Die dicke Wolke
„Hast du Hausaufgaben auf, Emmy?“, fragt Mama, als ich aus der Schule komme.
„Klar, heute sollen wir einen Aufsatz schreiben: Wie schön die Welt im Frühling ist. Das kann ich nicht!“ Erstaunt sieht Mama mich an.
„Du kannst doch tolle Geschichten erfinden, da dürfte es dir doch nicht schwerfallen, einen Aufsatz zu schreiben.“
„Ich mag aber nicht schreiben, ich male lieber Bilder oder höre Musik. Aufsätze sind blöd, megablöd!“, knurre ich und weiß doch, dass ich mich nicht drücken kann. Dabei würde ich so gern malen, mit den neuen Farben, die ich zu Ostern bekommen habe.
„Schreiben, das ist wie das Malen mit Worten!“, behauptet Mama.
„Kann ich zuerst etwas in den Garten gehen? Die Sonne ist so toll!“
Dagegen hat Mama nichts, frische Luft tut gut, sagt sie immer.
Die Krokusse blühen und auch die Narzissen leuchten schon. Es ist noch recht kühl, aber wunderbar. Der blaue Himmel verspricht gutes Wetter auch für die nächsten Tage. Nur eine einzige Wolke zieht dort oben, sie kommt immer näher. Wie ein riesiger Elefant sieht sie aus, ich rufe ihr zu:
„Komm runter, lass mich auf deinen Rücken klettern, damit ich die Welt von oben sehen kann!“
Sie kommt näher, immer näher und dann spricht sie mit mir:
„Ich darf die Erde nicht berühren, dann werde ich zu Wasser. Aber du, schließ die Augen und stelle dir ganz fest vor, dass du auf meinen Rücken kletterst, dann wird es gelingen!“
Ich schließe fest die Augen und ich blinzle auch kein kleines Bisschen. Ich sehe, wie ich auf den Rücken des Wolkenelefanten klettere und schon steigt er mit mir auf. Es wird kälter, immer kälter und ich trau mich nicht, die Augen zu öffnen.
„Du kannst jetzt gucken!“, sagt die Wolke. Vorsichtig gehorche ich. Das gibt es doch nicht, ich sitze auf einem flauschig weichen Elefanten und sehe unseren Garten, der kleiner und kleiner wird. Dann erblicke ich die Schule und den Supermarkt. Winzig kleine, bunte Autos fahren dort unten und in der Stadt laufen die Menschen wie geschäftige kleine Ameisen umher. Wie lustig das aussieht.
Bald verändert die Wolke ihre Form und wird zu einem rassigen Rennpferd, schnell galoppieren wir am Himmel entlang, immer weiter. Unter uns sind Wälder und Seen, die in der Sonne glitzern.
„Da, schau, blühende Kirschbäume, ein ganzer Wald davon!“, rufe ich und komme aus dem Staunen nicht heraus. Das müssen die Obstplantagen sein, von denen Oma immer erzählt hat. Rauchende Schornsteine sehen aus wie Drachennasenlöcher.
„So, kleine Emmy, jetzt muss ich dich wieder nach Hause bringen, sonst vermissen dich deine Leute!“, sagt die Wolke und traurig stimme ich zu.
„Schade, es war ein toller Ausflug mit dir, vielen Dank!“ Gern würde ich noch weiterfliegen, aber ich möchte auch nicht, dass Mama traurig ist. Außerdem muss ich auch noch meinen Aufsatz schreiben, ich habe auch schon eine Idee.
Völlig außer Atem renne ich ins Haus, als die liebe Wolke mich sanft auf den Rasen purzeln lassen hat.
„Hast du es aber eilig, Emmy!“, ruft Mama noch, ich sitze aber schon am Schreibtisch und schreibe:
Wie schön die Welt im Frühling ist
Heute war ein besonders schöner Frühlingstag. Ich bewunderte die Blumen im Garten, als plötzlich eine dicke Wolke direkt über mir anhielt und mich einlud, eine Reise mit ihr zu machen. Das war eine Freude, die Welt mal von oben zu sehen. Leider hatte ich keinen Fotoapparat bei mir, aber ich schreibe es für euch auf, denn Schreiben ist wie Malen mit Worten.
© Regina Meier zu Verl
