonne ist ein so nettes und hübsches Ding. Sie macht den Tag heller und alle freuen sich. Nur wir müssen sie meiden. Wirklich schade ist das.“

„Ach Heidelinde, du bist aber auch nie zufrieden!“, schimpfte Adelheid, ihre Freundin. „Du weißt doch, wie empfindlich unsere Haut ist, wie eine Baby-Haut nämlich und ein Baby würde man doch auch nicht der vollen Mittagssonne aussetzen, nicht wahr?“

Heidelinde seufzte.

 „Du hast ja recht. Nur, es wäre halt schön, die Sonne besser genießen zu können.“ Sie blickte zu der kleinen Wiese hinüber, die im prallen Sonnenlicht lag und wo reges Leben herrschte. Käfer brummten, Hummeln summten, Ameisen wuselten durchs Gras und Schmetterlinge tanzten ihre schönsten Tänze.

„Ach, wir schauen den anderen einfach zu bei ihrem lustigen Treiben. Das ist doch auch sehr schön. Weißt du, liebe Heidelinde, ich verrate dir etwas!“, sagte Adelheid und war ins Flüstern übergewechselt. Das klang geheimnisvoll und gespannt wartete Heidelinde darauf, was die Freundin ihr erzählen würde.

„Es ist so“, begann Adelheid. „Im Leben gibt es immer die, die etwas tun und dann die, die zuschauen. Wir sollten an den Tänzen der Insekten Freude haben und die bunten Schmetterlinge einfach bewundern. Sie alle sind großartig!“

Heidelinde nickte. Ja, das fand sie auch, dass alle großartig waren, aber … Sie zögerte, dann fuhr sie mit leiser Stimme fort:

„Aber es fühlt sich traurig an, abseits zu stehen und nur zusehen zu dürfen. So traurig, dass ich mich am liebsten in mein Schneckenhaus verkriechen und ein bisschen weinen möchte.

„Weinen?“ Adelheid war bestürzt. „Aber meine Gute. Alles hat seine zwei Seiten.“

Aber Heidelinde hatte sich schon zurückgezogen in ihr Schneckenhaus. Adelheid hörte ein leises Wimmern und weil ihr das so furchtbar leidtat, weinte sie gleich ein wenig mit.

Das hörte auch Fritz, der Grashüpfer.

„Was ist denn hier los? Großes Schneckenweinen?, fragte er besorgt.

Adelheid seufzte. „So kann man es nennen. Das Leben ist manchmal hart, besonders zu uns Schnecken.“

Das verstand Fritz nicht.

„Es ist doch schön so, wie es ist“, meinte er. „Und ihr habt es doch ganz besonders gut, könnt ihr euch doch in eure Ruhe zurückziehen, wenn euch danach ist. Wer sonst kann das schon?“ Er lachte. „Glaub nicht, dass der Lärm auf der Wiese immer angenehm ist!“

„Nicht?“, rief Adelheid erstaunt. „Ich stelle mir das einfach wunderbar vor, aber vielleicht stimmt es, manchmal braucht man seine Ruhe und wir Schnecken haben es da wirklich gut!“ 

„Sag ich doch!“ Fritz lachte und klopfte an Heidelindes Häuschen. „Hast du es gehört?“, fragte er.

Langsam, aber nur ganz langsam, kam Heidelinde aus ihrem Haus gekrochen. Ihre Augen waren ganz verweint, aber sie lächelte schon wieder ein bisschen.

„Ich hätte nur so gerne auch einmal ein Tänzchen gemacht“, flüsterte sie.

„Dann tanzen wir!“, rief Fritz. „Ich habe nämlich eine wundervolle Idee: Wir machen ein Tanzfest am Abend, wenn die Sonne den Tag verlassen hat und es kühler geworden ist. Ich werde gleich meine Freunde, die Grillen, um eine besonders schöne Grillenmusik bitten. Na, meine Damen, was haltet ihr davon?“

Die Schneckendamen waren begeistert und gleich war aller Kummer vergessen. Fritz hielt sein Versprechen und kümmerte sich um die Musik zum Tanz. Es wurde ein wunderbarer und fröhlicher Abend und ihr hättet mal Heidelinde und Adelheid beim langsamen Walzer sehen sollen. Das war einfach nur großartig! Ehrlich!

© Regina Meier zu Verl

Baumgrüne Gedanken

Baumgrüne Gedanken

Aus dem Fenster ihres Arbeitszimmers schaute Johanna direkt in die Krone der alten Buche. Zu jeder Jahreszeit war dort etwas los, so dass Johanna die Geschichten rund um die Buche einfach nur aufschreiben musste.
Heute unterhielten sich zwei Rotkehlchen miteinander. Johanna spitzte die Ohren und versuchte, etwas zu verstehen von ihrer Unterhaltung.
„Es ist ruhig geworden hier überall. Was ist mit den Kollegen und wo stecken sie alle?“, fragte das eine Rotkehlchen.
„Sie sind zur großen Reise aufgebrochen. Zumindest viele von ihnen“, antwortete das andere.
„Zur großen Reise? Ja, ist es schon wieder so weit?“
Eine winzige Blaumeise mischt sich ein. „Meine Eltern haben gesagt, dass die Stare sich seit Tagen versammeln, um in den Süden zu fliegen und die Störche sind auch schon weg. Gott sei Dank, vor denen habe ich nämlich Angst!“
„Meine Freunde, die Finkenkinder, kann ich auch nirgends entdecken“, piepte die kleine Blaumeise. „Sind sie auch Reisende?“
„Viele von uns sind Reisende“, erzählte die Starenmama. „Wir wären auch schon längst weg, wenn wir nicht unseren Jüngsten vermissten. Der Bengel treibt sich wieder irgendwo herum und verpasst die wichtigen Dinge im Leben.“ Sie seufzte.
Johanna wagte es nicht, sich zu bewegen. So gern hörte sie den Vögeln zu und ihre Sorgen unterschieden sich fast gar nicht von denen der Menschen. Beinahe hätte sie kichern müssen, denn ihr Ältester war auch immer auf Achse gewesen. Wie oft hatte sie ihn suchen müssen. Einmal sogar hatte große Aufregung geherrscht: Fabian, damals fünf Jahre alt, war schon über vier Stunden verschwunden und sie hatten ihn überall, wirklich überall gesucht, die ganze Familie, die Freunde, die Nachbarn. Nichts. Fabian war weg. Sie hatte geglaubt, verrückt zu werden. Um sich zu beruhigen, hatte sie sich ans Fenster gestellt. Das tat sie immer, wenn sie Ruhe suchte oder aufgeregt war. Der Blick ins Baumgrün konnte Wunder wirken. Doch was sah sie damals im Baumgrün sitzen und feixen?
Fabian! Er strahlte sie an mit diesem Blick aus warmen Augen, dem Johanna nie widerstehen konnte, und sagte: „Das war toll heute! Alle haben mich gerufen! Du, Mama, ich glaube, sie haben mich alle lieb. Und jetzt habe ich Hunger.“
Und wie ein Äffchen war er den Baum hinabgeklettert. Wer konnte ihm da böse sein?
Während Johanna ihren Gedanken nachging, hatte sich die Vogelversammlung aufgelöst. Sicher waren sie nun alle miteinander auf die Suche nach dem Starenjungen gegangen. Ob er auch in der Buche hockte, irgendwo versteckt?
Johanna zog ihr Schultertuch enger um ihre Schultern, sie fröstelte. Ein Tee würde ihr guttun.
„Mutter, kommst du zum Essen?“ Das war Fabian. Johanna lächelte. ‚Er kann Gedanken lesen‘, dachte sie und verließ ihr Zimmer, um mit der Familie zu Abend zu essen.

© Regina Meier zu Verl

Rosen für den Neuanfang

Rosen für den Neuanfang
Damit hatte Katharina nicht gerechnet. So viele nette Menschen, so viele helfende Hände und Wärme. So könnte man es in aller Kürze ausdrücken, aber natürlich steckt viel mehr dahinter und nicht alles ist selbstverständlich in dieser Zeit. Sie war überwältigt und die vielen neuen Eindrücke rasten wild durch ihren Kopf. Am liebsten hätte sie eine Schmerztablette eingenommen, aber die half sicher nicht gegen kreisende Gedanken.
Ein bisschen Ruhe tut es vielleicht auch, dachte sie und steuerte eine Parkbank neben einem Trog mit lustigen Hornveilchen an. Einfach ein bisschen in der Sonne sitzen und an nichts denken. Das würde helfen.
Aber das war so eine Sache, mit dem Nichts Denken. Bei Katharina wollte das nicht funktionieren, dabei hatte sie das einmal so gut gekonnt – abschalten und Kraft tanken. War es die neue Lebenssituation, der Ortswechsel? Sie wusste es nicht. Heute hatte sie aber das erste Mal das Gefühl, angekommen zu sein und das war die beste Erkenntnis seit vielen Jahren, die ihr tiefstes Bewusstsein nun erreichte. Angekommen. Was für ein kostbares Wort, und was für ein kostbarer Moment. Es war ein Gefühl, das sie sich erhofft hatte, aber niemals hatte sie damit gerechnet.
Sogar auf dieser Parkbank stellte sich dieses Zuhause Gefühl ein. Katharina lächelte. ‚Du spinnst, Katharina Fischer!‘, murmelte sie und lachte dann laut auf. Das hatte noch gefehlt, nun fing sie schon an, mit sich selbst zu reden. Darüber hatte sie immer lachen müssen, als ihre Mutter das getan hatte.
Und doch sprach sie nun weiter, denn auch das fühlte sich gut an.
„Steh auf, Kathi!“, sagte sie und musste fast ein bisschen grinsen. „Denk nicht so viel! Tu etwas! Gönn dir etwas Schönes! Kauf dir etwas, das dich an diesen Tag erinnert!“
Sie schaute auf die Armbanduhr. Zeit genug, um noch kurz in die Stadt zu gehen und nach eben diesem Schönen zu suchen. Vielleicht sollte sie sich einen neuen Duft gönnen? Nein, das war viel zu banal – es musste etwas sein, das Bestand hatte, als Zeichen dafür, dass sie in ihrem neuen Leben angekommen war. Rosen! Rote! Einen großen Strauß, den sie sich selbst schenkte. Als Wertschätzung. Als Bestätigung. Als Signal für das Neue. Ja, das war eine gute Idee. Noch nie hatte sie sich selbst rote Rosen gegönnt und es war Zeit dafür.
Das kleine Blumengeschäft hatte Katharina schon am Tag zuvor entdeckt. Heute ging sie zielstrebig darauf zu. Eine Dame, ungefähr in Katharinas Alter begrüßte sie freundlich. „Guten Tag, schön, dass Sie da sind!“, sagte sie, so, als habe sie lange auf Katharina gewartet.
„Guten Tag!“, grüßte Katharina erstaunt . „Also, ich … ich will mir eine kleine Freude bereiten und hätte gerne einen großen Strauß …“
„Rosen?“ Die Verkäuferin lächelte und deutete auf die Kübel mit Rosen in den prächtigsten Farben. Eine aprikotfarbene zog sie heraus und schnupperte daran. „Diese Sorte?“
Woher wusste sie, dass sie Rosen wollte? Das war mysteriös, aber Katharina hinterfragte es erstmal nicht.
„Sie dürfen mich ruhig fragen!“, sagte die Verkäuferin und als Katharina sie entsetzt anschaute, lachte sie laut auf.
„Sie denken jetzt, dass ich Gedanken lesen kann, nicht wahr?“
„Hm. Nun, was soll ich denken?“ Katharina versuchte es mit einem schiefen Grinsen. „Mir sind in letzter Zeit so viele Dinge passiert, die ich für unwahrscheinlich gehalten hatte. Eine Hellseherin ist mir allerdings noch nicht begegnet, aber es würde mich für Sie freuen, wenn Sie diese Gabe tatsächlich hätten.“
„Habe ich auch nicht, ehrlich gesagt: es war geraten und diesmal habe ich wohl den Nagel auf den Kopf getroffen, nicht wahr?“
„Nicht ganz, ich wollte eigentlich rote Rosen und die schenke ich mir heute einmal selbst! Sie haben mich ganz durcheinandergebracht!“ Katharina kicherte, nahm eine Rose aus der Vase und schnupperte ebenfalls daran. Dann atmete sie tief durch.
„Zweiundzwanzig. Von den teuersten“, sagte sie dann mit fester Stimme. „Zweiundzwanzig rote Rosen, eine für jedes Jahr meiner Ehe, die vor kurzer Zeit geschieden wurde. Und ich werde sie feiern, jede Rose für sich. Für meinen Neuanfang!“
„Herzlichen Glückwunsch!“, sagte die Blumenverkäuferin und entschuldigte sich. „Ich bin sofort wieder da!“
Mit einem Piccolo und zwei Sektflöten kam sie zurück. „Darauf stoßen wir an!“, sagte sie und öffnete die kleine Flasche. Dann prosteten sich die beiden Frauen zu.
Eine der herrlichen Rosen hängte Katharina zum Trocknen auf, um sich später immer noch an den Neuanfang und das Zuhausegefühl erinnern sollte.

© Regina Meier zu Verl

Rosen – Regina Meier zu Verl

Vaterfreuden

Vaterfreuden

„Hast du schon gehört, dass die wunderschöne Cleopatra Nachwuchs hat?“, fragt der rote Kater Leo seinen Freund, den getigerten Sam.
„Nein, nichts gehört, interessiert mich auch nicht!“, antwortet Sam schnippisch.
„Hey, mein Freund, was bist du so schlecht gelaunt heute?“ Leo erhebt sich und baut sich vor Sam auf. Der legt den Kopf zur Seite. Seine Miene zeigt deutlich, wie beleidigt er ist.
„Ich weiß es auch nicht von ihr selbst, man redet auf dem gesamten Hof darüber. Die Kleinen sollen ziemlich putzig sein, sind aber weder rot noch getigert!“, weiß Leo zu berichten.
„Nicht? Na, wie sehen sie denn aus, wenn sie weder rot noch getigert sind? Etwa lila?“, fragt Sam und man merkt, dass seine Laune deutlich besser wird.
„Na ja!“, meint Leo und jetzt klingt seine Stimme ein bisschen kläglich.
„Ich wüsste nicht, dass in meiner Linie jemals ein lilafarbenes Wesen zur Welt gekommen ist. Ich verstehe das nicht.“ Er schüttelt den Kopf.
„Das kann ich dir genau erklären.“ Sam grinst. „Die Frage ist nur, ob du es wissen möchtest.“
„Nun lass dich nicht lange bitten, sag schon!“, drängt Leo, aber schon als er es gesagt hat, beschleicht ihn ein sehr komisches Gefühl. Dabei hatte er sich eigentlich gefreut, als er von den jungen Kätzchen gehört hatte.
Als Sam anhebt, zu erklären, was er gesagt hat, unterbricht Leo ihn.
„Lass es lieber, ich will es nicht wissen!“ Er blickt Sam misstrauisch an. „Und wieso willst DU mit das erklären? Was weißt du, was ich nicht weiß?“ Er betont dieses DU besonders und es klingt, als wolle er ihm den Krieg erklären. Oder zumindest ein kleines Kämpfchen unter Gleichgesinnten, die nur für den Moment anderer Meinung sind.
„Ich habe sie beobachtet, die liebe Cleopatra. Ein seltsames Verhalten hat sie an den Tag gelegt und ganz ehrlich, ich hatte sie schon in Verdacht, sich mit dir zusammengetan zu haben. Aber das stimmt ja nicht, denn wenn das so wäre, dann hätte sie dir wohl von den Katzenkindern erzählt, oder nicht?“ Sams Augen funkeln nun verärgert, er hatte die schöne Cleopatra nämlich für sich gewinnen wollen. Und fast wäre es ihm auch gelungen. Fast. Wenn da nicht jene verflixte Nacht im späten Winter gewesen wäre. Er war ihr gefolgt auf ihrem Weg durchs Dorf und er wollte sie fragen, ob sie nicht gemeinsam durchs die Nacht spazieren wollten. Doch dann hatte ihn ein seltsam zischendes Geräusch für einen kurzen Moment abgelenkt und schon war Cleopatra im Dunkeln verschwunden. Die ganze Nacht hatte er nach ihr gesucht, doch es war vergebens gewesen. Sie hatte sich vor ihm versteckt.
Während Sam in Gedanken versunken ist, macht Leo sich aus dem Staub. Das ist ihm doch alles zu albern. Er will zu Cleopatra gehen und sich die Kleinen anschauen. Es nützt doch nichts, wenn man nur über sie redet und gar nicht recht weiß, was Sache ist. Blöd ist das, megablöd sogar.
Die Katzendame hat ihren Platz in der Scheune. Dort liegt sie in einem Nest aus Heu und beschützt ihre Kinder. Als Leo näherkommt, hebt sie kurz den Kopf.
„Na du“, flüstert sie und winkt Leo zu sich.
„Na du!“, flüstert Leo zurück. Er tritt näher an das Nest und betrachtet Cleopatras Kinder. Wie ruhig sie schlafen! Und wie hübsch sie sind! Fast so hübsch wie … er stutzt und taucht seinen Kopf noch näher in das Nest hinein. Ja, das kleine Katzenmädchen da, schimmert sein Fell nicht doch ein bisschen rot? Ein kleines bisschen?
„Sie sind wunderschön!“, sagt Leo ergriffen und fast versagt seine Stimme vor lauter Ergriffenheit. „Herzlichen Glückwunsch!“, flüstert er noch.
„Danke“, haucht Cleopatra. „Und…“, sie lächelt.
„Und?“, fragt Leo.
„Auch dir einen herzlichen Glückwunsch, Papa!“
Leo schluckt, er will etwas sagen, aber er kann nur seine kleine Familie ansehen und bestaunen.
„Meine Kinder!“, murmelt er schließlich und noch nie in seinem Leben war er so stolz wie in diesem Moment.
© Regina Meier zu Verl

Linus, das Bobbycar und Opa Baumann

Linus, das Bobbycar und Opa Baumann

Linus hat sein Bobbycar direkt neben Papas Auto geparkt. Er steigt ab, steckt die Hände in die Hosentaschen und betrachtet die beiden Fahrzeuge.
„Na, Linus, welches Auto gefällt dir besser?“, fragt Opa Baumann, der nebenan wohnt und gerade im Garten nach dem rechten schaut.
„Meins“, antwortet Linus. „Nein, das von Papa. Ist doch klar!“ Er überlegt und sieht den alten Nachbarn nachdenklich an.
„Nein, auch nicht“, meint er dann leise. „Dein Auto ist das Tollste. Weil es so alt ist und so toll rappelt, wenn der Motor läuft.“
Opa Baumann grinst und freut sich. Er liebt sein Auto und es macht ihn stolz, dass auch Linus erkannt hat, was für ein tolles Gefährt er besitzt. Trotzdem schmeichelt er dem Jungen: „Weißt du, Dein Auto, lieber Linus, ist aber das umweltfreundlichste von allen.“
„Um…welt…freund…lich?“, fragt Linus langsam und er denkt dabei über jede Silbe nach. Er hat das Wort schon oft gehört, aber so ein bisschen hat er lieber nicht hingehört. Es ist kein spannendes Wort und irgendwie auch langweilig und das sagt er gleich auch laut. Doch dann überlegt er: Freund ist drin in dem Wort, Freunde mag Linus. Und Welt ist ebenfalls drin. Die Welt ist schön, findet Linus. Ja, und spannend ist sie auch, die Welt! Ja, das gefällt ihm. Linus nickt.
„Das passt auch zu meinem Auto. Es ist das schönste auf der Welt und irgendwie ist es nun auch mein Freund.“ Er lacht. „Sag, Opa Baumann, ist dein Auto auch dein Freund?“
Opa Baumann nickt auch. „Aber so was von! Viel haben wir beide in vielen Jahren schon erlebt. Das kannst du mir glauben.“
„Erzähl doch mal!“, fordert Linus Opa Baumann auf. Der überlegt einen Moment, dann lächelt er und sagt eine Weile gar nichts. Linus stubst ihn an. „Na?“, fragt er ungeduldig.
„Ach so, ja, warte, wie fange ich denn an?“, fragt er grinsend.
„Am Anfang, Opa Baumann, immer am Anfang fängt man an!“
„Stimmt, du Schlaubär, einen Anfang braucht jede Geschichte, denn sonst könnte man sie nicht erzählen, nicht wahr?“ Opa Baumann nimmt die Mütze ab und kratzt sich erst einmal am Kopf. „Also, das war schon verrückt, denn eigentlich wollte ich kein Auto haben. Doch ein Auto schon, aber nicht diese Kiste. Sie war nämlich …“ Er lacht. „Rosa war sie. Mädchenrosa!“
„Iiiiiiigittigitt!“, kreischt Linus. „Mädchenrosa?“
„Ja, ganz ehrlich, aber ich habe schnell gehandelt und Abhilfe geschaffen. Später war er dann Grün, der Oskar!“
„Oskar? Heißt er so?“, Linus ist verwundert. Das hat er ja gar nicht gewusst!
„Klar! Grün kann nur Oskar heißen, denn Oskar ist auch grün“, sagt Opa Baumann.
Das versteht Linus gerade gar nicht. „Ein Oskar kann doch keine Farbe sein.“
„Doch! Oskar war mein Schmusetier, als ich so alt war wie du, und das war grün. Ein grüner Drache.“
„Verstehe! Und nun ist er nicht mehr grün, sondern blau – wie heißt er denn jetzt?“, will Linus wissen. Er streicht liebevoll über den Kotflügel des alten Autos.
„Gib du ihm einen Namen, irgendwann wird er ja dir gehören, mein Junge!“, sagt Opa Baumann. „Ich werde ihn gut pflegen und hegen, damit du noch viel Freude an ihm hast.“, verspricht er dem Jungen.
Linus springt vor Freude in die Luft. „Das ist toll!“, ruft er. „Ich bekomme einen uralten Mercedes und er wird blau bleiben und er wird Opa Baumann heißen!“
Opa Baumann lacht. Das gefällt ihm und der Linus, der gefällt ihm sowieso, der wird schon gut auf sein altes Auto aufpassen. Ein bisschen Zeit hat er noch, bis er ihn fahren darf. Und dann … wird Opa Baumann seinen Führerschein vielleicht abgeben, aber so ganz genau weiß er das noch nicht!

© Regina Meier zu Verl

Oma Betty meditiert*

Oma Betty meditiert

„Oma, was machst du gerade?“, fragt Mila ihre Großmutter, die im Schneidersitz auf dem Teppich sitzt. Oma Betty öffnet kurz die Augen und lächelt.
„Ich meditiere!“, sagt sie leise.
„Ach so!“, sagt Mila. Sie überlegt eine Weile, dann startet sie einen neuen Versuch.
„Macht das Spaß, Oma, dieses Meditieren?“, fragt sie.
„Es tut gut!“, antwortet Oma. Mila betrachtet Omas Hände, die gefaltet auf ihrem Schoß liegen. Oma atmet ruhig ein und aus. Lustig klingt das Ausatmen, denn da pfeift immer so ein SSSS-Laut mit.
„Oma, warum machst du das?“ Mila hält ihr Ohr nahe an Omas Mund und lauscht.
„Das ist bewusstes Ausatmen, Mila. Versuch es doch auch einmal! Atme durch die Nase ein und dann durch den Mund auf SSS wieder aus!“, schlägt Oma vor.
Mila setzt sich ebenfalls in den Schneidersitz, faltet ihre Hände und atmet bewusst durch die Nase ein und durch den Mund auf SSS wieder aus.
„Ich merke nichts, Oma!“, kichert sie.
„Was solltest du denn merken?“, fragt Oma und öffnet die Augen wieder kurz.
„Na, dass es was mit mir macht. Mir geht’s wie eben, nicht besser und nicht schlechter!“, erklärt Mila.
„Man muss geduldig sein, Mila und regelmäßig üben!“
„Aber ich kann schon ganz lange atmen, Oma, das muss ich doch nicht üben. Jedes Kind kann das!“, meint Mila.
„Es geht nicht nur ums Atmen, es geht darum zur Ruhe zu kommen, den Geist zu erfrischen und auf die innere Stimme zu hören.“ Oma hat eine Engelsgeduld, auch wenn sie sich ein wenig gestört fühlt im Moment. Mila versucht es noch einmal. Fast zwei Minuten lange schafft sie es ganz still zu sein, dann springt sie auf.
„Oma, jetzt hat sie mit mir gesprochen!“, ruft sie fröhlich.
„Wer?“, fragt Oma.
„Die innere Stimme, sie hat geknurrt und gesagt: Mila, du hast Hunger! Was sagte deine Stimme, Oma?“
Oma lauscht, dann lacht sie laut auf.
„Meine innere Stimme sagt: Betty, steh auf und mach dem Kind ein Butterbrot!“
„Meditieren ist toll, Oma!“, sagt Mila und hüpft in die Küche. Morgen wird sie wieder mit Oma meditieren, ganz bestimmt!“

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Prinzessin Robert und ihre Prinzen

Prinzessin Robert und ihre Prinzen

Am Rosenmontag sollte in diesem Jahr ein Schulfest stattfinden.
„Lasst uns ein schönes buntes Fest feiern!“, hatte der Schulleiter in seiner Einladung geschrieben und darum gebeten, dass jedes Kind kostümiert zur Schule kommen sollte.
Die Eltern sollten für das leibliche Wohl sorgen und die Band der älteren Schüler würde für die Musik zuständig sein.
„Liebe Eltern!“, stand am Ende der Einladung. „Wir würden uns alle auch sehr freuen, wenn auch Sie sich kostümieren könnten. Schön wäre es auch, wenn sich einige Freiwillige finden würden, die uns helfen, den Saal zu schmücken. Es soll für die Kinder ein unvergessenes Fest werden, frei von all den Problemen unserer Zeit für ein paar Stunden. Ein kleiner Urlaub für unser aller Seelen. Bitte geben Sie Bescheid, ob wir mit Ihrer Mithilfe rechnen können.“
„Er hat recht!“, sagte Miras Vater Robert. „Wir sollten alle mal die Probleme für ein paar Stunden vergessen. Eine richtig gute Idee ist das!“
„Stimmt!“ Auch Miras Mutter fand die Idee richtig gut und schon überlegte sie, welche Kostüme es geben könnte. Auf dem Dachboden stand eine große Verkleidungskiste, mit deren Hilfe man vier Familien einkleiden könnte.
„Ich gehe als Prinzessin!“, verkündete Mira. „Haben wir so ein Kostüm?“
„Mehrere. Schau hier!“ Sie deutete auf einen alten Reisekoffer, mit dem die Urgroßeltern schon viele Reisen gemacht hatten. „Es sind alte Kostüme, die wir, meine drei Brüder und ich, ein paar Jahre lang immer wieder getragen haben.“
„Wir könnten alle drei diese Kostüme tragen, dann passen wir schön zusammen!“, fand Mama und das gefiel allen ganz gut.
„Nein“, entscheidet sich Mira schnell. „Wir machen es anders. Wir gehen als Prinzen, du und ich, Mama – und Papa ist die Prinzessin. Hurra! Das wird ein Spaß!“
Papa schaute ein wenig bedröppelt aus der Wäsche, so richtig gut gefiel ihm der Vorschlag nicht, aber seine beiden Frauen strahlten so, da mochte er ihnen den Spaß nicht verderben.
„Also gut!“, meinte er und fügte sie in sein Schicksal.
„Und was mache ich so als … Prinzessin“, fragte er und er klang wirklich gar nicht glücklich.
„Lächeln!“, sagte Mama.
„Lachen!“, rief Mira.
Und Papa lächelte und lachte gern, doch das konnte nicht alles sein, deshalb fragte er nach:
„Aber ich muss doch etwas tun als Prinzessin, außer schön zu sein und zu lächeln!“, sagte er.
„Stimmt!“, antwortete Mama. „Du musst den Prinzen sagen, was sie zu tun haben. Das können Frauen nämlich besser!“
Papa schluckte, fast wollte er sich schon ärgern, aber dann lächelte er und flüsterte Mama etwas ins Ohr, was Mira nicht verstanden hat.
Und Mama flüsterte zurück. Mira konnte wieder kein Wort verstehen.
„Versucht nicht, euch zu drücken!“, sagte sie lauter als beabsichtigt. Dann schnappte sie sich die Kostüme und stieg die Speicherleiter wieder hinab. „Wir sollten die nun anprobieren, ob sie passen! Kommt ihr?“
Kurze Zeit später standen alle drei in ihren Kostümen da. Mamas Brüder waren groß und schlank gewesen, so dass Mira und Mama kein Problem hatten mit den Größen. Papa allerdings passte das Prinzessinnenkleid nicht, eigentlich klar, oder? Aber all das Zubehör, Krone und Schmuck und noch so allerlei schmückendes Beiwerk war vorhanden, fehlte nur noch ein hübsches Kleid und das würde Mama schon irgendwie zaubern, denn sie war nicht nur ein Prinz, sondern auch eine Zauberin! Ehrlich!
Und eine Zauberin war sie auch dieses Mal. Großartig sah Papa aus, als Mama mit ihm fertig war. Fast wie eine echte Prinzessin. Nur das Gesicht passte nicht ganz dazu, denn es sah, irgendwie, leidend aus. Aber das gab sich dann auch, als sie beim Schulfest angekommen waren und am Ende sogar noch einen Preis für ihre Familienkostümierung erhielten.

© Regina Meier zu Verl

Wenn ich mir selbst Geschichten erzähle

„Oma, warum machst du das?“, fragt mich mein Enkel, als er in mein Zimmer kommt und mich dabei erwischt, wie ich mir selbst eine Geschichte vorlese.
„Was meinst du?“
„Na, du kennst doch deine Geschichten schon alle. Warum liest du sie dir dann vor?“, will er wissen.
„Ich übe!“, erkläre ich.
„Aber warum? Du bist doch längst aus der Schule, musst du immer noch üben?“
Er staunt, für ihn sind Hausaufgaben ein Gräuel.
„Es macht mir Spaß und außerdem macht es mich sicherer, wenn ich anderen vorlese!“, mache ich noch einmal einen Erklärungsversuch.
„Ach so!“ Er überlegt. „Für mich liest du perfekt, ich finde nicht, dass du noch üben musst!“, behauptet er und das tut meiner Seele richtig gut. Trotzdem erwidere ich: „Perfekt bin ich ganz sicher nicht!“
„Do-hoch!“, sagt er ernst. „Du bist die perfekteste Regina, die ich kenne.“

Er kennt nur eine, aber das spielt keine Rolle. Ich lege mein Manuskript zur Seite und knuddel ihn, das kann ich ohne zu üben!

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Bildquelle congerdesign/pixabay

 

Von Meisen und Mäusen

Von Meisen und Mäusen

„Blaumeisen und Kohlmeisen sind auf jeden Fall täglich da, auch mehrere Rotkehlchen kommen immer wieder und die frechen Spatzen sowieso!“, erzählt Oma, die nichts mehr liebt, als vom Esszimmerfenster aus die Besucher auf ihrer Terrasse zu beobachten.
„Und die großen dicken da vorn, was sind das für Vögel?“, will Lio wissen und klopft an die Scheibe. Im Nu sind alle gefiederten Freunde verschwunden.
„Hey, du darfst sie nicht stören beim Fressen, sie haben doch Angst vor uns!“, schimpft Oma.
„Oh, das wollte ich nicht!“, sagt Lio schuldbewusst.
„Die Großen, das sind Drosseln“, erklärt Oma. „Die schaffen es nicht, an die Meisenknödel zu kommen und auch das kleine Futterhäuschen ist für sie schlecht zu erreichen, deshalb streue ich für sie immer ein wenig Futter auf den Schnee. Das darf aber der Opa nicht sehen, dann schimpft er mit mir!“, erzählt Oma und lacht.
„Warum das denn?“, will Lio wissen.
„Weil er sagt, dass ich die Mäuse damit anlocke und wenn sich dann mal eine im Haus verirrt, dann ist das meine Schuld, behauptet Opa.“
Nun muss auch Lio lachen. „Das ist doch Quatsch. Hast du schonmal in Opas Pferdestall geguckt? Da wohnen unzählig viele Mäuse, die fressen alles, was sie kriegen können, die kleinen Schelme!“
„Und die verirren sich natürlich nicht im Haus, die hat Opa erzogen, nicht wahr?“ Oma lacht zwar noch, aber ein bisschen ärgerlich wird sie nun doch.
„Na warte, mein Lieber!“, sagt sie drohend und meint damit nicht den Lio.
„Aber verrate nicht, dass ich dir das erzählt habe!“, bitte Lio.
„Ach was, das wusste ich doch längst“, sagt Oma. „Hast du Lust, eine Runde mit mir spazieren zu gehen?“, fragt sie und da ist Lio sofort dabei. Schnell ziehen die beiden ihre Winterstiefel, die dicken Jacken und Handschuhe an und Omas selbstgestrickte Mützen wärmen die Ohren.
„Was hast du im Sinn, Oma?“, fragt Lio, der seine Oma ganz schön gut kennt. Wenn sie freiwillig rausgeht, ohne im Garten zu arbeiten, was ja jetzt im Winter nicht möglich ist, dann braucht sie die frische Luft als Treibstoff für ihren Kopf. So hat sie ihm das einmal erklärt und oft entstehen dann nach den Spaziergängen Geschichten.
„Na, was werde ich wohl im Sinn haben?“ Oma lacht. „Eine Geschichte!“
Lio strahlt. Er mag Omas Geschichten sehr und meist ist er der Erste, der sie hören oder lesen darf.
„Worum geht’s diesmal?“, fragt er neugierig.
„Rate!“ Oma grinst, kein Anflug mehr von schlechter Laune.
„Geht’s um die Vögel auf der Terrasse?“
„Nein, die habe ich schon so oft für meine Geschichten verwendet!“
„Geht’s um Opa?“
„Nur ein bisschen, auf jeden Fall wird es eine Geschichte werden, die Opa zu denken geben wird – oder die ihn ärgert, je nachdem!“
„Du machst es aber spannend!“ Jetzt möchte Lio doch gern wissen, was Opa ärgern könnte, ob Oma ihn doch verraten würde. Nein, das sah ihr gar nicht ähnlich, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie etwas versprochen hatte. Auf Oma war Verlass, immer.
Eine Weile schweigen beide. Dann sagt Oma: „Die Geschichte der Terrassen- und Stallmäuse! Das ist der Titel, damit du weißt, um was es geht und nun hilf mir beim Denken!“, fordert sie Lio auf und der schnattert auch sofort los.
„Es waren einmal ein paar Terrassenmäuse und viele, viele Stallmäuse…“

© Regina Meier zu Verl

Geschichte in der Hörbar

Die großartige Tanja Esche hat wieder einmal eine meiner Geschichten mit ihrer wunderbare Stimme aufgenommen. Hört doch mal rein, ich selbst bin begeistert!
„Vom kleinen Glück“
Einen schönen Sonntag euch allen und immer mal wieder ein kleines Glück in eurer Manteltasche!