Wichtelträume

Die Geschichte kannst du dir auch anhören, der Link ist unter der Geschichte zu finden

Wichtelträume

Der Wichtel Helmut hatte sehr unruhig geschlafen. Immer und immer wieder hatte er sich von einer Seite auf die andere gewälzt und doch keine Ruhe gefunden.
„Was war denn nur los mit dir, heute Nacht?“, fragte ihn seine Frau Erdmute beim Frühstück. „Das war ja nicht auszuhalten!“
„Habe ich doch selbst gemerkt“, brummte Helmut verstimmt. Schließlich konnte er nichts dafür, dass er so eigenartige Träume gehabt hatte.
Er wohnte nun schon 42 Jahre mit seiner Erdmute unter dem Stamm der Kastanie. In deren Wurzelwerk hatten sie sich wunderbar eingerichtet und ihre Kinder aufgezogen. Mittlerweile waren sie alt und die Kinder längst eigene Wege gegangen. Das war einerseits traurig, aber auch wieder schön, denn nun hatten sie auch wieder ein wenig mehr Zeit für sich selbst.
Nun hatte Helmut aber in der Nacht geträumt, dass da so eine furchtbare Handkreissäge am Werk gewesen war, die der alten Kastanie ans Leben wollte und sie ratzekahl abgesägt hatte. Glücklicherweise war es nur ein Traum gewesen, aber beunruhigt hatte Helmut das doch sehr. Als er Erdmute nun davon erzählte, schaute die ebenfalls sehr nachdenklich aus ihren klugen kleinen Augen.
„Meinst du, das könnte uns passieren? Deine Träume sind schon häufiger Wirklichkeit geworden, ich mache mir große Sorgen!“, sagte sie nachdenklich.
„Weißt du, meine Liebe, es war ein sehr langer Traum, ich glaube beinahe, dass er die ganze Nacht gedauert hat. Sie sägten die Kastanie ab, ließen aber den Baumstumpf stehen, so dass unsere schöne Wohnung erhalten blieb. Es hat uns nicht so gut gefallen, aber Ernestine Eule hatte eine gute Idee, sie wies alle Eichhörnchen an, fleißig Haselnüsse für uns zu sammeln.“, erzählte Helmut.
„So, so“, antwortete Erdmute. „Was wollten sie denn mit den vielen Haselnüssen und was hat das mit unserer Kastanie zu tun? Ich verstehe das nicht!“
„Dann hör weiter zu, liebe Erdmute! Die Nüsse gruben wir zusammen mit unseren Freunden rundum den Baumstumpf ein und wässerten sie gut“, erklärte Helmut.
„Aber warum denn nur?“, wollte Erdmute wissen.
„Ganz einfach: daraus sollten Haselsträucher wachsen, die sollten unseren Baumstumpf verstecken, damit niemand auf die Idee kam, den Stumpf aus dem Erdreich zu entfernen. Das wäre wahrlich eine Tragödie gewesen, nicht wahr?“
Erdmute nickte. Das verstand sie gut und sie wusste auch, dass die schönen Haselsträucher, die hinter dem Gartenzaun standen, prima Schatten spendeten im Sommer und vor Wind schützten im Herbst und sie rochen so gut, beinahe ein bisschen erdig. Diesen Geruch hatte Erdmute am liebsten, was ja klar ist, wo sie doch so heißt, nicht wahr?
„Na, dann haben wir ja noch einmal Glück gehabt in deinem Traum, mein Lieber!“, sagte Erdmute und strich ihrem Helmut liebevoll über den Arm.
„Stimmt!“, sagte Helmut. „Trotzdem werden wir Haselnüsschen sammeln und sie rundum die Kastanie in den Boden bringen, sicher ist sicher!“
„Du bist so klug und mutig, mein Liebster!“, sagte Erdmute und drückte ihrem Helmut einen dicken Schmatzer auf die Wange.
Und wenn du einen Haselnussbusch siehst, und am Abend darin ein Flimmern und Glimmen wahrnimmst, dann biege mal ganz vorsichtig die Zweige auseinander und schau nach, ob darin vielleicht der Baumstumpf einer alten Kastanie zu finden ist. Denn, wenn das so ist, dann kannst du vielleicht Helmut und Erdmute kennenlernen, die gerade bei Glühwürmchenlicht den Feierabend genießen, das wäre doch schön, oder?
© Regina Meier zu Verl

Erdmute – die Erdverbundene, althochdeutsch
Helmut – der Mutige, althochdeutsch

Hier kannst du dir die Geschichte anhören:

 

Wichtelträume

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Ein Geschenk fehlt

Ein Geschenk fehlt

Mit ihrem Wichtelgeschenk hatte sich Nora eine Menge Arbeit gemacht. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk.
„Mama, meinst du, dass Jana das Geschenk gefallen wird?“, fragte sie.
„Das glaube ich ganz sicher. Jana mag doch so gern Marzipan, da wird sie sich bestimmt über den tollen Fliegenpilz freuen, den du für sie geknetet hast. Er sieht zum Anbeißen aus!“
Nora stanzte Schneeflocken aus Silberpapier aus, dann machte sie sich daran, das Geschenk zu verpacken. Zuerst kam der Fliegenpilz, der in Folie eingepackt war, dann eine Tüte mit selbstgebackenen Plätzchen und zum Schluss wurden unzählige Schneeflocken hinzugefügt.
Eine dicke Schleife zierte das Päckchen und dann fehlte nur noch das Namensschild, das die Mutter schrieb, damit Jana die Schrift der Freundin nicht erkennen konnte.
Am nächsten Tag wurden die Wichtelgeschenke vor dem Unterricht bei der Lehrerin abgegeben. Das war ein geheimnisvolles Treiben, denn keiner der Mitschüler sollte das Geschenk des anderen sehen.
Nach der großen Pause ging es dann ans Verteilen.
„Jetzt gibt es allerdings ein Problem“, sagte Frau Winkel. „Ein Kind wird kein Geschenk bekommen, weil wir heute eine Krankmeldung haben. Die Mutter von Chris hat angerufen, er hat eine Mandelentzündung und kann nicht kommen.“
„Ach, der Arme“, riefen die Kinder und „Dann bringt er sein Geschenk eben mit, wenn er wieder in die Schule kommen kann!“
Frau Winkel nickte. sie freute sich, dass die Kinder so reagierten. Sie hatte eben eine tolle Klasse.
Die anderen Päckchen wurden einzeln verteilt und das war ein Spaß. Manche Kinder hatten Selbstgebasteltes geschenkt bekommen, andere Gebackenes. Es fanden sich viele gemalte Bilder und Fensterbilder, Weihnachtskarten mit geheimnisvollen Texten von Unbekannten und mancherlei Schnickschnack.
Dann war Jana an der Reihe auszupacken und machte einen Freudenschrei, als sie den Marzipanpilz entdeckte.
„Klasse, ich liiiiiebe Marzipan!“, rief sie.
Am Ende blieb Nora übrig, sie war die Einzige die kein Geschenk auspacken konnte und war doch ein wenig traurig darüber. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Doch die anderen Kinder fanden es gar nicht schön, dass eines von ihnen nun ohne eine Gabe dastand.
„Ich bin dafür, dass jeder von uns eine Kleinigkeit an Nora abgibt“, rief Ersin und machte gleich den Anfang. Zwei dicke Walnüsse legte er auf Noras Platz. Ein Schokoriegel kam von Maria, fünf Smarties von Tine, ein Teelicht mit Goldsternchen von Henry. Zum Schluss hatte Nora so viele kleine Geschenke, dass sie vor Freude ein Tränchen verdrückte.
„Beiß den Kopf ab!“, ordnete Jana an und hielt ihr den Fliegenpilz hin. „Ich esse dann den Rest!“
Sie verstand gar nicht, dass Nora sich vor Lachen kaum halten konnte. Diese biss vom Pilz aber nur ein ganz kleines Stückchen ab.
„Danke, der Rest ist für dich!“, sagte sie und Jana ließ es sich schmecken.
„Willste wirklich nichts mehr?“, fragte sie mit vollem Mund und schmatzte dabei laut.
Nora schüttelte den Kopf. Sie war glücklich, dass die Kinder mit ihr geteilt hatten und dass sich Jana so über ihr Geschenk gefreut hatte.
Was Schöneres konnte es doch nicht geben.

© Regina Meier zu Verl


So viele Geschenke und doch eines zu wenig … Foto © Regina Meier zu Verl