Oma Betty und das Lieblingsweihnachtslied
Oma Betty summt leise vor sich hin. Gemeinsam mit Nora sticht sie Weihnachtsplätzchen aus. Das macht beiden Spaß und ab und zu wandert ein kleines Stückchen Teig ins Mäulchen. Nicht nur bei Nora, nein, auch Oma liebt Plätzchenteig.
„Was summst du da, Oma?“, fragt Nora. „Das Lied kenne ich noch gar nicht!“
„Es ist eines meiner Lieblingsweihnachtslieder“, Oma räuspert sich kurz, dann singt sie: „Maria durch ein Dornwald ging …“
„Halt, Stopp!“, ruft Nora. „Was ist ein Dornwald?“
„Du kennst ja die Rosenbeete im Garten“, sagt Oma. Nora nickt. Die kennt sie und die pieken, das weiß sie.
„Kenne ich, die Rosen haben Dornen, ne?“, stellt sie fest.
„Stimmt genau! Und wenn der Winter kommt, und alle Rosen verblüht sind, dann fällt auch das Laub von den Stängeln und zurück bleibt ein Dornengestrüpp und ganz viel von dem Dornengestrüpp nennt sich dann Dornwald, oder so!“, erklärt Oma Betty.
„Maria durch ein Dornwald ging, Kyrie Eleison“, singt Oma weiter.
„Halt, Stopp!“, ruft Nora. „Was ist das denn wieder für ein komisches Wort?“
„Oh je, nun hast du mich aber auf dem falschen Fuß erwischt!“, meint Oma, der einfach nicht einfallen will, was das bedeutet.
„Herr, erbarme dich!“, ruft Opa, der gerade aus dem Garten ins Haus gekommen ist.
„Was ist denn nun schon wieder passiert?“, fragt Oma und lässt die Teigkugel fallen, die sie gerade ausrollen wollte.
„Nichts, warum?“, fragt Opa unschuldig.
„Weil der Herr sich erbarmen soll, das sagst du doch immer, wenn irgendwas passiert ist, erst neulich, als du die Katze vom Baum retten wolltest, was ja schwierig war!“, sagt Oma.
Opa lacht schallend.
„Das ist dann wohl jetzt … in diesem Fall, also es ist ein Missverständnis!“, sagt Opa unter Prusten und Lachen.
„Wieso?“
„Weil du Kyrie Eleison gesungen hast – das heißt „Herr, erbarme dich“!“ Opa lacht schon wieder.
„Ach so!“, sagt Oma kleinlaut. „Mir fiel es gerade nicht ein, was es heißt!“, gab sie zu.
„Macht ihr zwei wieder heiteres Weihnachtsliederraten?“, will Opa jetzt wissen und weil ich Opa gut kenne, wird er sich verdrücken, wenn es ums Singen geht. Das ist nämlich „nicht so seins“, sagt er immer.
„Ich verdrücke mich dann mal lieber!“, sagt er auch schon und schließt die Küchentür hinter sich.
Oma mag nun nicht mehr singen.
„Es ist doch blöd, wenn man immer wieder von vorn anfangen muss“, meint sie.
„Ach komm, Oma, nun möchte ich aber die Geschichte des Liedes hören, sing bitte noch einmal. Niemand wird dich stören, ich auch nicht!“, fügt Nora kleinlaut hinzu, denn schließlich war sie es, die Oma Betty schon zwei Mal unterbrochen hat.
Oma singt viel zu gerne, als dass sie ihrer Enkeltochter diesen Wunsch nicht erfüllen würde.
„Also gut, eine Strophe singe ich noch und den Rest erzähle ich, okay?“, schlägt sie vor. Damit ist Nora einverstanden, sie lauscht.
„Maria durch ein Dornwald ging, Kyrie Eleison. Maria durch ein Dornwald ging, der hat in sieb ‘n Jahr’n kein Laub getragen. Jesus und Maria.“
Gerade will Nora ansetzen und nachfragen, warum denn jetzt Jesus dabei ist, wo doch eben nur von Maria die Rede war. Sie besinnt sich aber und wartet ab.
„Weißt du, in dem Lied heißt es weiter, dass Maria ein Kind unter ihrem Herzen trug, das heißt wohl, dass sie schwanger war. Auf jeden Fall haben die Dornen plötzlich angefangen Rosen zu tragen, also zu blühen“, erzählt Oma Betty.
„Krass!“, sagt Nora und staunt nicht schlecht. Das ist eine schöne Geschichte, findet sie.
„Maria war unterwegs zu ihrer Cousine Elisabeth, die auch schwanger war!“, fügt Oma noch hinzu.
„Bist du mit der verwandt?“, will Nora wissen.
„Im gewissen Sinne schon, auf jeden Fall aber bin ich nach ihr benannt!“, sagt Oma Betty stolz, denn immerhin hat Elisabeth Johannes dem Täufer das Leben geschenkt, was Oma ganz besonders freut.
„Ach so!“, sagt Nora und wendet sich wieder dem Plätzchenteig zu.
„Weißt du, welches mein Lieblingsweihnachtslied ist?“, fragt sie Oma.
„Nein, sag!“, fordert Oma Betty sie auf.
„In der Weihnachtsbäckerei – siehste doch!“ Nora lacht und stopft sich ein dickes Teigstück in den Mund.
© Regina Meier zu Verl
