Sauer macht (nicht) lustig
Wir saßen gerade gemütlich beim Frühstück zusammen, als unser Familienhund Fritz plötzlich die Ohren spitzte, aufsprang und zur Haustür lief.
„Das ist sicher die Post!“, sagte Papa, der das Klappern der Briefkastenklappe auch gehört hatte. „Fritz, es ist gut, ich schaue gleich nach!“, rief er dem Hund nach, sprang ebenfalls auf und lief in den Flur.
Mama schüttelte verärgert den Kopf. Sie hasste es, wenn einer aufstand bevor das Frühstück beendet war. Besonders am Samstag, dem einzigen Tag in der Woche, an dem alle zusammen am Tisch saßen.
Papa kam mit einigen Briefumschlägen zurück, setzte sich wieder an den Tisch und hielt mir seine Kaffeetasse auffordernd hin. „Matze, könntest du mal bitte …“, sagte er und setzte seine Lesebrille auf.
‚Immer ich!‘, dachte ich, schenkte ihm aber Kaffee ein, ohne zu kleckern, was nicht so oft gelang. Wohlwollend lächelte Papa. „Danke schön!“
Er schien bestens gelaunt, schob sich noch den Rest seines Brötchens in den Mund, sah in die Runde und widmete sich dann den Briefen.
„Hermann, wir sind noch nicht fertig!“, schimpfte Mama und nahm sich demonstrativ noch eine Scheibe Vollkornbrot aus dem Brotkorb.
„Iss ruhig, das stört mich nicht.“, sagte Papa und erntete einen Saurezitronenblick von Mama. Sie schluckte, wollte aber keinen Streit anfangen.
Papa legte zwei Briefe zur Seite. „Das sind Rechnungen!“, sagte er. „Die mache ich erst am Montag auf, sonst verhageln sie mir die Laune!“ Dann nahm er seinen Eierlöffel, schob den Stiel in die Umschlaglasche und öffnete den nächsten Brief. Er las, schüttelte kurz den Kopf, steckte das Schreiben dann wieder in den Umschlag zurück und legte ihn zu den Rechnungen.
„Na?“, sagte Mama. „Auch ein Hagelbrief?“ Ich trat unter dem Tisch nach Jules Schienbein, gespannt, was passieren würde.
„Aua! Der tritt mich!“, schrie Jule. Das war zu viel für Papa, zuerst dieser Brief, von dem keiner wusste, was drinstand und dann wir ungezogenen Kinder. Er lief krebsrot an im Gesicht, schnappte nach Luft und verließ die Küche.
„Das war’s dann wohl mit dem gemütlichen Wochenendfrühstück!“, meinte Mama und griff nach dem Brief, faltete den Bogen auseinander, las und dann lachte sie und konnte sich gar nicht wieder beruhigen.
„Was ist denn los, Mama?“, wollte Jule wissen. Ich natürlich auch. Gespannt warteten wir auf eine Erklärung, aber Mama war nicht in der Lage zu reden. Immer wieder lachte sie, bis ihr die Tränen kamen vor Lachen. Sie hielt mir das Schreiben hin und stammelte: „Lies vor, Matze!“
Der Brief war vom Karnevalsverein ‚Sauer macht lustig‘, in dem meine Eltern Mitglieder waren. Das konnte ich dem Briefkopf entnehmen. Ich las weiter: „Unser lieber Andy Wolke, der in diesem Jahr wieder seine berühmte Büttenrede halten wollte, hat leider einen Skiunfall erlitten. Es geht ihm soweit gut, aber ein Bein ist gebrochen und er wird am Karnevalssamstag nicht bei uns sein können. Doch was ist eine Karnevalsveranstaltung ohne Büttenrede? Deshalb haben wir uns im Vorstand beraten und bitten nun dich, lieber Hermann, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen. Du scheinst uns als einziger geeignet zu sein, den Andy würdevoll zu vertreten!“
Jetzt verstand ich, warum Mama so lachte. Unser Papa sollte also eine Büttenrede halten. Papa, der nicht einmal einen Witz ordentlich erzählen konnte, ohne sich selbst dabei kaputt zu lachen.
„Ihr müsst gar nicht so blöde lachen!“ Papa war zurückgekommen. „Meint ihr, ich weiß nicht selbst, dass ich das nicht kann?“, fragte er. „Ich und eine Rede halten, Gott bewahre! Ich könnte nicht einmal einen Text ablesen, ohne mich zu verhaspeln. Nun frage ich mich, wie die ausgerechnet auf mich gekommen sind!“
Nun tat er uns schon fast wieder leid, wie er so dastand mit bleichem Gesicht und Fragezeichen in den Augen.
„Die können das selbst alle nicht, jetzt suchen sie halt jemanden, dem sie diese Rede unterjubeln können!“, meinte Mama nachdenklich.
„Ich werde mal Peter anrufen, vielleicht weiß der mehr!“, beschloss Papa und ging in sein Arbeitszimmer. Mama folgte ihm und Jule und ich räumten in trauter Einigkeit den Tisch ab. In schwierigen Situationen muss eine Familie zusammenhalten, das wussten wir.
Später erfuhren wir, dass der Peter ein ebensolches Schreiben bekommen hatte, der Frank auch und sogar der Johannes, der nie ein Wörtchen sagte, weil er so stotterte, hatte diese Aufforderung bekommen.
„So eine Unverschämtheit!“, wetterte Papa. Wir erfuhren, dass insgesamt zehn Leute aus dem Verein dieses Schreiben bekommen hatten. „Da du uns als einziger geeignet scheinst, bla bla bla …“, schimpfte Papa weiter. „Das kann ja wohl nicht wahr sein!“
Bisher hatte ich geschwiegen, vorsichtshalber. Dann aber hatte ich eine Idee, vielleicht war sie blöd, aber ich musste es wagen:
„Papa, ich habe eine Idee, wie ihr es denen mal so richtig zeigen könnt!“, sagte ich.
„Schieß los!“
„Was wäre, wenn ihr alle zusagen würdet, alle Zehn? Dann käme euer Vorstand ganz schön in Bedrängnis, wie sie sich da wohl rauslügen würden?“, fragte ich.
Papas Mundwinkel schnellten in die Höhe, seine Augen leuchteten. „Mein Sohn, du bist ein Genie!“, sagte er und dann rief er den Peter wieder an und der den Frank und der Frank den Johannes und so weiter. Mein Vorschlag schlug ein wie eine Bombe, ich war mächtig stolz.
Die Männer verabredeten, dass alle pünktlich um 13.00 Uhr eine Email an den Vorstand des Vereins losschicken wollten. Der Johannes kam extra zu uns, weil er selbst kein Internet hatte. Papa richtete ihm eine Mailadresse ein und dann drückten alle um Punkt Eins auf den Knopf „Absenden“.
Ferdi Kuhn lag, eingehüllt in einen weißen Bademantel, im Ruheraum der Sauna, als ein schrilles Piepen seines Smartphones den Eingang einer Email ankündigte. Er zog das Handy aus der Tasche und öffnete sein Mailprogramm. „Sie haben zehn neue Nachrichten“, stand da. Er öffnete eine nach der anderen Nachricht, dann brach ihm der Schweiß aus. Sein Gesicht wurde hochrot und er schnappte nach Luft.
„Ferdi? Alles okay?“, fragte seine Frau, die auf der Liege neben ihm lag.
„Nichts ist okay!“, jappste Ferdi. „Sie haben alle zugesagt! Ich bin ein Idiot, dass ich deinen Vorschlag angenommen habe!“
„Und jetzt?“, fragte Moni.
„Sag du es mir!“ Ferdi war außer sich.
„Es ist ja wohl offensichtlich, dass sie sich abgesprochen haben. Wie sonst könnten alle Zusagen zum gleichen Zeitpunkt bei dir ankommen?“ Moni grinste böse. „Dir wird nichts anderes übrigbleiben als von deinem Posten als Vorsitzender zurückzutreten!“
„War das dein Plan?“ Ferdi schaute seine Monika ungläubig an. Er hörte noch ihre Worte: „Wenn du diesen verflixten Vorstandsposten nicht aufgibst, lasse ich mich scheiden!“ Er hatte es als leere Drohung empfunden und einfach weitergemacht. Dass Moni so hinterhältig sein konnte!
„Das war mein Plan und er hat ja funktioniert!“ Moni war siegesgewiss. Endlich war es soweit. Keine blöden Sitzungen mehr, keine durchgemachten Nächte zum Bau eines neuen Umzugswagens. Keine Ausflüchte mehr, wenn sie einen Urlaub planen würde, der in den Zeitraum vom 11.11. bis zum Aschermittwoch lag.
„Das hast du dir so gedacht, ja? Aber da bist du schief gewickelt, meine Liebe! Ich werde es den anderen erklären und die Rede zur Feier werde ich selbst halten. Sie wird von einer bösen Frau handeln, die ihren Mann ins offene Feuer laufen lässt!“
Moni verging das Grinsen als sie ihren Ferdi anschaute. So entschlossen hatte sie ihn noch nie gesehen und ihr war klar, dass sie das nicht gutmachen konnte. Aber versuchen würde sie es und wenn sie selbst dem Karnevalsverein „Sauer macht lustig“ beitreten würde. Man muss auch mal Opfer bringen.
© Regina Meier zu Verl