Linus, das Bobbycar und Opa Baumann

Linus, das Bobbycar und Opa Baumann

Linus hat sein Bobbycar direkt neben Papas Auto geparkt. Er steigt ab, steckt die Hände in die Hosentaschen und betrachtet die beiden Fahrzeuge.
„Na, Linus, welches Auto gefällt dir besser?“, fragt Opa Baumann, der nebenan wohnt und gerade im Garten nach dem rechten schaut.
„Meins“, antwortet Linus. „Nein, das von Papa. Ist doch klar!“ Er überlegt und sieht den alten Nachbarn nachdenklich an.
„Nein, auch nicht“, meint er dann leise. „Dein Auto ist das Tollste. Weil es so alt ist und so toll rappelt, wenn der Motor läuft.“
Opa Baumann grinst und freut sich. Er liebt sein Auto und es macht ihn stolz, dass auch Linus erkannt hat, was für ein tolles Gefährt er besitzt. Trotzdem schmeichelt er dem Jungen: „Weißt du, Dein Auto, lieber Linus, ist aber das umweltfreundlichste von allen.“
„Um…welt…freund…lich?“, fragt Linus langsam und er denkt dabei über jede Silbe nach. Er hat das Wort schon oft gehört, aber so ein bisschen hat er lieber nicht hingehört. Es ist kein spannendes Wort und irgendwie auch langweilig und das sagt er gleich auch laut. Doch dann überlegt er: Freund ist drin in dem Wort, Freunde mag Linus. Und Welt ist ebenfalls drin. Die Welt ist schön, findet Linus. Ja, und spannend ist sie auch, die Welt! Ja, das gefällt ihm. Linus nickt.
„Das passt auch zu meinem Auto. Es ist das schönste auf der Welt und irgendwie ist es nun auch mein Freund.“ Er lacht. „Sag, Opa Baumann, ist dein Auto auch dein Freund?“
Opa Baumann nickt auch. „Aber so was von! Viel haben wir beide in vielen Jahren schon erlebt. Das kannst du mir glauben.“
„Erzähl doch mal!“, fordert Linus Opa Baumann auf. Der überlegt einen Moment, dann lächelt er und sagt eine Weile gar nichts. Linus stubst ihn an. „Na?“, fragt er ungeduldig.
„Ach so, ja, warte, wie fange ich denn an?“, fragt er grinsend.
„Am Anfang, Opa Baumann, immer am Anfang fängt man an!“
„Stimmt, du Schlaubär, einen Anfang braucht jede Geschichte, denn sonst könnte man sie nicht erzählen, nicht wahr?“ Opa Baumann nimmt die Mütze ab und kratzt sich erst einmal am Kopf. „Also, das war schon verrückt, denn eigentlich wollte ich kein Auto haben. Doch ein Auto schon, aber nicht diese Kiste. Sie war nämlich …“ Er lacht. „Rosa war sie. Mädchenrosa!“
„Iiiiiiigittigitt!“, kreischt Linus. „Mädchenrosa?“
„Ja, ganz ehrlich, aber ich habe schnell gehandelt und Abhilfe geschaffen. Später war er dann Grün, der Oskar!“
„Oskar? Heißt er so?“, Linus ist verwundert. Das hat er ja gar nicht gewusst!
„Klar! Grün kann nur Oskar heißen, denn Oskar ist auch grün“, sagt Opa Baumann.
Das versteht Linus gerade gar nicht. „Ein Oskar kann doch keine Farbe sein.“
„Doch! Oskar war mein Schmusetier, als ich so alt war wie du, und das war grün. Ein grüner Drache.“
„Verstehe! Und nun ist er nicht mehr grün, sondern blau – wie heißt er denn jetzt?“, will Linus wissen. Er streicht liebevoll über den Kotflügel des alten Autos.
„Gib du ihm einen Namen, irgendwann wird er ja dir gehören, mein Junge!“, sagt Opa Baumann. „Ich werde ihn gut pflegen und hegen, damit du noch viel Freude an ihm hast.“, verspricht er dem Jungen.
Linus springt vor Freude in die Luft. „Das ist toll!“, ruft er. „Ich bekomme einen uralten Mercedes und er wird blau bleiben und er wird Opa Baumann heißen!“
Opa Baumann lacht. Das gefällt ihm und der Linus, der gefällt ihm sowieso, der wird schon gut auf sein altes Auto aufpassen. Ein bisschen Zeit hat er noch, bis er ihn fahren darf. Und dann … wird Opa Baumann seinen Führerschein vielleicht abgeben, aber so ganz genau weiß er das noch nicht!

© Regina Meier zu Verl

Prinzessin Robert und ihre Prinzen

Prinzessin Robert und ihre Prinzen

Am Rosenmontag sollte in diesem Jahr ein Schulfest stattfinden.
„Lasst uns ein schönes buntes Fest feiern!“, hatte der Schulleiter in seiner Einladung geschrieben und darum gebeten, dass jedes Kind kostümiert zur Schule kommen sollte.
Die Eltern sollten für das leibliche Wohl sorgen und die Band der älteren Schüler würde für die Musik zuständig sein.
„Liebe Eltern!“, stand am Ende der Einladung. „Wir würden uns alle auch sehr freuen, wenn auch Sie sich kostümieren könnten. Schön wäre es auch, wenn sich einige Freiwillige finden würden, die uns helfen, den Saal zu schmücken. Es soll für die Kinder ein unvergessenes Fest werden, frei von all den Problemen unserer Zeit für ein paar Stunden. Ein kleiner Urlaub für unser aller Seelen. Bitte geben Sie Bescheid, ob wir mit Ihrer Mithilfe rechnen können.“
„Er hat recht!“, sagte Miras Vater Robert. „Wir sollten alle mal die Probleme für ein paar Stunden vergessen. Eine richtig gute Idee ist das!“
„Stimmt!“ Auch Miras Mutter fand die Idee richtig gut und schon überlegte sie, welche Kostüme es geben könnte. Auf dem Dachboden stand eine große Verkleidungskiste, mit deren Hilfe man vier Familien einkleiden könnte.
„Ich gehe als Prinzessin!“, verkündete Mira. „Haben wir so ein Kostüm?“
„Mehrere. Schau hier!“ Sie deutete auf einen alten Reisekoffer, mit dem die Urgroßeltern schon viele Reisen gemacht hatten. „Es sind alte Kostüme, die wir, meine drei Brüder und ich, ein paar Jahre lang immer wieder getragen haben.“
„Wir könnten alle drei diese Kostüme tragen, dann passen wir schön zusammen!“, fand Mama und das gefiel allen ganz gut.
„Nein“, entscheidet sich Mira schnell. „Wir machen es anders. Wir gehen als Prinzen, du und ich, Mama – und Papa ist die Prinzessin. Hurra! Das wird ein Spaß!“
Papa schaute ein wenig bedröppelt aus der Wäsche, so richtig gut gefiel ihm der Vorschlag nicht, aber seine beiden Frauen strahlten so, da mochte er ihnen den Spaß nicht verderben.
„Also gut!“, meinte er und fügte sie in sein Schicksal.
„Und was mache ich so als … Prinzessin“, fragte er und er klang wirklich gar nicht glücklich.
„Lächeln!“, sagte Mama.
„Lachen!“, rief Mira.
Und Papa lächelte und lachte gern, doch das konnte nicht alles sein, deshalb fragte er nach:
„Aber ich muss doch etwas tun als Prinzessin, außer schön zu sein und zu lächeln!“, sagte er.
„Stimmt!“, antwortete Mama. „Du musst den Prinzen sagen, was sie zu tun haben. Das können Frauen nämlich besser!“
Papa schluckte, fast wollte er sich schon ärgern, aber dann lächelte er und flüsterte Mama etwas ins Ohr, was Mira nicht verstanden hat.
Und Mama flüsterte zurück. Mira konnte wieder kein Wort verstehen.
„Versucht nicht, euch zu drücken!“, sagte sie lauter als beabsichtigt. Dann schnappte sie sich die Kostüme und stieg die Speicherleiter wieder hinab. „Wir sollten die nun anprobieren, ob sie passen! Kommt ihr?“
Kurze Zeit später standen alle drei in ihren Kostümen da. Mamas Brüder waren groß und schlank gewesen, so dass Mira und Mama kein Problem hatten mit den Größen. Papa allerdings passte das Prinzessinnenkleid nicht, eigentlich klar, oder? Aber all das Zubehör, Krone und Schmuck und noch so allerlei schmückendes Beiwerk war vorhanden, fehlte nur noch ein hübsches Kleid und das würde Mama schon irgendwie zaubern, denn sie war nicht nur ein Prinz, sondern auch eine Zauberin! Ehrlich!
Und eine Zauberin war sie auch dieses Mal. Großartig sah Papa aus, als Mama mit ihm fertig war. Fast wie eine echte Prinzessin. Nur das Gesicht passte nicht ganz dazu, denn es sah, irgendwie, leidend aus. Aber das gab sich dann auch, als sie beim Schulfest angekommen waren und am Ende sogar noch einen Preis für ihre Familienkostümierung erhielten.

© Regina Meier zu Verl

Von Meisen und Mäusen

Von Meisen und Mäusen

„Blaumeisen und Kohlmeisen sind auf jeden Fall täglich da, auch mehrere Rotkehlchen kommen immer wieder und die frechen Spatzen sowieso!“, erzählt Oma, die nichts mehr liebt, als vom Esszimmerfenster aus die Besucher auf ihrer Terrasse zu beobachten.
„Und die großen dicken da vorn, was sind das für Vögel?“, will Lio wissen und klopft an die Scheibe. Im Nu sind alle gefiederten Freunde verschwunden.
„Hey, du darfst sie nicht stören beim Fressen, sie haben doch Angst vor uns!“, schimpft Oma.
„Oh, das wollte ich nicht!“, sagt Lio schuldbewusst.
„Die Großen, das sind Drosseln“, erklärt Oma. „Die schaffen es nicht, an die Meisenknödel zu kommen und auch das kleine Futterhäuschen ist für sie schlecht zu erreichen, deshalb streue ich für sie immer ein wenig Futter auf den Schnee. Das darf aber der Opa nicht sehen, dann schimpft er mit mir!“, erzählt Oma und lacht.
„Warum das denn?“, will Lio wissen.
„Weil er sagt, dass ich die Mäuse damit anlocke und wenn sich dann mal eine im Haus verirrt, dann ist das meine Schuld, behauptet Opa.“
Nun muss auch Lio lachen. „Das ist doch Quatsch. Hast du schonmal in Opas Pferdestall geguckt? Da wohnen unzählig viele Mäuse, die fressen alles, was sie kriegen können, die kleinen Schelme!“
„Und die verirren sich natürlich nicht im Haus, die hat Opa erzogen, nicht wahr?“ Oma lacht zwar noch, aber ein bisschen ärgerlich wird sie nun doch.
„Na warte, mein Lieber!“, sagt sie drohend und meint damit nicht den Lio.
„Aber verrate nicht, dass ich dir das erzählt habe!“, bitte Lio.
„Ach was, das wusste ich doch längst“, sagt Oma. „Hast du Lust, eine Runde mit mir spazieren zu gehen?“, fragt sie und da ist Lio sofort dabei. Schnell ziehen die beiden ihre Winterstiefel, die dicken Jacken und Handschuhe an und Omas selbstgestrickte Mützen wärmen die Ohren.
„Was hast du im Sinn, Oma?“, fragt Lio, der seine Oma ganz schön gut kennt. Wenn sie freiwillig rausgeht, ohne im Garten zu arbeiten, was ja jetzt im Winter nicht möglich ist, dann braucht sie die frische Luft als Treibstoff für ihren Kopf. So hat sie ihm das einmal erklärt und oft entstehen dann nach den Spaziergängen Geschichten.
„Na, was werde ich wohl im Sinn haben?“ Oma lacht. „Eine Geschichte!“
Lio strahlt. Er mag Omas Geschichten sehr und meist ist er der Erste, der sie hören oder lesen darf.
„Worum geht’s diesmal?“, fragt er neugierig.
„Rate!“ Oma grinst, kein Anflug mehr von schlechter Laune.
„Geht’s um die Vögel auf der Terrasse?“
„Nein, die habe ich schon so oft für meine Geschichten verwendet!“
„Geht’s um Opa?“
„Nur ein bisschen, auf jeden Fall wird es eine Geschichte werden, die Opa zu denken geben wird – oder die ihn ärgert, je nachdem!“
„Du machst es aber spannend!“ Jetzt möchte Lio doch gern wissen, was Opa ärgern könnte, ob Oma ihn doch verraten würde. Nein, das sah ihr gar nicht ähnlich, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie etwas versprochen hatte. Auf Oma war Verlass, immer.
Eine Weile schweigen beide. Dann sagt Oma: „Die Geschichte der Terrassen- und Stallmäuse! Das ist der Titel, damit du weißt, um was es geht und nun hilf mir beim Denken!“, fordert sie Lio auf und der schnattert auch sofort los.
„Es waren einmal ein paar Terrassenmäuse und viele, viele Stallmäuse…“

© Regina Meier zu Verl

Mira und das Weiß

Mira und das Weiß

„Ich spüre es im rechten dicken Zeh!“, sagt Oma, als Mira bei ihr zu Besuch ist. „Morgen wird es schneien!“
Mira hüpft vom Sofa und tanzt durch das Wohnzimmer. „Juchhu!“, ruft sie und springt wieder aufs Sofa, um Oma einen dicken Kuss zu geben.
„Ach ja!“ Oma seufzt und fasst sich ins Kreuz. „Eigentlich kann ich mich dieses Mal gar nicht auf Schnee freuen. Mein Ischias hat so gar keine Lust auf Spaziergänge im Schnee. Und wie ich mit diesen Schmerzen den Bürgersteig fegen soll, ist mir jetzt schon ein Rätsel.“
Mira lässt sich die Freude aber nicht verderben.
„Ach Oma, das mache ich dann einfach für dich, ist doch kein Problem. Und wenn ich es allein nicht schaffe, dann muss Opa mir eben helfen!“, schlägt sie vor.
„Soso!“, macht Oma nur und blickt zu Opa hinüber. Der sitzt wie fast immer im Winter vor seiner kleinen Staffelei und malt. Er malt den Winter. Und meist tut er dann so, als würde er nicht zuhören, wenn Oma oder MIra etwas sagen.
„Opa, sag du doch auch einmal etwas dazu!“, bittet Mira. Sie weiß aber schon jetzt, was Opa sagen wird, nämlich: Der Schnee bleibt liegen, bis ich ihn gemalt habe!
Und da spricht er es auch schon aus. „Was stört euch an dem wundervollen Weiß, das noch gar nicht da ist? Der Schnee bleibt liegen, bis ich ihn gemalt habe, Punkt!“, sagt er. „Also ich freue mich darauf und wie ihr wisst, ist Vorfreude die allerschönste Freude.“
„Aber Opa, Weiß ist doch eigentlich langweilig, findest du nicht? Ich mag Weiß nur, wenn es Schnee ist!“, meint Mira.
Hm! Darauf wissen die Großeltern nicht gleich etwas zu sagen.
„Du quengelst“, sagt Oma.
„Es gibt nicht nur ein Weiß“, brummt Opa. „Weiß hat viele Farben. Schneeweiß ist eine davon.“
„Hellweiß und Dunkelweiß?“, fragt Mira und kichert. “So wie Hellschwarz und Dunkelschwarz?“
„Das kommt der Sache schon näher.“ Opa brummt noch immer, freundlicher jetzt.
„Ich wette mit dir, dass du es nicht schaffst, mir zehn Beispiele mit verschiedenen Weißtönen zu zeigen. Schau dich um und suche das Weiß und das vergleichen wir dann mit dem Weiß der Schneeflocken. Morgen, wenn wir Glück haben und es schneien wird.“
Das gefällt Mira, sie sucht im Zimmer nach weißen Dingen und entdeckt zuerst Omas Strickzeug. „Da!“, ruft sie. „Das ist weiß, aber nicht schneeweiß! Es erinnert mich an Vanilleeis und das würde ich jetzt gerne essen. Oder Käsekuchen, der ist auch weiß. Gelbweiß. Und Sahnetorte. Und weiße Schokolade, Schaumküsse, Vanillesoße, Kokosriegel, Puderzucker, oh, hm, Weiß schmeckt lecker und jedes von ihnen sieht anders aus. Toll!“
„Jetzt habe ich Hunger bekommen!“, sagt Opa und wäscht seinen Pinsel aus. „Sollen wir mal eine kleine Kekspause machen?“, fragt er.
„Einverstanden!“, sagt Oma und legt ihr Strickzeug zur Seite. Mira holt die Keksdose aus der Küche und Oma setzt einen Kaffee auf. Als die drei dann gemütlich im Wohnzimmer sitzen, entdeckt Mira die erste Schneeflocke und es werden immer mehr.
„Da haben wir wohl den Schnee herbeigeredet!“, meint Opa und lacht.
Mia lacht auch. „Dann sind wir Schneezauberer! Ist das nicht toll?“

© Regina Meier zu Verl

Baumgeflüster

Hier kannst du die Geschichte auch anhören: KLICK
Baumgeflüster

„Weißt du eigentlich, dass die dicke Eiche auf unserem Hof reden kann, Opa?“, fragt Jan seinen Opa, der gerade hinter dem Schuppen eine Zaunlatte repariert.
„Klar, weiß ich das. Ist ein richtiges Plappermäulchen, die Dicke!“, sagt Opa und grinst übers ganze Gesicht.
„Du glaubst mir wohl nicht!“ Jan kennt diesen Tonfall und das dazugehörende Grinsen.
„Wieso? Ich habe doch gesagt, dass sie plappert!“
„Ja, aber das sagst du nur so. In Wirklichkeit denkst du, dass ich spinne!“ Jan kickt mit dem Fuß einen dicken Ast zur Seite. „Aua!“ Der Ast war härter als gedacht.
„Hast du dir was getan?“, fragt Opa besorgt. Er lässt den Hammer fallen und geht auf Jan zu. Doch der ist verärgert. Schnell läuft er davon.
„Nun warte doch, Junge! Was hat sie denn nun gesagt, die Eiche?“, ruft Opa.
„Sie sagt, dass Erwachsene blöd sind!“, antwortet Jan ohne sich umzuschauen. Im gleichen Moment tut es ihm schon wieder leid. Er wollte Opa doch erklären, wie Bäume miteinander reden, denn die plappern natürlich nicht so wie die Menschen. Aber soweit ist er ja gar nicht gekommen, gleich hat Opa das ins Lächerliche gezogen und das findet Jan blöd, sehr blöd sogar.
Jan setzt sich auf die Bank vorm Haus, zieht seinen Schuh und den Strumpf aus und reibt seinen schmerzenden Zeh. Als Opa am Haus angekommen ist, setzt er sich zu Jan auf die Bank.
„Tut mir leid!“, sagt Opa.
„Mir tut es auch leid!“, sagt Jan und dann grinsen sie beide.
„Ist dein Zeh verletzt?“, will Opa wissen.
„Nein, ich glaube nicht, sehen kann man nichts. Ist ja meine eigene Schuld!“, sagt Jan und streckt Opa den Fuß hin. „Guck du doch mal!“
Vorsichtig bewegt Opa Jans Zeh hin und her.
„Scheint alles in Ordnung zu sein!“, sagt er dann. „Vielleicht sollten wir trotzdem ein wenig mit Eis kühlen“, schlägt er vor und macht sich auf den Weg ins Haus. „Bin sofort zurück!“
Als er mit einem leckeren Eis zurückkommt, das zwar nicht den Zeh kühlt, aber Jans Zunge, ist die Welt wieder in Ordnung.

„So, und jetzt erzähl mir mal, was die dicke Eiche gesagt hat!“, bittet Opa.
„Na ja, so richtig gesprochen hat sie nicht, also so mit Worten wie wir, meine ich. Aber Bäume reden miteinander“, erklärt Jan seinem Großvater. „Heute war ein Förster in unserer Schule, der hat uns erzählt, dass die Bäume so eine Art Netzwerk haben, in dem sie sich miteinander verständigen können!“
„Wie im Internet?“, fragt Opa.
„Ja, ganz ähnlich, sie brauchen dafür aber keinen Computer, sie machen das mit Gerüchen, Geschmäckern und mit ihren Wurzeln!“, erzählt Jan.
Opa ist beeindruckt und will mehr wissen.
„Hat der Förster euch auch erklärt, wie das geht?“
„Ja, alles habe ich nicht behalten, aber gemerkt habe ich mir, die Sache mit den Raupen!“
„Igitt, ich mag keine Raupen!“, meint Oma, die gerade aus dem Haus kommt.
„Setz dich zu uns, der Jan erklärt mir gerade wie die Bäume miteinander reden!“, sagt Opa und klopft mit der flachen Hand auf die Bank. „Komm!“
Jan erzählt weiter: „Wenn eine Raupe an einem Blatt knabbert, dann ist das für den Baum eine Verletzung. Es tut ihm weh. Also wehrt er sich!“
„Ach ja? Was macht er denn? Schüttelt er sich?“, fragt Oma lachend.
„Du sollst den Jungen ernst nehmen!“, schimpft Opa. „Rede weiter, Jan!“
„Er schüttelt sich nicht, das kann er gar nicht, dazu braucht er Wind. Bäume, die sich von sich selbst aus schütteln können, gibt es nur im Märchen!“ Jan erinnert sich, dass der Förster das auch gesagt hat. „Auch kann ein Baum keine Geräusche machen von sich selbst aus. Er muss zu anderen Mitteln greifen. Passt auf: Die Raupe knabbert und solange es ihr schmeckt, wird sie weiter knabbern. Also verändert der Baum den Geschmack seiner Blätter. Das dauert ein wenig, aber so ungefähr nach einer Stunde schmeckt das Grün so widerlich für die Raupe, dass sie von ihm ablässt. Und um die anderen Bäume zu warnen, verändert sich auch der Duft des Baumes!“

Oma und Opa staunen. Das haben sie nicht gewusst, aber wenn Jan das sagt, dann ist da sicher etwas Wahres dran.
„Das klingt sehr logisch, auch wenn ich mir das noch nicht so richtig vorstellen kann!“, meint Opa.
„Wir haben ein Arbeitsblatt bekommen, auf dem das noch einmal erklärt wird!“ Eifrig springt Jan auf, um seinen Schulrucksack zu holen.
„Guckt hier!“ er zeigt das Arbeitsblatt. Man sieht einige Bäume, die in einer Gruppe beieinanderstehen. Ihre Kronen berühren sich und unter der Erde sind ihre Wurzeln miteinander verbunden. Die gezeichneten Bäume haben fröhliche Gesichter, nur einer von ihnen schaut verärgert, in seiner Krone sitzt nämlich eine fette Raupe, die sich an dem Blattgrün sattfrisst. Im nächsten Bild schauen dann alle Bäume verärgert, sie haben mitbekommen, dass sich da ein Schädling bei ihrer Baumfreundin eingenistet hat. Im dritten Bild purzelt die Raupe auf die Erde und macht sich, so schnell sie kann, davon. Ihr schmeckt es nicht mehr. In einer Sprechblase steht „Igittigitt“.
„Das ist aber schade!“, sagt Opa und legt die Stirn in Falten.
„Was denn?“, fragen Oma und Jan gleichzeitig.
„Na, dass unsere dicke Eiche da ganz alleine steht. Sie hat niemandem, mit dem sie sich unterhalten kann und der sie vor Raupen warnen könnte. Sicher ist sie einsam!“
Das findet Jan auch, aber er hat keine Idee, wie man das ändern könnte. Schließlich sollte die Eiche auch einen Partner ihrer Art haben, oder doch nicht?
„Meinst du, wir könnten einen kleinen Baum daneben pflanzen, Opa?“, fragt er deshalb.
„Ja, das meine ich. Hat denn der Förster gesagt, ob Eichen sich auch mit anderen Bäumen vertragen?“, will Opa wissen.
Jan schüttelt den Kopf. „Nein, das hat er nicht gesagt. Gleich morgen frage ich mal nach. Wir machen nämlich mit dem Förster einen Ausflug in den Wald.“
„Das finde ich super! Ach, ich würde auch gern noch einmal zur Schule gehen“, meint Opa, doch das findet Jan völlig übertrieben. Sie gehen ja nicht jeden Tag in den Wald.
„Du kannst in die Baumschule gehen und eine Freundin für unsere Eiche aussuchen. Das ist auch schön, oder nicht?“, fragt Jan.
„Das machen wir zusammen, wenn du herausgefunden hast, was für einen Baum wir pflanzen wollen! Ich fände es gut, wenn es keine Eiche wäre.“
„Aber warum denn, Opa?“
„Weil die so langsam wachsen, dass ich gar nicht mehr erleben würde, ob die beiden sich anfreunden. Unsere Dicke ist nämlich schon älter als ich, mein Opa hat sie gepflanzt, vor mehr als siebzig Jahren.“
Jan überlegt einen Moment. Wahrscheinlich hat Opa Recht, sie sollten einen schnellwachsenden Baum aussuchen, damit sie selbst etwas davon hatten – nicht erst die Ur-Ur-Enkel. Ist doch klar!

© Regina Meier zu Verl

Felix und der Schniefgeist

Felix und der Schniefgeist

Oma erzählt: Neuerdings wohnte er im Kinderzimmer von Felix. Durch die Fensterritze war er gekommen und hatte es sich gemütlich gemacht. Draußen war es jetzt schon kühl und vor allem nass. Er mochte das eigentlich, aber noch lieber hatte er Gesellschaft.
Also hatte er sich auf Felix‘ Kopfkissen niedergelassen und abgewartet, bis der Junge ins Bett musste und dann war es passiert. Der Felix hatte sich den Schnupfen eingefangen, der da in seinem Bett auf ihn lauerte.
„Oma, das ist doch Quatsch! Den Schnupfen habe ich mir eingefangen, als mir gestern so kalt war und ich außerdem noch nasse Füße bekommen hatte!“, sagt Felix und schnäuzt sich die Nase.
„Nasse Füße sind wahrlich nicht angenehm.“ Oma nickt.
„Aber hast du dich einmal gefragt, warum deine Füße plötzlich nass waren? Wenn ich mich genau erinnere, bist du nicht in den Bach gefallen und die Pfützen auf dem Weg waren zugefroren!“ Oma wiegt bedenklich ihren Kopf hin und her. „Jede Wette, dass er da schon seine Finger im Spiel hatte, dieser hinterlistige Kerl.“
Felix überlegt. Oma hat recht. Doch woher waren die nassen Füße wirklich gekommen, ob ihm etwa … nein, einen Streich hatte ihm niemand gespielt und Hendrik von nebenan war verreist mit seinen Eltern. Der konnte es also auch nicht gewesen sein.
„Der Schniefgeist ist’s!“, ruft er plötzlich. „Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin. Er hat mir den Schnupfen geschickt.“
„Der Schniefgeist? Soso!“ Oma muss schmunzeln. „Den Kerl habe ich noch nie gesehen. Wo mag er stecken?“ Suchend blickt sie sich im Zimmer um.
„Da!“, ruft Felix. „Er hockt da drüben auf der Fensterbank.“
Oma lässt ihre Brille auf die Nase rutschen, gewöhnlich trägt sie diese auf dem Kopf, wie einen Haarreifen. „Ich sehe ihn trotz Brille nicht“, verkündet sie, steht auf und geht näher an die Fensterbank.
„Hatschi!“, tönt es plötzlich nur eine Nasenlänge vor ihr. „Hatschi! Hatschi! Hatschi! Hatschi! Hatschi!“
„Huch!“, entfährt es Oma und sie springt ungelenk einen Schritt zurück. Ulkig sieht das aus. Und dann macht sie: „Hatschi!“
„Jetzt hat er dich auch erwischt!“, sagt Felix und das klingt ziemlich schadenfroh. „Konntest du ihn sehen? Oder hast du ihn an die Seite geniest?“
Oma niest schon wieder, schüttelt aber den Kopf. „Gesehen habe ich ihn nicht! Hatschi!“ Sie macht ein strenges Gesicht. „Und ich finde, wir sollten unseren ungebetenen Gast ganz schnell aus der Wohnung jagen. Wer sich unsichtbar macht und nur Schabernack treiben möchte, der ist hier nicht willkommen. Hatschi!“
„Aber wie willst du den Kerl verjagen, Oma?“
„Krieche du unter die Decke, ich lüfte mal durch, das hilft! Und dann koche ich einen leckeren Tee für uns, mit einem kräftigen Löffel Honig darin und dann kuschle ich mich zu dir, okay? Und damit er nicht zu uns unter die Decke kriecht, dieser Schniefgeist, erschießen wir ihn. Jetzt gleich.“
„Erschießen? Jetzt gleich?“ Entsetzt starrt Felix seine Oma an. Schießen? Das passt so gar nicht zu Oma.
Die geht zum Schrank und zieht eine Pistole heraus. Nein, halt, es ist keine Pistole. Ein Wasserzerstäuber ist es und in den füllt Oma nun mit einem Lächeln Wasser und ein paar Tropfen Pfefferminzöl.
Felix ist begeistert, seine Oma ist einfach genial. Jetzt heißt es nur noch, den ollen Schnupfengeist auch zu treffen – aber das würde schon gelingen!

© Regina Meier zu Verl

Wer macht das Wetter

Wer macht das Wetter?

Der kühle Wind vertrieb den Spätsommer von der Bühne. Er fegte durch den Himmel, trieb die Schönwetterwölkchen und erste gelbe Birkenblätter vor sich her und zerrte an den Baumkronen. Mit lautem „Plopp“ fielen die Kastanien und Eicheln aufs Pflaster. Sollte es das etwa gewesen sein? Gab sich der Sommer so schnell geschlagen?
„Bitte nicht! Wind, du kannst dich zur Ruhe begeben, wir sind noch nicht bereit für deine Kühle! Und du, Sommer, bleib hier!“
Laut hallten die Rufe der Frau durch den Tag und die Häuser gaben ihre Worte im Gesang des Halls zurück. Sie stand mitten auf dem Marktplatz und war mit ihrer Bitte an Wind und Sommer nur schwer zu überhören.
Die Leute blieben stehen und lauschten. Einige nickten zustimmend mit den Köpfen, andere ereiferten sich laut: „Endlich ist es nicht mehr so heiß, die Verrückte soll doch still sein! Wir sind froh, dass der Herbst endlich kommt!“, riefen sie.
Die Frau aber wurde nicht müde, den Sommer zu beschwören zu bleiben.
„Das sind doch alles Worte!“, rief sie den Leuten entgegen. „Heute ist euch die Hitze zu heiß, morgen die Kälte zu kalt. Der Herbst wird euch bald zu ungestüm und unberechenbar und dunkel sein, vom Winter ganz zu schweigen. Da nämlich werdet ihr am Fenster stehen, in den Himmel sehen und euch nach dem Sommer sehnen. Ja, genauso wird das sein, ich sage es euch voraus!“
„Der das Wetter gemacht hat, hat sich etwas dabei gedacht!“, sagte ein Mann. „Wir brauchen nämlich alle Jahreszeiten und wenn wir noch so sehr jammern, so wird sich nichts ändern. Leider, leider haben wir Menschen aber schon eingegriffen in die natürlichen Abläufe und das ist nicht gut!“
„So ein Blödsinn!“, rief ein anderer Mann. „Niemand hat eingegriffen. Wir können gar nicht eingreifen, Sie sagten es doch selbst!“
„Wer hat es denn gemacht, das Wetter?“, fragte eine Frau, die ein kleines Mädchen an der Hand hatte.
„Mama, weißt du das denn nicht?“, fragte die Kleine verwundert.
Die Mutter schüttelte den Kopf und sah ihr Kind mit einem liebevollen Blick an.
„Nicht wirklich, nein, wenn ich ehrlich bin, so weiß ich das nicht so genau. Aber ich rate mal. Es … es ist die gute Wetterfee. Stimmt`s?“
Das Kind lächelte.
„Das könnte sein!“, sagte es. „Aber es könnte auch sein, dass das Wetter von Gott kommt, oder?“
„Ja, das könnte auch sein. Vielleicht waren es beide, Gott und die Wetterfee, denn Gott kann auch nicht alles allein schaffen. Er braucht Hilfe, oder?“
Die Mutter schwieg. Es fiel ihr schwer, diese Frage zu beantworten. Zu viel passierte überall auf der Welt gerade mit der Natur und dem Wetter. Zu viel, was Sorgen bereitete und ängstigte und was weder Gott noch alle Wetterfeen des Universums wieder würden richten können, wenn nicht bald Vernunft und Einsicht in die Köpfe der Menschen zurückkehrten.

© Regina Meier zu Verl

Gesangsstunde mit Lukas (Kindermund)

Das Abendessen ist fertig. Lukas ist noch mit Opa im Pferdestall. Von dort bekomme ich ihn schlecht weg, es sei denn ich setze mich ans Klavier bei weit geöffneter Balkontür.
Sobald er die ersten Töne vernimmt, kommt er ins Haus und will mitspielen. Heute auch, ich spiele ein Menuett und bin kaum am Schluss, da sitzt er schon neben mir auf der Klavierbank.
„Rück mal, Oma!“
Klar rücke ich, viel zu gern tu ich das.
„Nehmen wir das randere Buch?“ Lukas krabbelt auf die Bank und sucht das Buch mit den Kinderliedern. Niedlich klingt das, wenn er „andere“ sagt, er setzt nämlich immer ein R davor, das randere Buch eben.
Wir spielen: Hänschen klein, Ein Männlein steht im Walde, Wer will fleißige Handwerker sehn?
Lukas singt alles mit, er liebt diese Gesangstunden mit mir und ich erst.
Dann sagt er plötzlich: „So, jetzt machen wir das Klavier zu, die Katastrophe ist zu Ende.“

Krümel träumt – Reizwortgeschichte

Geräusch, Gitter, gehen, gelb, geräumig
Das waren die Wörter, die heute mit eingebaut werden mussten. Wir sind heute nur zu zweit, da Lore sich von einem heftigen Sturz erholen muss. Wir wünschen ihr gute Besserung und freuen uns, wenn sie bald wieder dabei sein kann!
Lest bitte auch bei MARTINA KLICK

Hier kannst du dir die Geschichte anhören:

Krümel träumt

Krümel hob seinen Kopf und stellte die Ohren auf. Da war doch ein Geräusch gewesen, mitten in der Nacht. Da! Schon wieder. Krümel bellte zweimal kurz „Wuff, Wuff!“ Dann lauschte er aufmerksam. Er hörte nichts mehr und legte sich wieder bequem hin. Ach, er war so müde und hatte auch überhaupt keine Lust, Einbrecher zu verjagen. Sicher hatte er geträumt.
Er versuchte, sich zu erinnern, wovon er geträumt hatte. Es war doch gerade so schön gewesen. War da nicht ein Hundemädchen vorgekommen? Verflixt, Krümel wusste es nicht mehr und jetzt konnte er auch nicht wieder einschlafen vor lauter Denkerei. Wie blöd war das denn!
Vielleicht könnte er mal kurz in die Küche gehen und einen Schluck trinken, sicher schaffte er es anschließend, wieder in seinem geräumigen Kuschelkorb einzuschlafen. Einen Versuch war es wert. Also, ab in die Küche. Dort schlabberte er den gesamten Wassernapf leer und bedauerte, dass da nicht ein einziges Leckerchen im Fressnapf lag. Dabei mochte er doch diese gelben Hunde-Biskuits so gern, bei denen vorn auf der Tüte diese süße Hundedame abgebildet war. Die war es auch, die ständig in seinen Träumen vorkam, jetzt fiel es ihm wieder ein. Was gäbe er dafür, die Süße jetzt betrachten zu dürfen, die Tüte dürfte auch ruhig leer sein. Irgendwo hatte er doch neulich eine dieser Verpackungen aus dem Müll gerettet und versteckt, wo war das nur gewesen?
Krümel machte sich auf die Suche. Er fing in der Küche an. Unter dem Tisch war nichts, unter der Eckbank auch nicht. Die Schränke konnte er nicht öffnen und die Arbeitsplatte war unerreichbar für ihn. Weiter ging es im Wohnzimmer. Er krabbelte unters Sofa, schaute hinter den Sofakissen, wobei er sie im hohen Bogen ins Zimmer warf. Selbst in den großen Topfblumen fand er nichts auf Anhieb. Vielleicht hatte er die Tüte dort verbuddelt? Mit den Vorderpfoten schob er zunächst vorsichtig die Erde ein wenig zur Seite. Als er nichts fand, wurde er ärgerlich und schließlich vergaß er, dass er im Wohnzimmer war und nicht draußen im Garten, er buddelte also heftig, so dass die Blumenerde nur so flog. Die Tüte fand er nicht und nach der Niedergeschlagenheit meldet sich dann das schlechte Gewissen. Krümel zog den Schwanz ein und wimmerte. Was hatte er nur wieder angestellt. Da würde Mama sicher heftig schimpfen. Vor lauter Not musste er nun auch noch pinkeln, ganz dringend musste er. Er erleichterte sich auf der Blumenerde, die auf dem Teppich lag, oh, das tat gut!
Als Mama am nächsten Morgen das Malheur entdeckte, kreischte sie so laut, dass Krümel vor lauter Schreck in den Flur flitzte und in seine Transportbox kletterte, die unter der Garderobe stand. Eigentlich mochte er diese blöde Box gar nicht leiden, weil er die Erfahrung gemacht hatte, dass es dann zum Tierarzt ging, und der piekte ihn dann mit dieser furchtbaren Spritze. Aber heute fühlte er sich in der Box in Sicherheit. Mit der Schnauze zog er sogar das Gitter von innen zu und sagte keinen Mucks mehr. Den ganzen Vormittag blieb er darin und als er sich sein Kissen zurechtschieben wollte, knisterte es ein wenig. Da war sie ja, die Tüte mit dem Portrait der Angebeteten. So wurde doch alles wieder gut und Mama, die beruhigte sich auch bald wieder, ganz bestimmt!

© Regina Meier zu Verl

Irgendwann, wenn ich groß bin


Irgendwann, wenn ich groß bin

„Die Haare wachsen wieder!“, sagte mein Vater. Er setzte sein Feuerzeug am Kronkorken der Bierflasche an, woraufhin dieser mit einem Plop in die Küche flog und den Flaschenhals freigab.
„Hebelwirkung!“, sagte Vater, der meine Frage, wie er das mache, gar nicht mehr abwartete. Er setzte die Flasche an die Lippen, es gluckerte und im Nu war sie leer, so als hätte er den Inhalt einfach in sich hineingeschüttet. Dann rülpste er laut und verließ die Küche.
Ich zog den zerschlissenen Frisierumhang von den Schultern und wischte verstohlen meine Tränen weg. Den Blick in den Spiegel vermied ich, als ich im Flur daran vorbeikam, um mir den Besen zu schnappen, der seinen Platz in der Ecke vorm Klo hatte.
In regelmäßigen Abständen verpasste mein Vater meinem Bruder und mir diese furchtbaren Frisuren mit der eigens dafür angeschafften Haarschneidemaschine.
Eigentlich hätte ich mich längst daran gewöhnen müssen, doch es tat jedes Mal wieder weh – nicht körperlich, nein, meine Seele heulte.

Sorgfältig kehrte ich die Haare meines Bruders und meine eigenen zusammen und fegte sie auf die Dreckschüppe. Später würde Vater sie in der Ofenklappe entsorgen. Alles hatte seinen geregelten Ablauf bei uns. Nach dem Entsorgen, es stank furchtbar, wenn die Haare im Feuer verbrannten, schaute er uns, seine Söhne, zufrieden an. Er gab jedem von uns einen schrumpeligen Apfel, den wir mit einem artigen Danke in Empfang nahmen. Er dachte wohl, dass er uns etwas Gutes tut, er selbst nahm sich noch eine Flasche Bier, setzte das Feuerzeug an … na, ihr wisst schon!
Wie viele Flaschen es bis dahin schon waren, das weiß ich nicht. Es ging mich auch gar nichts an, hatte Vater gesagt. Nicht nur mir, sondern auch unserer Mutter hatte er das immer wieder deutlich gemacht.
„Ich trinke so viel Bier, wie ich will!“, hatte er gesagt und meine Mutter hatte gekuscht und geschwiegen.
Irgendwann, ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag vor einem Jahr, kam sie nicht mehr nach Hause von der Arbeit. Bis dahin hatte sie in der Fabrik gearbeitet, damit sie uns ernähren konnte. So hatte sie es immer gesagt und ich war mächtig stolz auf sie gewesen. Es ist schon was Tolles, wenn ein Mensch, meine Mutter, drei Menschen ernähren konnte.
Doch dann kam der Tag, an dem sie einfach nicht nach Hause kam. Vater hat getobt und geschrien, doch das nützte nichts. Er ging sogar zur Polizei, doch die konnten auch nicht helfen. Mama war weg, einfach so, ohne sich zu verabschieden.
Nach drei Wochen, wir Kinder hatten uns die Augen aus dem Kopf geweint, kam eine Postkarte.
„Sucht mich nicht!“, hatte draufgestanden. Papa hatte wieder getobt, ich aber war erleichtert. Sie lebte, das war doch das Wichtigste. Irgendwann, wenn ich größer war, würde ich sie finden. Dann, wenn ich erst einmal Feuerwehrmann war, dann ganz bestimmt.
Ich nahm mein kleines Feuerwehrauto und betrachtete es liebevoll. Es war alles, was mir von Mama geblieben war, aber irgendwann …

© Regina Meier zu Verl

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