Das Cello gibt den Ton an

Das Cello gibt den Ton an

Alle Kinder hatten sich auf der Bühne in der Schulaula versammelt. Auf den Notenständern waren die Noten für das Weihnachtskonzert aufgestellt. Heute nun sollte die erste Probe sein.
„Hat jeder Schüler zu Hause geübt?“, fragte Herr Koch, der Musiklehrer, nachdem er einige Male mit dem Taktstock auf sein Pult geklopft hatte, um Ruhe in die Gruppe zu bringen.
Gemurmel, einige Kinder zeigten auf. Nach und nach fragte Herr Koch ab, was sie zu sagen hatten.
„Ich konnte nicht üben, weil meine kleine Schwester Mittagsschlaf halten musste!“, sagte Kai, der immer eine Ausrede hatte. Seine Geige hatte er vorsichtshalber noch gar nicht ausgepackt.
„Und du, Lisa? Was hast du für eine Ausrede? Hatte deine Flöte etwa Husten?“, fragte Herr Koch verärgert.
Alle lachten, nur Lisa nicht. Der stiegen die Tränen in die Augen. So gern wollte sie das Solo in einem Lied spielen, sie hatte so viel geübt, aber es gelang einfach nicht.
„Ich, ich …“, stammelte sie und lief rot an. „Ich habe jeden Tag eine Stunde geübt, aber meine Flöte schafft die hohen Töne einfach nicht!“, versuchte sie zu erklären.
Plötzlich redeten alle durcheinander. Wieder klopfte Herr Koch auf das Dirigentenpult.
„Meine Lieben, so wird das nichts! Fangen wir also mit einer Tonleiter an, aber zuerst muss gestimmt werden. Alexander, gib uns bitte ein A!“
Alexander saß am Flügel. Zaghaft schlug er eine Taste auf dem Flügel an.
„Etwas lauter, bitte!“, rief Herr Koch.
Alexander schlug noch einmal den Ton an, diesmal etwas kräftiger.
„Jetzt die Geigen!“, rief Herr Koch. Außer Kai gab es noch zwei Schüler, die Geige spielten. Oh weh, das klang furchtbar. Herr Koch musste eingreifen. Sorgfältig stimmte er die Geigen.
„Jetzt die Flöten!“, ordnete Herr Koch an und auch die klangen einfach nur schrecklich.
„Lisa, du musst ein wenig kräftiger spielen, Anja, zieh bitte den Flötenkopf ein Milimeterchen heraus!“ Es dauerte eine Weile, bis Klavier, Geigen und Flöten ein einigermaßen sauberes A miteinander spielen konnten. Dann war Herr Koch zufrieden.
„So, nun du!“ Christine strich mit dem Bogen über die A-Saite ihres Cellos, ganz sanft machte sie das. Dann prüfte sie die anderen Saiten, stimmte ein wenig nach, indem sie vorsichtig an den Wirbeln drehte, schließlich nickte sie zufrieden.
„Wunderbar!“, rief Herr Koch, er stellte sich wieder hinter seinem Dirigentenpult auf.
„Fangen wir an!“, sagte er. „Eine Tonleiter in F-Dur bitte!“
„Häh?“, rief Niels, der eine Triangel in der Hand hielt.
„Du natürlich nicht, Niels!“ Herr Koch raufte sich die Haare, das hatte er sich einfacher vorgestellt.
Es dauerte eine ganze Schulstunde, bis endlich jeder begriffen hatte, was eine F-Dur-Tonleiter ist und wie man die spielen musste. Eine weitere Stunde brauchten sie dafür, das erste Weihnachtslied miteinander zu spielen, so, dass es jeder erkennen konnte.
Wenn Herr Koch gewusst hätte, dass es schlimmer kommen sollte, hätte er wohl schon nach diesen zwei Stunden aufgegeben, aber noch hatte er die Hoffnung, dass sie alle gemeinsam das schon schaffen würden mit der nötigen Ruhe und Geduld.

„Was für ein Chaos! Ich finde diesen Blödsinn sehr ermüdend!“, sagte das Cello, als die Instrumente in der Pause allein in der Aula waren.
„Ganz meine Meinung!“, krächzte die Bratsche, auf der niemand spielen wollte. Es gab aber auch keinen Schüler, der das gekonnt hätte. Schon aus diesem Grund war die Bratsche mächtig verstimmt.
„Wir sind quietschfidel!“, jubilierten die Blockflöten, die sich einbildeten die schönsten Instrumente überhaupt zu sein.
„Liebe Freunde, ich möchte euch folgenden Vorschlag machen, damit wir alle doch noch unseren Spaß haben“, sagte das Cello geheimnisvoll. Es wurde ruhig im Saal, alle waren gespannt darauf, was das Cello zu sagen hatte.
„Wenn die Pause gleich vorbei ist und der Lehrer wieder Anweisungen gibt, dann spielen wir einfach alle zusammen das schöne Weihnachtslied ‚Alle Jahre wieder‘, in F-Dur, versteht sich. Wir achten gar nicht darauf, was die Kinder tun, sondern setzen uns durch! Was meint ihr?“ Gespannt schaute das Cello seine Freunde an.
„Das wird ein Spaß!“, jubelte eine der Geigen. „Ich kann es kaum noch erwarten!“
„Ja, ja, ich will aber auch mitspielen“, trommelte das Schlagzeug, das ganz hinten in einer dunklen Ecke stand. Zum Weihnachtskonzert hatte man es nicht dazu gebeten. Unverschämtheit!

Dann ertönte der Schulgong, die Pause war vorbei. Als wäre nichts gewesen, warteten die Instrumente still an ihrem Platz. Die Schüler stürmten in die Aula und nahmen ihre Plätze ein, auch Herr Koch kam aus dem Lehrerzimmer zurück.
Er klopfte mal wieder auf sein Dirigentenpult.
„So, wir spielen nun das Lied ‚Lasst uns froh und munter sein‘. Konzentriert euch, ich will keinen schiefen Ton hören!“, verkündete er und hob die Arme, zählte bis vier und gab den Einsatz.
Es ertönte ‚Alle Jahre wieder‘ und das klang so schön, dass Herr Koch vergaß, dass er ein ganz anderes Lied gewünscht hatte. Der Lehrer strahlte, wunderte sich aber über den leichten Rhythmus, der vom Schlagzeug kam. Irgendwie ging doch alles nicht mit rechten Dingen zu, oder?
Es war ihm egal – so schön klang das und das Orchester spielte immer weiter, längst waren drei Strophen gespielt, aber es ging weiter und weiter, mal jubilierten die Flöten im Vordergrund und dann wieder die Geigen und das Cello trug die Melodie sanft und sicher, in der sechsundzwanzigsten Strophe erklang sogar ein Schlagzeugsolo, wer immer das auch gespielt hatte, der verstand sein Fach.

Wieder ertönte der Schulgong, der das Ende der Stunde ankündigte – oder war es der Wecker von Herrn Koch und er hatte das alles nur geträumt? Keine Ahnung!

© Regina Meier zu Verl

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