Traumhaft

Traumhaft

Eigentlich wollte ich ihm nach dem Konzert einen Brief schreiben. Ich verwarf den Gedanken dann aber, weil ich nicht sicher sein konnte, dass er ihn auch lesen würde. Vielleicht ginge dieser Brief dann durch viele Hände und wenn er überhaupt bei ihm ankommen sollte, dann wäre es sicherlich einer von vielen. Sinnlos!

Die Brillanz seines Vortrages hatte mich begeistert. Er erreichte mich und mein Herz. Was für ein Geschenk war dieser Mann. Ganz allein stand er dort auf der Bühne, verbeugte sich und nahm dann seine Gitarre, um uns mit dem Reigen seiner Lieder zu erfreuen. So konnte nur ein Mensch singen, der völlig hinter dem stand, was er mitzuteilen hatte. Er sang vom Leben, von der Liebe und der Natur, teils melancholisch, dann wieder fröhlich. Manche Lieder klagten an, immer leise aber bestimmt. Vom Krieg sang er und denen, die nicht zurückgekommen waren.

Ich befand mich in einem Wechselbad der Gefühle, teils freudig erregt, dann wieder traurig. Ich war mir plötzlich meiner eigenen Mittelmäßigkeit bewusst, doch ohne Neid. Ich genoss diese zwei Stunden so sehr. Es war herrlich, dabei zu sein. Ich war Teil des Ganzen und dieser besonderen Stimmung, die sich unter den Zuschauern entwickelte. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er nur für mich sang.

Dann hörte ich die ersten Töne meines Lieblingsliedes. Ich schloss die Augen und genoss es einfach. Eine Gänsehaut kroch über meinen Körper und ließ mich erschauern, so viel Gefühl für ein Lied, das ich, wenn ich zu Hause allein war sang. Jeden Ton kannte ich, jeden Akkord, jede Variation – seit vielen Jahren. Plötzlich war ich nicht mehr in dem Saal mit den vielen Menschen. Ich saß auf der Bühne neben ihm und lauschte.

„Schatz, es ist schon spät“, wie durch eine Wolke vernahm ich die Stimme meines Mannes. Ich kniff fest die Augen zu, wollte noch nicht erwachen aus diesem Traum, der immer an dieser Stelle endete. Ich wollte weiterträumen, erfahren, was geschehen würde.
„Ich komme!“, sagte ich und streckte mich. „Ich habe so schön geträumt!“
„Ich habe es gehört!“ Mein Mann lachte und summte eine meiner Traummelodien.

Beim Frühstück legte ich eine CD ein, um den Traum noch ein wenig nachwirken zu lassen. Wir kauten und schwiegen – ja, und wir lächelten, denn seit vielen Jahren war dieser Sänger Gast an unserem Frühstückstisch.
„Der einzige Mann, auf den ich nicht eifersüchtig bin!“, behauptet mein Mann. So richtig glaube ich ihm das nicht.

© Regina Meier zu Verl

Zu schön, um wahr zu sein

Zu schön, um wahr zu sein

Wenn Franjo sich dazu entschloss auf einem Fest zu erscheinen, dann war das eine Ehre für den jeweiligen Gastgeber. Man riss sich darum, ihn einzuladen und wenn er zusagte, dann ließ man die feinsten Speisen auffahren und bot die köstlichsten Getränke an. Ein Gast wie Franjo bereicherte jedes Fest, man durfte stolz sein, ihn zu seinen Freunden zu zählen.
Der liebe Gott hatte es gut mit ihm gemeint, als er ihn mit all den Vorzügen ausstattete, die ein schöner Mensch haben sollte. Sein dichtes, leicht gewelltes Haar fiel in rasantem Schwung nach hinten, wenn er den Kopf hob und seinem Gegenüber die Ehre erwies mit ihm reden zu dürfen. Makellos war seine Haut und die Augen strahlten wie Edelsteine. Seine gepflegten Hände setzte er gekonnt zur Unterstützung der Sprache ein, wenn er von seinen Reisen berichtete, die ihn in die ganze Welt geführt hatten. Kurz gesagt: er war ein Bild von einem Mann.
Franjo macht sich nichts aus modischen Trends. Schwarze Hosen trug er, maßgeschneidert selbstverständlich. Dazu weiche schwarze Lederslipper, die er in Italien anfertigen ließ. Seinen muskulösen Oberkörper betonte er mit einem Shirt aus tiefschwarzer Seide, nicht zu eng, aber doch so figurbetont, dass man seinen Waschbrettbauch erahnen konnte. Eine leichte Duftwolke umgab ihn, nicht zu kräftig, eher leicht würzig, ein wenig frisch, atemberaubend.
Die Linie seiner Oberlippe war so markant, dass jede Frau mit ihrem Blick dort verharrte und sich kaum lösen konnte. Wenn er lachte, fielen seine leuchtend weißen Zähne auf, die ebenmäßig aufgereiht wie eine Perlenkette einfach perfekt waren.

Gerade sitzt Franjo auf der Terrasse und genießt einen Gin Tonic, in dem eine Kugel Zitroneneis schwebt, als ihn die Stimme seiner Frau aus seinen Gedanken reißt.
„Franz-Josef! Kannste grad Kartoffeln aussem Keller holen? Ich sehe gar nicht ein, dass ich hier immer alles alleine machen soll. Beweg deinen dicken Hintern und zieh dir in Gottes Namen was über!“
Franjo seufzt. Er nimmt sein Hawaiihemd in Größe 3XL, steigt in seine Birkenstocklatschen und tut, was seine Frau von ihm erwartet. Später wird er dann weiterträumen, es war gerade so schön.
© Regina Meier zu Verl 2015

Bine und die Traumfee

Bine und die Traumfee    unter dem Text auch zum Anhören

Bine konnte vor Müdigkeit kaum die Augen offenhalten. Aber schlafen wollte sie auf keinen Fall, denn in ein paar Minuten war es so weit, ihr sechster Geburtstag stand bevor. Sie freute sich sehr, denn das bedeutete, dass sie bald in die Schule gehen durfte. Sie war jetzt ein großes Mädchen.
Ob sie wohl die tolle Schultasche mit dem Einhorn darauf bekommen würde? Bine war mächtig gespannt. Im Haus war es still, nichts regte sich. Wäre heute nicht Vollmond, dann hätte sie im Zimmer nichts sehen können.
Bine schaute im Zimmer umher und versuchte krampfhaft die Augen offen zu halten. Trotzdem nickte sie kurz ein. Plötzlich tippte jemand leicht auf ihre Schulter. Bine erschrak und wusste zuerst gar nicht, wo sie war.
„Na, du bist mir ja ein Geburtstagskind!“, sagte eine feine Stimme, die Bine nie zuvor gehört hatte. „Du verschläfst den Anfang deines Geburtstages. Und das, wo wir uns so große Mühe gegeben haben, es richtig schön für dich zu machen!“
„Wer bist du und warum habt ihr euch so viel Mühe gegeben?“ Sie warf einen Blick zum Fenster, durch das der dicke Vollmond grinste. Es sah so aus, als lache er sie aus.
„Nun, da draußen bin ich nicht, da musst du mich nicht suchen.“ Das Stimmchen kicherte. „Ich bin hier bei dir im Zimmer, besser gesagt: wir sind hier in deinem Zimmer!“
Bine schaute sich um. Alles sah aus wie immer, oder halt… hatte sich dort im Bücherregal etwas bewegt.
„Hey, sitzt da jemand in meinem Regal?“, flüsterte Bine aufgeregt.
Dicht an Bines Ohr kicherte jemand.
„Das ist der Bücherwurm, der wohnt da!“
Bine erschrak. „Igitt, ein Wurm, der macht mir alle meine schönen Bücher kaputt.“
„Keine Sorge“, beruhigte die Stimme. „Er gräbt nur einen Weg für dich, damit du in unsere Welt, die du so liebst, eintreten kannst, denn wir haben für dich eine Geburtstagsparty vorbereitet. Schließlich ist es ein besonderer Geburtstag, denn schon bald wirst du lesen lernen und kannst dann all die Geschichten selbst lesen.“
„Ja, darauf freue ich mich schon. Einige Buchstaben kenne ich schon, zum Beispiel die aus meinem Namen“, sagte Bine stolz. Dann stockte sie. „Aber jetzt möchte ich erst einmal wissen, wer du bist. Sitz du etwa in meinem Ohr? Bist du ein Ohrwurm?“
Gekicher. „Nein, ich bin kein Wurm. Halte einmal deine Hand vor dich, mit der Handfläche nach unten!“
Bine hielt ihre Hand vor sich, genauso, wie die Stimme es gesagt hatte. Plötzlich kitzelte etwas ihren Handrücken und Bine entdeckte die kleine Fee, die sich dort niedergelassen hatte. Ihr entfuhr ein „Oh-wie-niedlich“.
Die Fee kicherte. „Ich wusste, dass du das sagen würdest!“, sagte sie.
„Wie konntest du das wissen?“
„Ich kenne dich schon etwas länger. Ich bin nämlich deine Traumfee, liebe Bine. Ich bin bei dir, aber nur wenn du schläfst, heute mache ich eine Ausnahme, weil doch dein Geburtstag ist! Herzlichen Glückwunsch übrigens!“
„Danke schön!“, sagte Bine höflich.
„So, nun geht es aber los“, sagte die Traumfee. „Zuerst muss du erraten, in welchem deiner Bücher der Bücherwurm einen Pfad für dich gebuddelt hat!“
Bine überlegte einen Moment.
„Ich habe keine Ahnung, kannst du mir einen Tipp geben, bitte?“, bettelte Bine.
„Ja, es ist dein Lieblingsbuch!“, verriet die Traumfee.
„Dann ist es das dicke Märchenbuch von Oma, aus dem mir meine Eltern jeden Abend eine Geschichte vorlesen! Richtig?“
„Ganz genau! Kannst du das Buch bitte einmal holen?“, bat die Traumfee. „Ich setze mich wieder auf deine Schulter, weil du beide Hände zum Tragen brauchst.“
Bine holte das dicke Buch aus dem Regal und trug es zum Bett. Dann kuschelte sie sich wieder unter die Decke, denn es war noch recht kalt nachts, obwohl der Frühling draußen schon überall zu spüren war.
„Gut so! Schlag nun die Seite mit deiner Lieblingsgeschichte auf!“, bat die Traumfee und da musste Bine gar nicht lange überlegen.
„Das ist die Geschichte von Benno, dem Hund, der von zu Hause weggelaufen war.“
„Hihi, ich wusste, dass du das sagen würdest!“, kicherte die Traumfee. „Mindestens einmal in der Woche müssen deine Eltern die vorlesen und wenn deine Oma zu Besuch ist, dann täglich!“ Die kleine Fee lachte so reizend, dass Bine mit einstimmte. Die Traumfee hatte ja recht, sie, Bine, kannte die Geschichte in und auswendig, so oft hatte sie die schon gehört.
Bine schlug also die Seite auf und staunte nicht schlecht, als da auf der Zeichnung vom Hund Benno der Bücherwurm saß und sie angrinste.
„Hey, Bine, happy Birthday!“, sagte er.
„Oh, wie niedlich!“, rief Bine und entschuldigte sich sofort dafür. „Ist mir so rausgerutscht, Entschuldigung!“
„Nun ja“, sagte der Bücherwurm. „Es gibt schlimmere Adjektive!“
„Hä?“ Bine stutzte. Das Wort kannte sie nicht.
„Wie-Wörter“, versuchte der Bücherwurm zu erklären, merkte aber, dass es das nicht besser machte.
„Lern erst einmal lesen, danach lernst du dann, dass Wie-Wörter beschreiben, wie etwas ist. Zum Beispiel ‚die dunkle Nacht‘, da ist dunkel das Wie-Wort!“, fügte er noch hinzu.
Damit gab sich Bine für den Moment zufrieden.
„Pass auf, du musst nun ganz still sein und die Augen schließen, denn jetzt geht die Party richtig los!“, flüsterte die Traumfee.
Bine schloss die Augen und lauschte. Unter der Decke war es schön warm und mittlerweile war schon fast eine halbe Stunde ihres Geburtstages vergangen. Sie hielt die Augen geschlossen und mit einem Mal sah sie die Traumfee, die mit ihren Freundinnen einen Reigen tanzte und der Bücherwurm stand auf einem Hocker und dirigierte ein Orchester, das wunderbare Musik machte. Da waren Grillen, die auf der Geige spielten, ein Hirschkäfer saß am Klavier, Frösche quakten im Takt der Musik und ein Spatzenchor sang ein Geburtstagslied. Wie schön das klang. Bine stand auf und klatschte vor Freude in die Hände und dann wurde sie an die Hand genommen und tanzte mit den Feen. Ein bisschen wunderte sich Bine, dass die Feen genauso groß waren wie sie selbst – aber was spielte das für eine Rolle, wenn man glücklich war, nicht wahr?

„Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück!“, sangen Mama und Papa. Bine öffnete verschlafen die Augen und wusste in diesem Moment gar nicht wo sie war. Hatte sie nicht gerade noch mit den Feen getanzt?
Mama hatte einen Kuchen in der Hand, auf dem sechs Kerzen brannten.
„Auspusten, meine Große!“, sagte Mama. Bine richtete sich auf und wollte gerade pusten, als ihr das dicke Märchenbuch in den Bauch piekte. „Au!“, rief sie und Mama wunderte sich, wie es denn auf Bines Bett gekommen war.
Bine sagte nichts, sie wollte nicht, dass die Erwachsenen das einfach abtaten mit einem: Das hast du sicher nur geträumt. Denn sie war fest davon überzeugt, dass ihr Erlebnis in der Nacht ganz echt wahr gewesen war. Bombensicher!

© Regina Meier zu Verl

Bine und die Traumfee – zum Anhören
Photo by Fru00f6ken Fokus on Pexels.com

Tims Gedankenreisen

Tims Gedankenreisen

Heute habe ich mal wieder eine kleine Reise gemacht. Schön war’s! Meine Eltern glauben mir das ja nicht. Sie sagen, dass ich zu viel Fantasie habe.
Ganz ehrlich gesagt: Sie haben keine Ahnung. Manchmal tun sie mir sogar ein bisschen leid. Dabei ist alles so einfach. Wie gern würde ich sie einmal mitnehmen. Doch sie sagen, dass sie keine Zeit haben. Schade!
Ich brauche dafür nur zwei Cent, vielleicht ginge es sogar ganz ohne Geld, aber so ist es angenehmer. Ich hole mir für zwei Cent einen Kirschlutscher bei Tante Conny, unten im Kiosk. Manchmal bekomme ich einen zweiten geschenkt und das freut mich dann immer total.
Mit dem leckeren Lutscher lege ich mit auf mein Bett und schließe die Augen. Dann dauert es gar nicht lange und ich sehe in Gedanken eine dicke Wolke heranschweben. Wie auf einem Bahnhof: die Wolke kommt, ich steige auf, stecke den Kirschlolli in den Mund und schon geht es los. Langsam erheben wir uns in die Luft. Ich sehe unser Haus, den Garten, das Dorf und dann fliegen wir weiter, die Wolke und ich.
Heute waren wir an der Nordsee. Dort war ich mit meinen Eltern schon oft, deshalb erkenne ich auch genau, was dort unten zu sehen ist. Zum Beispiel der Leuchtturm, das war der von Borkum. Ich meine den rot-weiß geringelten, sicher kennt ihr den auch. Auf Borkum gibt es ja noch zwei, die gefallen mir auch, aber eben nicht so gut wie der Kleine. Das Rot-Weiß kann man auch erkennen, wenn der Turm nicht beleuchtet ist, tagsüber strahlen die Farben schon von weitem.
Die Wolke bringt mich überall hin, ich muss es mir nur vorstellen und schon bin ich da. Das ist so toll, probiert es doch auch mal aus.
Ihr meint, dass es Träume sind? Nein, nein, ich schlafe ja gar nicht, ich reise und das ist wirklich wahr. Ich höre sogar, wenn Papa nach Hause kommt und nach mir ruft. Dann lasse ich mich ganz schnell wieder auf dem Boden absetzen und unterbreche die Reise kurz, um Papa zu begrüßen. Fröhlich erzähle ich vom Leuchtturm und vom schönen Wetter am Meer. Er streicht mir dann übers Haar und sagt: „Mein kleiner Märchenerzähler!“
Tja, so ist das mit Papa, er glaubt mir nicht und denkt, dass er zu alt ist für Gedankenreisen.
Dabei könnte er das auch, er muss es einfach nur ganz fest wollen.
Probiert es doch auch mal aus und denkt an den Kirschlutscher!

P.S. Mama sagte noch, dass ich unbedingt dazu sagen muss, dass man, wenn man das ausprobiert hinterher die Zähne putzen soll … also: macht das!

© Regina Meier zu Verl

pexels-photo-4016507.jpeg
Photo by Karolina Grabowska on Pexels.com

Der Prinz mit den goldenen Haaren

Der Prinz mit den goldenen Haaren

Feli lag in ihrem Bett und versuchte, sich an das Lied zu erinnern, das Oma am Nachmittag vorgesungen hatte. Es hatte ihr so gefallen, aber sie bekam es einfach nicht mehr zusammen. Von einem goldenen Wagen war die Rede gewesen und Feli erinnerte sich noch, dass Oma gesagt hatte, dass es sich um eine Kutsche handelte.
Doch alles Grübeln half nichts. Morgen würde sie Oma fragen. Und mit diesem Gedanken schlief sie ein.
Wenn man vorm Schlafen grübelt, dann kann es passieren, dass das Grübelthema sich in den Traum schleicht. Genau das erlebte Feli. Ein goldener Wagen fuhr an ihr vorbei und darin saß ein junger Mann mit goldenen Haaren. Nun, wahrscheinlich waren sie blond, aber im Traum und im Märchen ist alles möglich, nicht wahr?
Viele Menschen standen am Straßenrand und winkten ihm zu. Doch der junge Mann verzog nur arrogant das Gesicht und beachtete die Menge nicht.
„Wer ist das?“ fragte Feli einen Mann, der neben ihr stand.
„Du kennst den nicht?“, antwortete der verärgert. „Das ist unser hochwohlgeborener Prinz, der trägt seine Nase so hoch, dass er nicht merkt, dass sein Volk beinahe verhungert!“
Die Frau neben ihm stieß ihn in die Seite. „Sei still Mann, man könnte dich hören!“
„Soll doch ruhig jemand hören, kein Wort ist gelogen, alles ist wahr!“, sagte der Mann noch eine Spur lauter und erzählte weiter. „Der Prinz ist auf der Suche nach einer Frau Gemahlin, aber er wird niemals eine finden!“, er lachte laut auf. „Wer will schon so einen Schnösel heiraten?“
Feli erschrak, hoffentlich hatte der Prinz das nicht gehört. Sie mochte ihn nämlich. Er sah doch so wunderschön aus mit den langen blonden Haaren und den wundervollen Kleidern aus Samt. Der arrogante Ausdruck in seinem Gesicht gefiel ihr allerdings auch nicht so gut.
Am Ende des Weges drehte das Gespann um. Schnell lief Feli auf die andere Seite, um noch ein weiteres Mal einen Blick auf den Prinzen zu erhaschen und vielleicht sah er sie ja dann auch. Felis Herzchen klopfte etwas schneller bei dem Gedanken.
Da hatte sie sich aber getäuscht, genau wie die anderen Zuschauer am Straßenrand war sie nur Luft für ihn. Dann eben nicht! Empört drehte Feli ihm den Rücken zu. Auf einmal hörte sie es splittern und dann einen markerschütternden Schrei.
Feli setzte sich im Bett auf. „Mama!“, rief sie laut. Doch alles war ruhig im Haus. ‚Es war nur ein Traum‘, flüsterte Feli und ließ sich zurück ins Kissen sinken. Ans Einschlafen war aber nicht mehr zu denken. Ganz genau erinnerte sich Feli an den Traum und zu gern hätte sie nun gewusst, wer da geschrien hatte und was zu Bruch gegangen war. Schließlich packte Feli ihren Teddy und ging hinüber ins Elternschlafzimmer, wo sie sich zu Mama kuschelte. Ach, das tat gut. Hier fühlte sie sich sicher.
„Was ist denn los,“ murmelte die Mutter.
„Ich habe schlecht geträumt.“
„Dann erzähl mal, aber leise, damit Papa nicht wach wird.“ Flüsternd erzählte Feli von Omas Lied, das ihr nicht einfallen wollte und dann von ihrem Traum. Die Mutter schmunzelte und sang ihr leise ins Ohr.
„Machet auf das Tor, machet auf das Tor, es kommt ein goldner Wagen. Wer sitzt darin, wer sitzt darin, ein Mann mit goldnen Haaren.“ Feli kicherte. „Der Prinz in meinem Traum war ja auch wunderschön und hatte goldene Haare, aber besonders nett war er nicht.“
„Nun, es ist nicht alles Gold was glänzt!“, sagte Mama und sang leise weiter: „Was will er will er denn, was will er will er denn? Er will die Feli holen …“ Feli hörte das nicht mehr, sie war längst wieder eingeschlafen und träumte von Prinzen mit goldenen Haaren.

© Regina Meier zu Verl

Photo by Snapwire on Pexels.com

Das Weihnachtsnachthemd

Das Weihnachtsnachthemd

Im Garten ist Winterruhe eingekehrt. Sogar ein wenig Schnee hat es heute gegeben und das bringt Marie völlig aus der Fassung.
„Ist es nun bald soweit? Kommt das Christkind?“, fragt sie ihre Mutter, die in der Küche einen Plätzchenteig knetet.
„Da musst du noch ein bisschen warten, mein Schatz“, antwortet die Mutter.
„Och immer warten, kann denn das Christkind nicht einfach früher kommen?“
Die Mutter lacht.
„Nein, es kommt an seinem Geburtstag, und das ist nun mal, der 24. Dezember.“
„Ich mag aber nicht mehr warten, Mama. Du weißt doch, wie schlecht ich warten kann!“ Die Mutter lacht. Ja, das weiß sie und nicht nur das, sie hat auch vorgesorgt.
„Wenn du mir versprichst, dass du dir Mühe geben willst, nicht allzu ungeduldig zu sein, dann habe ich schon heute ein kleines Geschenk für dich!“, verspricht die Mutter, wischt sich die Hände in ihrer Schürze ab und geht ins Wohnzimmer.
Gleich darauf kommt sie zurück. Sie hält ein rotes, mit lustigen Weihnachtsmotiven bemaltes Hemd in den Händen. Marie verzieht enttäuscht das Gesicht.
„Das ist ja nur ein Nachthemd.“
Die Mutter schmunzelt.
„Es ist ein ganz besonderes Hemd, ein Weihnachtshemd!“
„Was soll daran schon besonders sein, ein rotes Hemd mit Bildern!“, schmollt Marie.
„Zieh es heute Nacht an, dann wirst du sehen, dass es ein ganz besonderes Hemd ist, das verspreche ich dir!“
Am Abend zieht Marie, nachdem sie die Zähne geputzt hat, das „besondere“ Nachthemd an. Sie glaubt nicht, dass sie ihre Meinung über das Hemd ändern wird. Aber – ein Versuch macht klug. Sie liegt noch nicht ganz in ihrem Bett, da fallen ihr die Augen zu. Sie hört eine leise Melodie und plötzlich ist alles ganz warm und hell.
Sie blinzelt und sieht sich erstaunt um. In einem Stall ist sie. Ein Stern taucht die armselige Umgebung in ein strahlend helles Licht. Weißgekleidete Engel singen so wunderschön, dass es Marie ganz anders um Herz wird. In der Krippe liegt das Jesuskind und lacht ihr fröhlich entgegen.
Marie selbst steht in ihrem Weihnachtsnachthemd und barfuß im Stroh vor der Krippe. Sie überlegt, wie sie das Jesuskind ansprechen soll, denn schließlich weiß sie ja, dass es Gottes Sohn ist, der da vor ihr liegt. Gar nicht so einfach! Marie versucht es mit:
„Na du!“ Das ist erstmal unverbindlich. Das Kind sagt nichts, aber es lächelt weiter.
„Ich weiß, wer du bist … und ich bin die Marie!“, fährt Marie fort.
„Schön Marie, dass du uns besuchst und siehst du wie sehr sich das Kind über deinen Besuch freut, aber er ist ja noch ein Baby und kann noch nicht sprechen.“
Marie sah die schöne junge Frau ehrfürchtig an.
„Bist du die Mutter Maria?“
„Ja, wir haben beide fast den gleichen Namen.“
„Aber warum kann das Jesuskind denn nicht sprechen, er ist doch Gottes Sohn?“
„Ja, aber er wurde von Gott als Mensch auf die Erde geschickt und wie jedes Kind muss er auch erst alles lernen.“
Marie reicht dem Kind die Hand und lacht, als es ihren Finger festhält.
Niemand wird ihr glauben, dass sie das gerade erlebt. Aber das ist nicht schlimm, denn wichtig ist, dass es so ist und es ist wunderbar.
Plötzlich hört Marie, dass jemand ihren Namen ruft. „Marie! Du kleine Schlafmütze!“ Das ist eindeutig Mama.
„Ich komme morgen wieder!“, flüstert Marie und öffnet die Augen.
Mama steht an ihrem Bett und lächelt.
„Guten Morgen, mein Kind. Hast du gut geschlafen?“, fragt sie.
Marie kann nur nicken, so ergriffen ist sie noch von dem im Traum erlebten.

Nach dem Frühstück fragt Marie ihre Mutter:
„Sag mal, Mama, funktioniert das Nachthemd jede Nacht?“
Erstaunt sieht Mama ihre kleine Tochter an.
„Was meinst du?“, fragt sie.
„Ach, ist schon gut!“, sagt Marie, die plötzlich weiß, dass sie ihr Geheimnis für sich behalten sollte. Aber aufschreiben würde sie es, ganz bestimmt.

Wenn ich euch nun erzähle, dass Marie, obwohl sie heute erwachsen ist, immer noch ihr Weihnachtsnachthemd hat und es in der Zeit vor Weihnachten mit ins Bett nimmt (sie passt längst nicht mehr hinein), dann wisst ihr, dass es weiterhin funktioniert hat, stimmts?

© Regina Meier zu Verl

Photo by Jonathan Borba on Pexels.com

Rebecca und Stummel haben ein Geheimnis

Rebecca und Stummel haben ein Geheimnis

„Wie bin ich denn hier gelandet?“ Rebecca lag in der Besucherritze des Elternbettes. Dabei war sie doch schon ein großes Mädchen. Sie erinnerte sich, dass sie komische Geräusche gehört hatte und war plötzlich hellwach.

„Ja genau, da war etwas an meinem Fenster“, murmelte sie und schaute ihre schlafenden Eltern an. Im Zimmer war es schon ein wenig hell. Vorsichtig krabbelt Rebecca zum Fußende und kletterte aus dem Bett. Sie schloss leise die Schlafzimmertür hinter sich. Auf dem Flur kam ihr Stummel entgegen und wedelte mit dem Hinterteil. Einen Schwanz hatte er nicht, daher der Name Stummel.

„Guten Morgen, mein Schätzelein“, flüsterte Rebecca und streichelte den Hund liebevoll. „Sag mal, hast du heute Nacht auch diese unheimlichen Geräusche gehört?“

Stummel schaute einen Augenblick verwundert, dann schüttelte er den Kopf. Rebecca staunte, hatte er ihr etwa geantwortet. Das hatte sie ja noch nie erlebt. Sie machte einen Test.

„Sag mal, bin ich die Rebecca?“

Stummel verzog die Schnauze zu einem Grinsen.

„Blöde Frage, oder? Wer sollte ich denn sonst sein“, lachte Rebecca und kraulte Stummels Nacken.

„Sollen wir Frühstück machen?“, fragte Rebecca jetzt und Stummel setzte sich gleich in Bewegung und rannte Richtung Küche.

Rebecca füllt als erstes seinen Wassernapf auf und dann holte sie das Hundefutter aus dem Schrank. Freudig sprang Stummel an ihr hoch.

„Kannst es wieder nicht abwarten, du kleiner Stinker!“, schimpfte Rebecca.

„Was hast du gesagt?“

„Stinker, habe ich gesagt“, antwortete Rebecca, dann stockte sie.

„Hast du etwa gerade mit mir gesprochen?“ Sie schaute Stummel erwartungsvoll an und der schaute zurück und sagte nichts, aber er grinste schon wieder.

„Stummel, wenn du reden kannst, dann sag es mir jetzt. Sonst packe ich das Futter wieder weg“, das war ein Befehl. Stummel erfasste den Ernst der Lage sofort. Rebecca war die einzige, die ihn verstand, deshalb konnte er es ruhig wagen, mit ihr zu reden.

„Ich kann sprechen, aber du darfst es niemandem verraten. Ich rede nur mit Kindern!“ sagte er laut und deutlich. „Und die Geräusche, die du heute Nacht gehört hast, die kann ich dir auch erklären.“

Rebecca musste sich erst einmal hinsetzen, so überrascht war sie. „Das gibt es doch nicht, das würde mir sowieso kein Mensch glauben“, flüsterte sie.

„Sag mal, Stummel. Spinne ich jetzt, oder stimmt es wirklich?“

„Du spinnst nicht, aber ich warne dich, behalt es für dich!“

Stummel hielt ihr seine Pfote hin.

„Pfote drauf!“, befahl er und Rebecca schlug ein. „Okay, Pfote drauf!“

„Wenn du mir jetzt eine Scheibe von der leckeren Fleischwurst aus dem Kühlschrank holst, dann verrate ich dir auch, woher die geheimnisvollen Geräusche kamen.“

Rebecca schob sich gleich selbst noch eine Scheibe Wurst in den Mund.

„Also dann, erzähl mal“, forderte sie gespannt.

„Du weißt ja, dass der Frühling bald kommt. Heute Nacht war ein Knistern und Knacken im Garten, weil die ersten Krokusse sich durch die oberste Erdschicht geschoben haben und der Kirschbaum hat Knospen angesetzt und die Schneeglöckchen haben leise geläutet. Wenn du gleich mit mir raus gehst, wirst du es sehen.“

Das ließ sich Rebecca nicht zweimal sagen, schnell schlüpfte sie in ihren Jogginganzug, zog den Anorak an und ihre Gummistiefel. Dann öffnete sie die Haustür und folgte Stummel in den Garten.

Sie erblickte die ersten Krokusse auf dem Rasen und betrachtete die Zweige des Kirschbaums. Freudig hüfte sie über den Rasen.

„Der Frühling ist da! Der Frühling ist da!“ sang sie und tanzte um eine Gruppe Krokusse herum.

„Ich habe euch gehört, heute Nacht!“, verriet sie den Krokussen und dann küsste sie die winzigen lila Becher, jeden einzelnen und ganz vorsichtig. Sie strich liebevoll über den unteren Zweig des Kirschbaumes und dann umarmte sie seinen Stamm. Ein warmes, freudiges Gefühl hatte sie dabei und als sie später in der Küche saß und einen warmen Kakao schlürfte, war sie noch immer so verzaubert vom Wunder des Frühlings, dass Mama ihre Stirn fühlte, weil sie glaubte, dass Rebecca ein wenig Temperatur haben könnte.

Ihr Geheimnis aber behielt Rebecca für sich und als sie erwachsen war und Stummel schon lange nicht mehr lebte, dachte sie noch oft an ihn zurück und an die vielen Gespräche, die sie mit ihm geführt hatte.

© Regina Meier zu Verl

Hier auch als Hörbuch KLICK

dog-454146_1280
Bildquelle jarmoluk/pixabay