Krümelkinder – The children and their crumbs

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Bildquelle Zoosnow/pixabay

Krümelkinder

„Na du, wartest du auf den Bus?“, fragt die Taube Tilli die Amsel, die sich gerade neben ihr auf dem Wartehäuschen niedergelassen hat.
„Auf den Bus? Wie kommst du darauf? Ich brauche keinen Bus, ich kann doch fliegen!“, antwortet diese und kichert. Dieses Kichern klingt wie eine schöne Melodie.
„Worauf wartest du dann?“, will Tilli wissen.
„Auf den Frühling, meine Liebe, und du?“ Die Amsel schüttelt ein paar Wassertropfen von ihrem Gefieder.
„Ich warte auf die Kinder. Sie müssen gleich aus der Schule kommen!“ Tilli späht aufgeregt von rechts nach links und wieder zurück.
„Und dann?“, fragt sie die Taube. „Was hast du vor mit den Kindern?“
„Mit ihnen habe ich nichts vor. Ich warte darauf, dass sie ihre Butterbrote auspacken und dann ist meine Zeit gekommen!“ Tilli lacht gurrend, eine gewisse Vorfreude ist ihr anzumerken. Die Amsel schaut Tilli verständnislos an.
„Wieso? Warum?“, fragt sie neugierig.
„Na, sie packen ihre Brote aus und dann krümeln sie! Ich liebe Kinder, die krümeln. Sie haben ein Herz für uns Vögel!“, erklärt Tilli. Langsam beginnt die Amsel zu verstehen.
„Aha, und dann pickst du die Krümel auf!“, lacht sie. „Aber sag: Reicht das denn für eine Mahlzeit?“
„Mal ja, mal nein. Man darf halt die Hoffnung niemals aufgeben!“ Das klingt ernst. Der Amsel tut das leid, sie selbst hat großes Glück in diesem Winter, sie hatte immer etwas zu essen gefunden.
„Wie heißt du eigentlich?“, will Tilli nun von der Amsel wissen.
„Ich heiße Alice, so wie die Alice aus dem Wunderland!“, flötet die Amsel.
„Alice, heute ist dein Glückstag!“, ruft Tilli fröhlich aus. „Ich lade dich zum Essen ein!“
In diesem Moment kommt eine Schar aufgeregt schwatzender Schüler auf die Bushaltestelle zu. Sie setzen sich auf die Bank im Unterstand und packen, genau wie Tilli es vorausgesagt hatte, ihre Pausenbrote, oder das, was davon übriggeblieben ist, aus. Ja, und sie krümeln was das Zeug hält. Tilli läuft das Wasser im Schnabel zusammen, doch noch traut sie sich nicht hinunter. Erst als der Bus alle Kinder aufgenommen hat, fliegen die beiden Vögel auf den Boden und picken die Krümel auf. Tilli findet sogar ein riesiges Stück Brotkruste, das sie mit ihrer neuen Freundin teilt.
Zum Dank dafür singt Alice ein herrliches Frühlingslied und wenn ich mich nicht irre, dann habe ich die beiden gerade in trauter Einigkeit auf meiner Terrasse entdeckt. Dort habe ich nämlich eine Handvoll Sonnenblumenkerne verstreut, wie jeden Morgen.

© Regina Meier zu Verl

The children and their crumbs

„Hi, are you waiting for the bus?“ Tilli the dove asks the blackbird, who had just landed next to her on the roof of the bus shelter.
“For the bus? What makes you think that? I don’t need a bus, I can fly!”, she answers with a giggle. This giggle sounds like a lovely melody.
“What are you waiting for then?” Tilli wants to know.
“For springtime, my dear, and you?” The blackbird shakes a few drops of water rain drops off her feathers.
“I’m waiting for the children. They’ll be coming out of school any minute now!” Tilli looks excitedly to the right, and to the left and back again.
“And then?”, she asks the dove. “What are you going to do with the children?”
“I’m not going to do anything with them. I’m waiting for them to unpack their sandwiches and then my moment has come!”, Tilli laughs cooing, a certain anticipation hangs in the air. The blackbird gives Tilli a blank look.
“Why, why?”, she asks, longing to know.
“Well, they unpack their sandwiches and then they make crumbs! I love children who make crumbs. They have a heart for us birds!”, Tilli explains. Slowly but surely the blackbird begins to understand.
“Ah ha, and then you peck up the crumbs!” she laughs. “But tell me: is it enough for a whole meal?”
“Sometimes it is, and sometimes it isn’t. You must never give up hope!” This has an earnest ring to it. The blackbird is sorry, she had always been lucky this winter; she had always found something to eat.
“What’s your name?”, Tilli asks the blackbird.
“My name is Alice, like Alice in Wonderland!”, the blackbird sings.
“Alice, today is your lucky day!”, Tilli calls out happily. “I’ll treat you to a meal!”
At this very moment a crowd of excitedly chattering pupils make their way towards the bus shelter. They sit down on the bench under the roof and just as Tilli had predicted, they unpack their sandwiches, or what’s left of them. Yes, and they make no end of crumbs. Tilli’s beak begins to water, but she doesn’t have the courage to fly down just yet. As soon as all the children have got onto the bus, both birds fly to the ground and peck up the crumbs. Tilli even finds and huge piece of crust, which she shares with her new friend.

To express her thanks, Alice sings a wonderful springtime song and if I’m not mistaken, I have just discovered them both in trusted unity on my patio. You, see, I have just scattered a handful of sunflower seeds there, as every morning.

© Regina Meier zu Verl für die Übersetzung Helen Swetlik

Rechnen ist doch ganz einfach

Rechnen ist doch ganz einfach

„Das geht nicht!“, rief Mike und stampfte wütend mit dem Fuß auf. Er schickte einen Fluch hinterher. „Verflixt nochmal!“
„Es kann nicht gehen, weil es keine Beine hat!“, sagte Opa Heinz und wandte sich wieder seinem Buch zu.
„Boah, Opa, du drehst mir immer die Worte im Mund um!“
„Ich habe dich nicht angefasst!“, versicherte Opa. Er grinste, wusste er doch genau, dass er seinen Enkel leicht auf die Palme bringen konnte. Wohingegen im Zimmer keine Palme war und im Garten auch nicht. Opa grinste über seine eigenen Gedanken, er fand sich einfach witzig.
„Kannst du mir bitte mal helfen?“, bat Mike nun, der sich vergeblich bemüht hatte, die Rechenaufgabe zu lösen, die zu den Hausaufgaben gehörte. „Es geht einfach nicht, ich bin zu blöd für Mathe!“
„Ach was! Zeig mal her!“ Opa stand auf und blickte Mike über die Schulter. Er schaute sich die Aufgabe an und überlegte einen Moment. „Es geht, du musst einfach nur logisch denken!“, behauptete er dann.
„Wie? Es geht? Hat’s denn Beine?“ Mike kicherte. „Na? Habe ich dich mit deinen eigenen Waffen geschlagen?“, fragte er.
„Ich besitze keine Waffen, aber ich kann logisch denken!“ Opa grinste schon wieder. Er verriet aber die Lösung der Matheaufgabe nicht. Mike sollte selbst darauf kommen, dass sie eigentlich ganz einfach zu lösen war.
„Dann erkläre es mir bitte!“, bat Mike. „Oder noch besser, sag mir das Ergebnis, dann kann ich nämlich rausgehen und spielen!“
„Pass auf, zuerst mal richtig lesen, was dort steht. Also: drei Kinder haben 29 Gummibärchen geschenkt bekommen, die sie teilen sollen. Wie viele Gummibärchen bekommt jedes Kind?“, las Opa langsam vor.
„Das habe ich schon hundert Mal gelesen!“, meckerte Mike. „Das geht aber nicht!“
„Warum nicht? Ist doch ganz einfach, du teilst 29 durch 3 und dann weißt du es!“ Opa rollte mit den Augen. „Geh zu Oma und frag, ob sie eine Tüte Gummibärchen für uns hat!“, ordnete er an und das ließ sich Mike nicht zweimal sagen. Strahlend kam er mit einer nigelnagelneuen Tüte aus der Küche zurück.
„Also dann!“ Opa riss die Tüte auf und zählte 29 Gummibärchen ab. „Verteil die mal auf drei Häufchen!“
Mike verteilte die Bärchen auf drei Haufen und als er schließlich nur noch zwei übrig hatte, stampfte er wieder mit dem Fuß auf. „Siehst du, es geht nicht!“, schimpfte er.
„Wir haben nun also dreimal neun Bärchen, jedes Kind bekommt also neun Gummibärchen! Ist doch ganz einfach!“, sagte Opa stolz.
„Und was ist mit den zwei Bärchen, die übrigbleiben?“
„Die sind für mich!“, sagte Opa und schob sie sich genüsslich in den Mund. „Siehste, geht doch!“
Mike strahlte. War ja doch ganz einfach – eigentlich.
Er schrieb in sein Heft:
Jedes Kind bekommt neun Gummibärchen und den Rest isst Opa.
„Schreib noch dazu, dass es zwei Bärchen sind, die übrigbleiben, dann stimmt es genau und dein Lehrer weiß, dass du die Aufgabe verstanden hast. Jetzt testen wir aber noch, ob du wirklich verstanden hast, wie es funktioniert, okay?“
„Das geht nicht, Opa!“ Mike schnappte sich die drei Bärenhäufchen und wollte sich aus dem Staub machen.
„Warum nicht?“ Opa war verdutzt.
„Weils keine Beine hat, Opa!“

© Regina Meier zu Verl 2017

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Bildquelle Alexas_Fotos/pixabay

Geteilte Freude ist doppelte Freude

Geteilte Freude ist doppelte Freude

In der Schule gibt es einen Adventskalender. Vierundzwanzig Kästchen hängen an einem dicken Seil direkt über der Tafel. Jeden Tag darf eines der Kinder ein Päckchen öffnen und nach dem Wochenende sind es sogar drei Schüler, die an der Reihe sind.
Die Reihenfolge wurde ausgelost. Gut ist, dass es in der zweiten Klasse genau 24 Kinder gibt, schlecht ist, dass Michel die 24 gezogen hat und das ärgert ihn, wo er doch so neugierig ist. Aber da hilft nichts, er muss sich gedulden, eine gute Übung.
„Dafür ist dann gleich danach Heiligabend!“, tröstet ihn Jenny, die schon am zweiten Tag dran ist. Sie hat gut reden, denkt Michel und zieht eine Schnute. Oh, wie süß Jenny das findet, wenn Michel eine Schnute zieht. Zum Verlieben süß, Jennys Herz macht lauter kleine Hüpfer.
„Du, Michel“, flüstert sie.
„Ja, was denn?“, fragt der und er ärgert sich immer noch und es ärgert ihn auch, dass Jenny gar nicht mit dem Thema aufhören will.
„Wir könnten tauschen!“, schlägt Jenny vor und plötzlich hüpft Michels Herz so komisch. Diese Jenny ist eine Wucht, er fand sie vom ersten Tag an super.
„Das würdest du für mich tun?“, fragt er und wird ein bisschen rot im Gesicht, das steht ihm gut.
„Klar!“ Jenny grinst, für Michel würde sie alles tun.
„Perfekt – aber dann musst du ja so lange warten, das wäre nicht nett von mir.“ Jenny drückt Michel ihre Nummer zwei in die Hand.
„Nun mach schon, gib mir deine Nummer, muss ja keiner merken, nicht wahr?“ Sie tauschen und als Michel am zweiten Tag sein Päckchen öffnet und darin zwei Dominosteine, zwei Zimtsterne und zwei supersaure Kaugummikugeln findet, teilen die beiden den Schatz und dann warten sie gemeinsam auf den Tag, an dem Michel sein Adventspäckchen erhält. Sie werden wieder teilen, das steht fest.
„Geteilte Freude ist doppelte Freude, oder so ähnlich!“, lacht Jenny am letzten Schultag vor Weihnachten.
„Bingo!“, sagt Michel und dann drückt er seiner Jenny einen dicken Schmatzer auf die Wange. Dann wird er wieder ein bisschen rot und das steht ihm wirklich sehr gut.

© Regina Meier zu Verl

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Bildquelle annca/pixabay

Ein Geschenk fehlt

Ein Geschenk fehlt

Mit ihrem Wichtelgeschenk hatte sich Nora eine Menge Arbeit gemacht. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk.
„Mama, meinst du, dass Jana das Geschenk gefallen wird?“, fragte sie.
„Das glaube ich ganz sicher. Jana mag doch so gern Marzipan, da wird sie sich bestimmt über den tollen Fliegenpilz freuen, den du für sie geknetet hast. Er sieht zum Anbeißen aus!“
Nora stanzte Schneeflocken aus Silberpapier aus, dann machte sie sich daran, das Geschenk zu verpacken. Zuerst kam der Fliegenpilz, der in Folie eingepackt war, dann eine Tüte mit selbstgebackenen Plätzchen und zum Schluss wurden unzählige Schneeflocken hinzugefügt.
Eine dicke Schleife zierte das Päckchen und dann fehlte nur noch das Namensschild, das die Mutter schrieb, damit Jana die Schrift der Freundin nicht erkennen konnte.
Am nächsten Tag wurden die Wichtelgeschenke vor dem Unterricht bei der Lehrerin abgegeben. Das war ein geheimnisvolles Treiben, denn keiner der Mitschüler sollte das Geschenk des anderen sehen.
Nach der großen Pause ging es dann ans Verteilen.
„Jetzt gibt es allerdings ein Problem“, sagte Frau Winkel. „Ein Kind wird kein Geschenk bekommen, weil wir heute eine Krankmeldung haben. Die Mutter von Chris hat angerufen, er hat eine Mandelentzündung und kann nicht kommen.“
„Ach, der Arme“, riefen die Kinder und „Dann bringt er sein Geschenk eben mit, wenn er wieder in die Schule kommen kann!“
Frau Winkel nickte. sie freute sich, dass die Kinder so reagierten. Sie hatte eben eine tolle Klasse.
Die anderen Päckchen wurden einzeln verteilt und das war ein Spaß. Manche Kinder hatten Selbstgebasteltes geschenkt bekommen, andere Gebackenes. Es fanden sich viele gemalte Bilder und Fensterbilder, Weihnachtskarten mit geheimnisvollen Texten von Unbekannten und mancherlei Schnickschnack.
Dann war Jana an der Reihe auszupacken und machte einen Freudenschrei, als sie den Marzipanpilz entdeckte.
„Klasse, ich liiiiiebe Marzipan!“, rief sie.
Am Ende blieb Nora übrig, sie war die Einzige die kein Geschenk auspacken konnte und war doch ein wenig traurig darüber. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Doch die anderen Kinder fanden es gar nicht schön, dass eines von ihnen nun ohne eine Gabe dastand.
„Ich bin dafür, dass jeder von uns eine Kleinigkeit an Nora abgibt“, rief Ersin und machte gleich den Anfang. Zwei dicke Walnüsse legte er auf Noras Platz. Ein Schokoriegel kam von Maria, fünf Smarties von Tine, ein Teelicht mit Goldsternchen von Henry. Zum Schluss hatte Nora so viele kleine Geschenke, dass sie vor Freude ein Tränchen verdrückte.
„Beiß den Kopf ab!“, ordnete Jana an und hielt ihr den Fliegenpilz hin. „Ich esse dann den Rest!“
Sie verstand gar nicht, dass Nora sich vor Lachen kaum halten konnte. Diese biss vom Pilz aber nur ein ganz kleines Stückchen ab.
„Danke, der Rest ist für dich!“, sagte sie und Jana ließ es sich schmecken.
„Willste wirklich nichts mehr?“, fragte sie mit vollem Mund und schmatzte dabei laut.
Nora schüttelte den Kopf. Sie war glücklich, dass die Kinder mit ihr geteilt hatten und dass sich Jana so über ihr Geschenk gefreut hatte.
Was Schöneres konnte es doch nicht geben.

© Regina Meier zu Verl


So viele Geschenke und doch eines zu wenig … Foto © Regina Meier zu Verl