Meine Oma und ich

Meine Oma und ich

Früher, wenn ich meiner Oma etwas schenken wollte, habe ich Bilder für sie gemalt. Sie hat sich über jedes einzelne gefreut und sie alle aufbewahrt. Eines wurde gerahmt und hat viele Jahre in ihrem „guten“ Wohnzimmer an der Wand gehangen. Es zeigte einen Garten mit vielen bunten Blumen, mit Käfern und Schmetterlingen und sogar ein Häschen schaute vorwitzig hinter einem Fliederstrauch hervor.
Oma sagte, dass dieses Bild nicht nur für die Augen schön sei. Sie meinte, dass man die Düfte dieses Gemäldes wahrnehmen könne, wenn man die Augen schloss. Ich habe es ausprobiert und es klappte tatsächlich.
Als ich älter wurde habe ich meiner Oma Blumen geschenkt, duftende Blumen wie Gartenrosen, Maiglöckchen oder Flieder. Immer hat sie die Nase hineingesteckt und geseufzt:
„Was gibt es Schöneres auf der Welt, als die Düfte der Blumen!“
Als ich erwachsen geworden war, sah ich meine Oma nicht mehr so oft. Es gab so viel zu tun, der Schulabschluss, die Ausbildung, Freunde und Partys, da rückte Oma ein wenig in den Hintergrund. Sie hat mir nie einen Vorwurf gemacht. Wenn ich sie besuchte, dann freute sie sich und nach jedem Besuch nahm ich mir vor öfter hinzugehen, weil sie sich doch so glücklich war und ich jede Minute mit ihr genossen hatte.

Wenn ich meiner Oma heute etwas schenke, dann ist es Zeit. Damit mache ich mir selbst das größte Geschenk, denn wenn ich bei ihr bin, dann darf ich wieder Kind sein. Wir lachen und träumen. Wir erinnern uns an die Farben, Düfte und die Freuden von früher.
„Weißt du noch, Oma, wie es war, als ich dir einmal die Badeperlen geschenkt hatte?“
Oma sieht mich fragend an, sie erinnert sich nicht, deshalb erzähle ich ihr die Geschichte.
„Du hast doch immer schon die Maiglöckchen so geliebt, nicht wahr?“
Omas Augen leuchten, sie nickt und lächelt.
„Stimmt, ich hatte Maiglöckchen in meinem Brautstrauß“, erinnert sie sich.
„Ja, ich weiß, Opa hat dir zu jedem Hochzeitstag Maiglöckchen geschenkt. Das war praktisch, denn er musste nur in den Garten gehen und die ein Sträußchen schneiden.“
Oma lacht und dann rinnt aus ihrem Augenwinkel eine einsame Träne. Sie denkt an Opa, der nun schon so lange nicht mehr bei ihr ist.
Ich wollte sie nicht zum Weinen bringen, obwohl ich weiß, dass ihr auch das gut tut. Also erzähle ich weiter:
„Einmal hatte ich dir Badeperlen mit Maiglöckchenduft mitgebracht. Weißt du noch, diese kleinen Perlen, die man ins Badwasser gibt und die einen herrlichen Duft bescheren, wenn sie sich aufgelöst haben?“
Oma nickt wieder und dann blitzt es in ihren Augen, das Erkennen. Sie lacht und kann kaum sprechen, als sie sagt:
„Er hat reingebissen, der Opa!“
Ich kann mich nun auch vor Lachen kaum halten.
„Ja, und dann hat er gesagt, dass die Pralinen auch nicht mehr das sind, was sie mal waren!“
„Dein Opa war ein Clown, er war immer zu Späßen aufgelegt, weißt du noch?“, fragt mich Oma und ich kann ihr das bestätigen.
„Ja, das war er!“
Oma ist ganz still geworden. Wir schweigen noch eine Weile zusammen, bevor ich mich verabschieden muss. Auch das Schweigen mit Oma ist wunderbar, zwischen uns besteht ein ganz besonderes Band, das keiner Worte bedarf.

© Regina Meier zu Verl

Unbenannt
Bildquelle Imilo/pixabay