Wenn die feinen grünen Spitzen
durch die Erdenkruste blitzen,
wenn von Vogelstimmenchören
wir die schönsten Lieder hören,
wenn der Dichter inspiriert
Frühlingsreime neu kreiert
und Tulpenzwiebeln kräftig treiben,
um nicht mehr unentdeckt zu bleiben,
wenn Verliebte Briefe schreiben
und Herzen mal ‘n an Fensterscheiben,
wenn dichte Wolkendecken brechen
und Sonnenstrahlen uns bestechen,
uns wärmen, nähren und erfreu‘n,
ja dann wird endlich Frühling sein.
„Wie bin ich denn hier gelandet?“ Rebecca lag in der Besucherritze des Elternbettes. Dabei war sie doch schon ein großes Mädchen. Sie erinnerte sich, dass sie komische Geräusche gehört hatte und war plötzlich hellwach.
„Ja genau, da war etwas an meinem Fenster“, murmelte sie und schaute ihre schlafenden Eltern an. Im Zimmer war es schon ein wenig hell. Vorsichtig krabbelt Rebecca zum Fußende und kletterte aus dem Bett. Sie schloss leise die Schlafzimmertür hinter sich. Auf dem Flur kam ihr Stummel entgegen und wedelte mit dem Hinterteil. Einen Schwanz hatte er nicht, daher der Name Stummel.
„Guten Morgen, mein Schätzelein“, flüsterte Rebecca und streichelte den Hund liebevoll. „Sag mal, hast du heute Nacht auch diese unheimlichen Geräusche gehört?“
Stummel schaute einen Augenblick verwundert, dann schüttelte er den Kopf. Rebecca staunte, hatte er ihr etwa geantwortet. Das hatte sie ja noch nie erlebt. Sie machte einen Test.
„Sag mal, bin ich die Rebecca?“
Stummel verzog die Schnauze zu einem Grinsen.
„Blöde Frage, oder? Wer sollte ich denn sonst sein“, lachte Rebecca und kraulte Stummels Nacken.
„Sollen wir Frühstück machen?“, fragte Rebecca jetzt und Stummel setzte sich gleich in Bewegung und rannte Richtung Küche.
Rebecca füllt als erstes seinen Wassernapf auf und dann holte sie das Hundefutter aus dem Schrank. Freudig sprang Stummel an ihr hoch.
„Kannst es wieder nicht abwarten, du kleiner Stinker!“, schimpfte Rebecca.
„Was hast du gesagt?“
„Stinker, habe ich gesagt“, antwortete Rebecca, dann stockte sie.
„Hast du etwa gerade mit mir gesprochen?“ Sie schaute Stummel erwartungsvoll an und der schaute zurück und sagte nichts, aber er grinste schon wieder.
„Stummel, wenn du reden kannst, dann sag es mir jetzt. Sonst packe ich das Futter wieder weg“, das war ein Befehl. Stummel erfasste den Ernst der Lage sofort. Rebecca war die einzige, die ihn verstand, deshalb konnte er es ruhig wagen, mit ihr zu reden.
„Ich kann sprechen, aber du darfst es niemandem verraten. Ich rede nur mit Kindern!“ sagte er laut und deutlich. „Und die Geräusche, die du heute Nacht gehört hast, die kann ich dir auch erklären.“
Rebecca musste sich erst einmal hinsetzen, so überrascht war sie. „Das gibt es doch nicht, das würde mir sowieso kein Mensch glauben“, flüsterte sie.
„Sag mal, Stummel. Spinne ich jetzt, oder stimmt es wirklich?“
„Du spinnst nicht, aber ich warne dich, behalt es für dich!“
Stummel hielt ihr seine Pfote hin.
„Pfote drauf!“, befahl er und Rebecca schlug ein. „Okay, Pfote drauf!“
„Wenn du mir jetzt eine Scheibe von der leckeren Fleischwurst aus dem Kühlschrank holst, dann verrate ich dir auch, woher die geheimnisvollen Geräusche kamen.“
Rebecca schob sich gleich selbst noch eine Scheibe Wurst in den Mund.
„Also dann, erzähl mal“, forderte sie gespannt.
„Du weißt ja, dass der Frühling bald kommt. Heute Nacht war ein Knistern und Knacken im Garten, weil die ersten Krokusse sich durch die oberste Erdschicht geschoben haben und der Kirschbaum hat Knospen angesetzt und die Schneeglöckchen haben leise geläutet. Wenn du gleich mit mir raus gehst, wirst du es sehen.“
Das ließ sich Rebecca nicht zweimal sagen, schnell schlüpfte sie in ihren Jogginganzug, zog den Anorak an und ihre Gummistiefel. Dann öffnete sie die Haustür und folgte Stummel in den Garten.
Sie erblickte die ersten Krokusse auf dem Rasen und betrachtete die Zweige des Kirschbaums. Freudig hüfte sie über den Rasen.
„Der Frühling ist da! Der Frühling ist da!“ sang sie und tanzte um eine Gruppe Krokusse herum.
„Ich habe euch gehört, heute Nacht!“, verriet sie den Krokussen und dann küsste sie die winzigen lila Becher, jeden einzelnen und ganz vorsichtig. Sie strich liebevoll über den unteren Zweig des Kirschbaumes und dann umarmte sie seinen Stamm. Ein warmes, freudiges Gefühl hatte sie dabei und als sie später in der Küche saß und einen warmen Kakao schlürfte, war sie noch immer so verzaubert vom Wunder des Frühlings, dass Mama ihre Stirn fühlte, weil sie glaubte, dass Rebecca ein wenig Temperatur haben könnte.
Ihr Geheimnis aber behielt Rebecca für sich und als sie erwachsen war und Stummel schon lange nicht mehr lebte, dachte sie noch oft an ihn zurück und an die vielen Gespräche, die sie mit ihm geführt hatte.
Die Schnecke sitzt im Schneckenhaus,
sie übt schon Frühlingslieder.
Sehnt sich nach weißem Flieder,
doch traut sie sich noch nicht heraus.
„Das mit dem Flieder dauert noch,
was kommt im Jahr als erstes an,
die Krokusse, der Tulipan?
Ach nein, ich hör ihr Läuten doch.
Schneeglöckchen sind’s, die leise klingen,
sie blinzeln zaghaft durch den Schnee,
ich freu mich so, wenn ich sie seh,
für sie will ich jetzt Lieder singen.
Galanthus nivalis, du zartes Pflänzchen,
Milchblütenglöckchen läuten ganz fein,
ich stimme zaghaft, ganz leise mit ein
vielleicht wage ich auch ein Tänzchen.“
Es war Frühling. In einem verwilderten Garten lag ein Stein.
Auf seiner Oberfläche war eine Mulde, in der hielt sich nach dem Regen das Wasser. So diente der Findling den Vögeln als Tränke.
Dem Stein gefiel das. Viele Jahre hatte er sich Gedanken darüber gemacht, was er eigentlich wert sei.
Die Bäume hatten es gut. Sie legten im Frühling ihr grünes Blätterkleid an und spendeten den Menschen und Tieren Schatten. Manche waren sogar voller Früchte und wenn der Stein sah, dass die Kinder von den süßen Kirschen naschten, dann wurde er immer ein wenig neidisch.
Ja, und die Blumen, diese zarten Geschöpfe, sie waren die Geschwister der Sterne. Das wusste der Stein von der alten Walli, die den Kindern immer so schöne Geschichten erzählte. Manchmal setzte sich die Walli zum Erzählen ins Gras und lehnte sich an den Stein. Diese Momente waren ihm heilig. Was gab es Schöneres, als einer Geschichte zu lauschen?
Wie gern hätte der Stein die Walli gefragt, was seine Rolle auf der Welt sei.
Manchmal machte eine Hummel Rast auf dem Stein, das kitzelte und der Stein musste lachen. „Na, Dickerchen“, kicherte die Hummel, habe ich dich am Bauch gekitzelt?“ Da musste der Stein noch mehr lachen.
Der Stein hatte immer wieder versucht mit den Menschen zu reden. Doch nie hatte ihm jemand geantwortet. Entweder hörten sie ihn nicht, oder sie verstanden nicht, was er sagte. Wie anders sollte er sich bemerkbar machen, es gelang ihm nicht, sich von der Stelle zu rühren, so sehr er sich auch anstrengte.
Einmal aber, vor vielen Jahren, war es ihm fast gelungen ein wenig zur Seite zu rollen. Damals hatte ein Gänseblümchen zu ihm gesprochen und da es ganz nah bei ihm stand, konnte er es nicht sehen. Die liebliche Stimme des Blümchens hatte ihn aber so verzückt, dass es unbedingt anschauen wollte.
„Geh ein wenig weiter, damit ich dich sehen kann“, bat er. Doch das Gänseblümchen sagte traurig: „Das geht nicht, ich bin eine Pflanze und ich habe meine Wurzeln im Erdreich. Schau dir meine Schwestern an, dann weißt du, wie ich aussehe.“
„Deine Schwestern sind wunderschön, aber das ist doch nicht das gleiche, als wenn ich dich betrachten könnte“, jammerte der Stein, nahm all seine Kraft zusammen und versuchte, ein wenig zur Seite zu rollen. Dabei ächzte und stöhnte er vor Anstrengung.
„Pst, sei leise“, flüsterte das Blümchen. „Da kommen die Kinder, sicher wollen sie wieder Blütenkränze flechten.“
Das Blümchen verhielt sich mucksmäuschenstill. Annika und Tine setzten sich auf den Stein, der von der Sonne ganz warm war.
„Sollen wir uns ein Kränzchen machen?“, fragte Annika.
„Das ist langweilig, lass uns Geschichten erfinden, das macht mehr Spaß“, schlug sie vor.
Der Stein war erleichtert, es hätte gut sein können, dass es seinem Gänseblümchen an den Kragen gegangen wäre.
„Sag mal“, fragte Annika, „wie findest du eigentlich den Neuen in der Klasse?“
Tine bekam ein knallrotes Gesicht.
„Geht so!“, antwortete sie.
„Na, du bist doch wohl nicht verknallt?“, lachte Annika, sprang auf und tanzte um den Stein herum. Dabei sang sie: „Tine liebt den Neuen, Tine liebt den Neuen!“
„So ein Quatsch!“ Tine stampfte verärgert mit dem Fuß auf.
„Hast du denn nicht bemerkt, dass er dich in der Stunde immer nur anschaut und auf dem Schulhof läuft er auch dauernd hinter dir her.“, behauptete Annika und grinste von einem Ohr zum anderen.
„Das ist gar nicht wahr“, stammelte Tine, aber irgendwie gefiel ihr der Gedanke doch sehr gut, denn der Felix, so hieß der Neue, war ein netter Junge.
„Es lässt sich leicht feststellen, Moment!“ Annika pflückte ein Gänseblümchen und hielt es Tine hin. „Hier, du musst nur die Blütenblätter auszupfen und dabei sagen: „Er liebt mich, er liebt mich nicht… solange, bis kein weißes Blättchen mehr zu sehen ist. Dann weißt du’s!“
Tine nahm das Blümchen und stellte es in die Wassermulde auf dem Stein.
„Du bist gemein, es vertrocknet doch!“ Sie nahm sich aber vor, später wieder her zu kommen und den Test zu machen, wenn Annika nach Hause gegangen war. Sie musste ja schließlich nicht alles wissen.
Der Stein aber war verärgert. Die Menschen konnten ja ganz nett sein, und die Kinder mochte er besonders gern leiden. Schade, dass sie gar nicht darüber nachdachten, dass das arme Gänseblümchen nun sterben musste. Ach könnte er doch reden, dann würde er den Mädchen schon was erzählen.
Am Abend kam Tine noch einmal in den Garten und setzte sich auf den Stein. Sie betrachtete lange das Gänseblümchen, das sich im Wasser frisch gehalten hatte und jetzt die Blütenblätter geschlossen hielt wie jeden Abend.
„Ich werde dir die Blättchen nicht auszupfen, kleine Blume. Mir ist es auch egal, ob er mich liebt. Wenn es so sein sollte, dann werde ich das schon merken.“
Könnte der Stein lächeln, dann hätte er das jetzt sicher getan.
„Wenn der Felix dich nicht liebt, dann ist aber einer da, der dich ganz arg gern hat“, dachte der Stein und dann seufzte er laut: „Ich liebe dich!“
„Ich dich auch!“, sagte Tine und streichelte den Stein. Dann ging sie zurück ins Haus.
„Und ich auch“, flüsterte das Gänseblümchen und seine zarten Blütenblätter erröteten ganz leicht an den Spitzen. Der Stein war nicht ganz sicher, ob es ihn, oder die Tine gemeint hatte. Er wollte es auch gar nicht wissen, er würde es schon merken.