Gewissensbisse – Reizwortgeschichten

Anruf, Plan, nachdenklich, traurig, glücklich
Das waren die Wörter, die dieses Mal verarbeitet werden mussten.
Lest bitte auch bei meinen Mitschreiberinnen:
Lore
Martina

Gewissensbisse

„Gestern habe ich Gitta besucht. Sie war merkwürdig!“, erzählt Mona ihrer Freundin Claire.
„Wieso denn? Was meinst du?“, will Claire wissen. Sie drückt auf den Knopf der Kaffeemaschine, die sofort mit lautem Getöse ihre Arbeit beginnt.
„Ach egal, erzähle ich später!“, brüllt Mona. Es macht ihr keinen Spaß, gegen den Lärm anzureden und außerdem weiß sie nicht, ob sie Claire damit belasten sollte. Es handelt sich nur um ihre eigene Empfindung, eine Vermutung, die nicht belegbar ist. Auf jeden Fall hat der Besuch sie nachdenklich gemacht.
Claire stellt die beiden Tassen auf den Tisch, gibt ein wenig aufgeschäumte Milch dazu und streut eine Prise Kakaopuder auf den Milchberg.
„So, jetzt kannst du erzählen. Was ist merkwürdig?“, Claire nimmt einen Schluck Kaffee und schaut Mona erwartungsvoll an.
„Ach, vielleicht bilde ich es mir ein. Ich glaube, dass Gitta depressiv ist!“, sagte Mona.
„Sind wir das nicht alle?“ Claire verdreht die Augen. Sie hat keine Lust auf Problemgespräche.
„Nein, sind wir nicht. Ich jedenfalls bin nicht depressiv! Ich bin zwar mal traurig, dann wieder glücklich, ganz normal eben“, erwidert Mona und beschließt, das Thema zu beenden. „Lecker, dein Kaffee!“
Claire reagiert nicht, ihre Augen blicken in die Ferne, so, als sei sie gar nicht im Raum.
„Claire?“, fragt Mona und wedelt mit den Armen vor ihren Augen.
„Gitta ist einsam!“, sagt Claire schließlich. „Das solltest du aber längst bemerkt haben, es ist schon lange so“, Claire taucht einen Keks in den Kaffee.
„Natürlich weiß ich das, kann es aber auch nicht ändern!“, sagt Mona, die sich ertappt fühlt. Sie überlegt, wie lange es her ist, dass sie Gitta das letzte Mal besucht hat. „Drei Monate!“, sagt sie, als es ihr einfällt.
Claire schaut sie fragend an.
„Drei Monate sind vergangen, seit meinem letzten Besuch bei ihr“, gesteht Mona kleinlaut.
Die beiden schweigen und gehen eine Weile ihren eigenen Gedanken nach.
„So ein kleiner Anruf ab und zu täte gar nicht weh“, sagt Claire. Mona nickt zustimmend.
„Weißt du, dass sie sich selbst Postkarten schreibt?“, fragt Mona dann.
Claire nickt. „Habe ich mir gedacht, als ich die unzähligen Karten an ihrer Pinwand gesehen habe“, sagt sie. „Warum macht sie das?“
Mona zuckt mit den Schultern.
„Wie soll ich das wissen? Vielleicht tut es ihr gut, wenn mal eine Karte im Postkasten liegt, statt der Rechnungen oder Werbeprospekte.“, mutmaßt sie.
„Wir müssen was tun!“ Entschlossen steht Claire auf und setzt die Kaffeemaschine erneut in Bewegung. „Lass uns überlegen, was wir machen können!“, schlägt sie vor.
„Okay, wir machen einen Plan!“ Mona ist sofort einverstanden, sie liebt Pläne und To Do-Listen. Sie holt ihr Notizbuch aus der Handtasche, um festzuhalten, was gemacht werden soll.
„Also?“, Mona sieht Claire erwartungsvoll an.
„Also was?“
„Na, was machen wir zuerst?“
Claire überlegt.
„Wir laden sie ein!“
„Wozu laden wir sie ein?“
„Kinoabend?“, fragt Claire unsicher.
„Finde ich gut, für den Anfang. Reden kann man da nicht, aber vielleicht will Gitta das ja auch gar nicht. Außerdem sollte sie nicht merken, dass wir uns abgesprochen haben. Das ist ihr sicher nicht recht.“, sagt Mona.
Claire stimmt ihr zu und greift zum Telefon.
„Am besten machen wir das sofort!“, beschließt sie und wählt Gittas Nummer.
Als sie den Anrufbeantworter vernimmt, legt sie wieder auf.
„Warum hast du ihr nicht drauf gesprochen?“, fragt Mona.
„Ich hatte plötzlich eine bessere Idee. Wir fahren hin, jetzt!“

Wie sich herausstellt, war es eine richtig gute Idee. Ein Strahlen geht über Gittas Gesicht, als sie den Freundinnen die Tür öffnet.
„Kommt rein!“, sagt sie. „Ich habe mir gerade einen Tee gekocht, mögt ihr auch einen?“
Als sie die Küche betreten, liegt der Tisch voller Postkarten. Einige liegen auf einer Glasscheibe.
„Was wird das?“, fragt Mona.
„Etwas ganz Großartiges!“, verrät Gitta und erklärt, dass sie im Wartezimmer ihres Arztes ein Bild gesehen hat, das viele, viele Postkarten auf der einen Seite hatte und daneben eines, das die Rückseiten von handgeschriebenen Postkarten zeigte.
„Und die Bilderrahmen hatten beide von hinten Glas, so dass man jederzeit auch die jeweiligen Rückseiten sehen konnte. Ich fand das so toll, dass ich das unbedingt auch machen wollte und so habe ich all meine Postkarten zusammengesucht, um mir selbst so ein Kunstwerk zu schaffen. Von euch beiden sind auch Karten dabei! Wie gut, dass ich alle immer gut aufgehoben habe, da kommt im Laufe der Jahre einiges zusammen.“

Mona und Claire schauen sich verdutzt an, dann lachen beide laut los. Das klingt so fröhlich, ja beinahe erleichtert, dass Gitta mit einstimmt und eigentlich gar nicht weiß, worüber sie lacht. Aber das ist eigentlich egal, jedenfalls in diesem Moment!

© Regina Meier zu Verl

3 Kommentare zu „Gewissensbisse – Reizwortgeschichten

  1. Was für ein großartiges Ende, liebe Regina! Das kennen wir wohl alle, dass wir das eine oder andere Mal etwas falsch interpretieren. Aber wie gut, wenn wir, wie in diesem Fall, mal falsch liegen! – Danke dir für die tolle Geschichte mit dem großartigen Schluss! Stürmische Grüße! 😉 Martina

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    1. Danke schön, liebe Martina,
      stimmt, in diesem Fall war es gut, dass die Freundinnen so daneben lagen. So ein Bild habe ich übrigens mal in einem Wartezimmer gesehen und fand das toll. Leider habe ich noch nicht den richtigen Rahmen dafür gefunden, Postkarten habe ich sicherlich genügend, die ich da einrahmen könnte.
      Einen schönen Sonntag dir, ich hüpfe nun in deinen Blog
      Regina

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