Rebecca und Stummel haben ein Geheimnis
„Wie bin ich denn hier gelandet?“ Rebecca lag in der Besucherritze des Elternbettes. Dabei war sie doch schon ein großes Mädchen. Sie erinnerte sich, dass sie komische Geräusche gehört hatte und war plötzlich hellwach.
„Ja genau, da war etwas an meinem Fenster“, murmelte sie und schaute ihre schlafenden Eltern an. Im Zimmer war es schon ein wenig hell. Vorsichtig krabbelt Rebecca zum Fußende und kletterte aus dem Bett. Sie schloss leise die Schlafzimmertür hinter sich. Auf dem Flur kam ihr Stummel entgegen und wedelte mit dem Hinterteil. Einen Schwanz hatte er nicht, daher der Name Stummel.
„Guten Morgen, mein Schätzelein“, flüsterte Rebecca und streichelte den Hund liebevoll. „Sag mal, hast du heute Nacht auch diese unheimlichen Geräusche gehört?“
Stummel schaute einen Augenblick verwundert, dann schüttelte er den Kopf. Rebecca staunte, hatte er ihr etwa geantwortet. Das hatte sie ja noch nie erlebt. Sie machte einen Test.
„Sag mal, bin ich die Rebecca?“
Stummel verzog die Schnauze zu einem Grinsen.
„Blöde Frage, oder? Wer sollte ich denn sonst sein“, lachte Rebecca und kraulte Stummels Nacken.
„Sollen wir Frühstück machen?“, fragte Rebecca jetzt und Stummel setzte sich gleich in Bewegung und rannte Richtung Küche.
Rebecca füllt als erstes seinen Wassernapf auf und dann holte sie das Hundefutter aus dem Schrank. Freudig sprang Stummel an ihr hoch.
„Kannst es wieder nicht abwarten, du kleiner Stinker!“, schimpfte Rebecca.
„Was hast du gesagt?“
„Stinker, habe ich gesagt“, antwortete Rebecca, dann stockte sie.
„Hast du etwa gerade mit mir gesprochen?“ Sie schaute Stummel erwartungsvoll an und der schaute zurück und sagte nichts, aber er grinste schon wieder.
„Stummel, wenn du reden kannst, dann sag es mir jetzt. Sonst packe ich das Futter wieder weg“, das war ein Befehl. Stummel erfasste den Ernst der Lage sofort. Rebecca war die einzige, die ihn verstand, deshalb konnte er es ruhig wagen, mit ihr zu reden.
„Ich kann sprechen, aber du darfst es niemandem verraten. Ich rede nur mit Kindern!“ sagte er laut und deutlich. „Und die Geräusche, die du heute Nacht gehört hast, die kann ich dir auch erklären.“
Rebecca musste sich erst einmal hinsetzen, so überrascht war sie. „Das gibt es doch nicht, das würde mir sowieso kein Mensch glauben“, flüsterte sie.
„Sag mal, Stummel. Spinne ich jetzt, oder stimmt es wirklich?“
„Du spinnst nicht, aber ich warne dich, behalt es für dich!“
Stummel hielt ihr seine Pfote hin.
„Pfote drauf!“, befahl er und Rebecca schlug ein. „Okay, Pfote drauf!“
„Wenn du mir jetzt eine Scheibe von der leckeren Fleischwurst aus dem Kühlschrank holst, dann verrate ich dir auch, woher die geheimnisvollen Geräusche kamen.“
Rebecca schob sich gleich selbst noch eine Scheibe Wurst in den Mund.
„Also dann, erzähl mal“, forderte sie gespannt.
„Du weißt ja, dass der Frühling bald kommt. Heute Nacht war ein Knistern und Knacken im Garten, weil die ersten Krokusse sich durch die oberste Erdschicht geschoben haben und der Kirschbaum hat Knospen angesetzt und die Schneeglöckchen haben leise geläutet. Wenn du gleich mit mir raus gehst, wirst du es sehen.“
Das ließ sich Rebecca nicht zweimal sagen, schnell schlüpfte sie in ihren Jogginganzug, zog den Anorak an und ihre Gummistiefel. Dann öffnete sie die Haustür und folgte Stummel in den Garten.
Sie erblickte die ersten Krokusse auf dem Rasen und betrachtete die Zweige des Kirschbaums. Freudig hüfte sie über den Rasen.
„Der Frühling ist da! Der Frühling ist da!“ sang sie und tanzte um eine Gruppe Krokusse herum.
„Ich habe euch gehört, heute Nacht!“, verriet sie den Krokussen und dann küsste sie die winzigen lila Becher, jeden einzelnen und ganz vorsichtig. Sie strich liebevoll über den unteren Zweig des Kirschbaumes und dann umarmte sie seinen Stamm. Ein warmes, freudiges Gefühl hatte sie dabei und als sie später in der Küche saß und einen warmen Kakao schlürfte, war sie noch immer so verzaubert vom Wunder des Frühlings, dass Mama ihre Stirn fühlte, weil sie glaubte, dass Rebecca ein wenig Temperatur haben könnte.
Ihr Geheimnis aber behielt Rebecca für sich und als sie erwachsen war und Stummel schon lange nicht mehr lebte, dachte sie noch oft an ihn zurück und an die vielen Gespräche, die sie mit ihm geführt hatte.
© Regina Meier zu Verl
