Heilender Kuchen


Heilender Kuchen

Henriette Sommer lebte in einer kleinen Stadt. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie ein kleines Reihenhaus am Stadtrand gekauft. Seit Johannes vor zwei Jahren verstorben war, lebte sie dort allein und stellte immer wieder fest, dass das Haus für sie allein eigentlich viel zu groß war. Doch verkaufen wollte sie es nicht, denn viele schöne Erinnerungen an die gemeinsamen Jahre mit ihrem Mann waren damit verbunden.

Ihr Blick fiel auf den Sessel, in dem er immer gesessen hatte, seine Pfeife in der Hand und stets ein vergnügtes Funkeln in den Augen. Sie hatte seinen Humor geliebt. Er konnte sie immer zum Lachen bringen, wenn sie mal wieder verzagt war.

„Ach, Johannes, ich vermisse dich so“, murmelte Henriette. Es war wieder Zeit fürs Abendbrot, aber das bereitete ihr keine Freude mehr.

Früher hatten sie gern lange am Tisch gesessen, gegessen und sich über ihren Tag ausgetauscht, denn auch im Ruhestand hatten sie oft getrennte Wege eingeschlagen. Henriette war ein geselliger Mensch, der Begegnungen mit anderen brauchte. Johannes hingegen war zufrieden, wenn er im Garten arbeiten, ein gutes Buch auf der Terrasse lesen oder in seinem Lieblingssessel entspannen konnte.

Sie seufzte leise und lauschte der Stille. Sie musste hier raus! Mit gesenktem Kopf, ohne rechts und links zu schauen, eilte sie die Straße entlang. 

„Hoppla nicht so stürmisch!“ Henriette erschrak, da wäre sie doch beinahe mit einem Herrn zusammengestoßen, der geistesgegenwärtig zur Seite gesprungen war. 

„Entschuldigen Sie“, stammelte Henriette und merkte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. 

„Ist ja nichts passiert, außer, dass ich sehr erschrocken bin.“ Henriette sah in die vergnügt blitzenden Augen und schmunzelte.

„Kann ich das mit einem Kaffee und einem leckeren Stück Kuchen wieder gut machen. Dort drüben ist ein Café, berühmt für die Backwaren und bekannt dafür, erschrockene Gemüter zu heilen.“

Im gleichen Moment hätte sie sich am liebsten hinter der Hecke versteckt. War sie denn von allen guten Geistern verlassen? Einen unbekannten Mann einfach so zum Kaffee einladen, das hatte sie ja noch nie gemacht und es passte auch so gar nicht zu ihr. Sie war eigentlich eher eine vorsichtige und zurückhaltende Frau. Egal – da musste sie nun durch, denn der nette Herr nickte erfreut mit dem Kopf.

„Kuchen, der heilt, das ist genau das Richtige für mich heute. Ich komme nämlich gerade vom Arzt!“

„Schlimme Nachricht?“, fragte Henriette vorsichtig. Der Mann, der sich bisher noch nicht vorgestellt hatte, schüttelte den Kopf. „ Kommen sie, das erzähle ich ihnen bei einer guten Tasse Kaffee und einem Stück des Wunderkuchens. Aber zuerst möchte ich mich vorstellen, mein Name ist Horst Weininger.“ 

„Henriette Sommer, wie die Jahreszeit“, Henriette lachte. 

„Dann auf, ins Café der berühmten Backwaren, Frau Sommer. Oder darf ich Sie Henriette nennen?“

„Klar, dann fühle ich mich gleich fünf Jahre jünger, Horst!“

Henriette schob den Teller zurück und lachte ihr gegenüber fröhlich an.

„Na, habe ich zu viel versprochen?“   Horst schmunzelte.

„Nein und ich spüre bereits die heilende Wirkung.“

Henriette lachte. „Das ist gut, sehr gut!“, sagte sie und winkte der Bedienung zu. „Bringen Sie dem Herrn doch noch einen von ihren wunderbaren Windbeuteln“, bat sie und fügt schmunzelnd hinzu: „Und ich könnte auch noch einen vertragen!“

„Sehr gern, Frau Sommer!“, antwortete die junge Frau.

„Man kennt Sie hier, heilen Sie all ihre Wehwehchen mit Kuchen?“, wollte Horst jetzt wissen. „Dann gibt es aber wohl nicht allzu viele, bei ihrer schlanken Figur, wenn ich das mal so sagen darf?“

Henriette errötete. Sie fühlte sich wie ein junges Mädchen bei der ersten Verabredung. Es ist schön sich mal wieder mit einem so aufmerksamen Menschen zu unterhalten, und Horst war ihr sehr sympathisch. Sie fühlte sich ausgesprochen wohl in seiner Gegenwart.

Es schien Horst ebenso zu gehen, denn als sie sich verabschieden wollten, bat er um ein Wiedersehen.  Sie spazierten gemeinsam durch die Parks, gingen ins Theater und ganz oft besuchten sie das Café mit den heilenden Kuchen, ist doch klar, oder?

© Regina Meier zu Verl

 



5 Kommentare zu „Heilender Kuchen

  1. Eine wieder sooo schöne, direkt ins Herz gehende Geschichte, liebe Regina und wie auch Bruni hier schon schreibt, bräuchten wir mehr Geschichten dieser Art, die das liebe Leben und des Schicksals Macht in so wunderschöner Weise aufzeigen.
    Liebe Grüße, Hanne

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