Weihnachten im Sommer

Weihnachten im Sommer

Das Problem bei Auftragsarbeiten ist, dass sie extrem zeitversetzte Themen haben. Ist ja klar, denn ein gewisser Vorlauf ist nötig. Also schreibe ich zurzeit an einem Adventskalender. Verrückt, oder?
Letzte Woche rief mich eine Dame vom Altenheim in der Nachbarstadt an. Sie bat mich um Hilfe. Ihre Idee war, den Bewohnern ihres Hauses in der Adventszeit jeden Tag eine Geschichte zu erzählen, also 24 Geschichten, die mit Weihnachten zu tun haben.
„Sie schreiben doch immer so schöne Geschichten“, lobte sie mich. „Unsere Bewohner lieben Ihre Erzählungen, weil sie von früher handeln.“
Das hörte ich natürlich gern. Selten bekommt man Rückmeldungen und der Applaus ist ja das Brot des Künstlers. Meine Gedanken rotierten bereits. Weihnachtsgeschichten hatte ich schon recht viele in meinem Repertoire, auch einige, die von alten Zeiten erzählten. Ich könnte also einfach ein paar davon zur Verfügung stellen, damit die nette Betreuerin sie vorlesen konnte.
„Das Besondere sollte sein, dass unsere lieben Hausbewohner mit einbezogen werden. Verstehen Sie, wie ich es meine?“, fragte sie.
Ich stutzte, hatte keine Ahnung, was sie vorhatte. Ich hustete erstmal und wartete, dass sie weiter sprach.
„Es wäre doch schön, wenn Sie zu uns kämen und mit unseren Gästen sprechen, sich ihre Erinnerungen an Weihnachten erzählen lassen und dann entsprechend die Geschichten dazu schreiben.“
‚Na toll’, dachte ich und fragte mich, ob die Dame eine Vorstellung davon hatte, was das für ein Zeitaufwand wäre für mich. Andererseits könnte es auch eine Chance sein. Oft hatten mich ältere Menschen inspiriert zu der ein oder anderen Geschichte. In meinem Kopf summte es verdächtig ‚Alle Jahre wieder’ und vor meinem inneren Auge zogen Engel mit lockigen Haaren vorbei, die mit Sternenstaub Spielzeuge verzauberten, die daraufhin zum Leben erwachten.
„Ich verstehe, dass Sie zögern“, sagte die nette Dame und unterbrach meine Gedanken. „Ich kann Ihnen auch kein Honorar anbieten, das Geld ist knapp. Aber ich verspreche Ihnen jede Menge Freude und leuchtende Augen!“
„Ich mach’s!“, sagte ich und grinste, weil ich mir das Gesicht meines Therapeuten vorstellte, der mir in vielen Sitzungen gesagt hatte, dass ich lernen müsste NEIN zu sagen. Womit er natürlich recht hatte, aber in diesem Fall … mal ehrlich, konnte ich hier wirklich nein sagen?
Wir verabredeten uns für die nächste Woche, um die Einzelheiten zu besprechen. Ich freute mich auf das erste Treffen.
Das Thermometer war an diesem Tag bereits auf 25 Grad geklettert, ich genehmigte mir ein dickes Eis, setzte mich an meinen Schreibtisch und öffnete eine neue Datei. ‚Von Menschen für Menschen’ nannte ich sie und schrieb meine ersten Gedanken auf. Als mein Mann von der Arbeit nach Hause kam, lief in meinem Zimmer eine Weihnachts-CD und ich mümmelte Weihnachtsplätzchen, die ich noch in einer Keksdose gefunden hatte.

© Regina Meier zu Verl