Der Streit zwischen Nebel und Herbstwind
„So langsam aber sicher wird es mir zu bunt mit dir!“, schimpfte der Nebel mit dem Herbstwind. „Weh woanders und lass mich in Ruhe nebeln!“, fügte er noch hinzu, blies seine Backen auf und legte neue Nebelschwaden über die Wiese.
„Ich wehe genau da, wo ich will!“, antwortete der Herbstwind mit dröhnender Stimme. „Und wenn du nicht gleich still bist, du undurchsichtiger Geselle, dann rufe ich meinen Bruder, den Herbststurm zur Hilfe!“
„Ja, ja, drohen kannst du, aber das ist auch schon alles! Zieh dich zurück, ich zähle bis drei!“
Der Herbstwind lachte laut auf. Dieser Nebel war wohl verrückt geworden. Er ließ sich von dem doch nichts vorschreiben. Wer war der denn, dass er sich so aufspielen konnte. Ungeheuerlich!
Der kleine Lio stand am Fenster seines Zimmers und schaute traurig nach draußen. Der Nebel lag wie eine dicke Decke über den Blumenbeeten, so dass man die hübschen Dahlien nicht einmal mehr sehen konnte und ums Haus pfiff der Herbstwind. Wie ungemütlich war das, wo er doch gern draußen gespielt hätte. Eine dicke Träne rollte über seine Wange und tropfte auf die Fensterbank. Der Wind, der gerade am Fenster vorbeisauste, hatte es aber gesehen.
„Siehst du, was du angerichtet hast!“, schimpfte der Wind und pustete kräftig über den Boden, so dass der Nebel sich hob und die Sicht auf das Dahlienbeet freigab. „Das Kind weint und das ist nur deine Schuld!“, keifte er.
„Quatsch, mich mag das Kind. Es hat Angst vor dir! Ja, so ist das nämlich!“, der Nebel war außer sich vor Ärger. Langsam aber löste er sich auf und konnte nichts dagegen machen. Die Sonne hatte nämlich den Streit der beiden belauscht und schickte nun einzelne Strahlen durch die Wolken, zuerst nur wenige, dann immer mehr und mehr.
„Du kannst bleiben!“, flüsterte sie dem Herbstwind zu. „Das Kind hat einen Drachen gebastelt und gleich ist die richtige Zeit, um ihn steigen zu lassen, meinst du nicht auch?“
„Aber selbstverständlich!“, frohlockte der Herbstwind.
Und so kam es dann auch. Lios Papa hatte aus seinem Bürofenster ebenfalls die Sonne gesehen. Er streckte seine Arme und sprang dann auf, um seinen Sohn zu holen.
„Komm, Lio, wir lassen den Drachen steigen!“, rief er und Lio war sofort Feuer und Flamme. Vergessen war der Kummer und es machte so Spaß, dem bunten Drachen hinterher zu schauen. Hui, wie der durch die Luft sauste, der Herbstwind tat, was er konnte, hob ihn in die Luft und sauste mit ihm durch die Wolken. Herrlich!
Als Lio später unter seiner Kuscheldecke auf Papas Schoß saß und einen leckeren Kakao trank, schwärmte er: „Der Herbstwind ist mein Freund, ne, Papa?“
Papa grinste, er erinnerte sich noch gut, wie gern er seinen Drachen dem Herbstwind ausgesetzt hatte. Ja, der Herbstwind war auch sein Freund, ganz gewiss!
© Regina Meier zu Verl
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