Käthe wartet

Käthe wartet

Käthe steht an der Gartenpforte und schaut. Jeden Tag sieht man sie dort, immer zwischen Zwölf und Eins mittags. Sie schaut nach rechts, dann nach links, dann wieder eine Weile geradeaus. Sie wartet.
„Schau, Mama, die Käthe, da steht sie wieder!“ Florian sitzt am Küchentisch und beobachtet die Nachbarin aus dem Haus gegenüber. Er kennt sie gut, aber in den letzten Monaten ist sie so komisch geworden, so dass Florian manchmal sogar etwas Angst vor ihr hat.
„Sie wartet!“, sagt Mama und Florian nickt. „Weiß ich ja. Aber merkt sie denn nicht, dass sie ganz umsonst dort wartet?“
„Nein, Florian, Käthe vergisst es immer wieder. Sie denkt, dass ihre Kinder jeden Moment aus der Schule kommen müssten. Das hat sie mir erzählt und als ich sagte, dass die Kinder doch längst erwachsen sind, da hat sie geweint und ist ins Haus gelaufen.“
„Sie tut mir so leid!“ Florian hat Tränen in den Augen, denn er mag die alte Dame so gern leiden. Früher hat sie ihm Geschichten erzählt. Aber heute ist Florian ja schon ein großes Schulkind und er kann seine Geschichten selbst lesen.
„Meinst du, ich sollte sie mal fragen, ob sie mir eine Geschichte vorliest?“, fragt Florian die Mutter.
„Versuch es, aber jetzt essen wir erst einmal, später kannst du zu ihr gehen.“
„Und wenn sie mich wieder nicht erkennt?“
„Dann stellst du dich vor und sagst ihr wer du bist, wo du wohnst und dass du immer so gern ihre Geschichten hörst. Dann wird sie sich bestimmt erinnern, noch kann sie das!“
Am Nachmittag geht Florian zu Käthe. Mama hat ihm einen schönen Strauß Löwenmäulchen aus dem Garten mitgegeben.
„Ach du lieber Junge“, begrüßt ihn Käthe. „So schöne Blumen“, sie nimmt die Blumen und holt gleich eine Vase aus der Küche.
„Setz dich doch, Kleiner!“
Großzügig überhört Florian das „Kleiner“. Eigentlich mag er das nicht hören, aber Käthe darf das und heute ist sie auch wunderbar gelaunt und nicht so zickig wie beim letzten Mal, als sie sich so darüber geärgert hat, dass sie sich nicht an Florians Namen erinnern konnte und ihm einreden wollte, dass er gefälligst Josef zu heißen hat.
„Ich bin übrigens der Florian!“, sagt er schnell.
„Aber das weiß ich doch, Kleiner. Magst du einen Kakao?“
„Nein, ich habe gerade zu Mittag gegessen, aber eine Geschichte würde ich gern hören.“
Käthes Augen strahlen, sie setzt sich in den großen Sessel, legt die Beine auf die Fußbank und beginnt:
„Heute erzähle ich dir eine Geschichte, die der Josef auch immer so gern gehört hat, weißt du, der Josef, das ist mein Jüngster!“
Florian lauscht der Geschichte, er kennt sie schon, aber das macht gar nichts. Käthe ist glücklich und es tut ihr gut zu erzählen, das merkt Florian und er nimmt sich vor, sie nun wieder öfter zu besuchen.

© Regina Meier zu Verl

Leni und der Herzballon

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Leni und der Herzballon

Allein stand das Kind auf dem Friedhof. Bis auf das Rufen eines Käuzchens war es still.
Es hatte keine Angst, ganz friedlich schien die Welt. Auf dem Stein war der Name der Oma eingraviert. In der Hand hatte das Kind ein Band, an dem ein roter Luftballon in Herzform schwebte.
„Ich lasse ihn nun fliegen, dann kommt er zu dir, Oma. Ich habe dich so lieb“, flüsterte das Kind und schaute zum Himmel. Es streckte seine Hand nach oben und da das Band nur locker um die Hand gewickelt war, löste es sich leicht und der Ballon schwebte davon, höher und immer höher.
Nach einer Weile erblickte das Kind das Gesicht der Großmutter in den Wolken.

„Oma, Oma, halt ihn fest, er ist für dich“, rief Leni laut. Sie schlug die Augen auf und sah die Mutter an ihrem Bett sitzen.
„Hast du wieder von Oma geträumt, Leni?“, fragte diese und strich ihrer Tochter zärtlich übers Haar.
Leni nickte und kuschelte sich an die Mutter. Seit Oma nicht mehr da war, träumte Leni häufig von ihr, sie vermisste sie von ganzem Herzen.
„Mach ein wenig Platz, dann lege ich mich noch ein wenig zu dir. Es ist noch so früh.“, schlug die Mutter vor. Sie schmiegten sich aneinander und Leni schlief auch nach ein paar Minuten wieder ein.
Es war Sonntag und die Familie wollte gemeinsam zur großen Frühjahrskirmes im Dorf gehen. Leni freute sich darauf und auch Timmy, ihr kleiner Bruder, war Feuer und Flamme.
Karussell fahren war bei den Kindern sehr beliebt, besonders das Kettenkarussell liebten die beiden sehr.
Nach dem Mittagessen machten sie also eine Wanderung zum Kirmesplatz, auf dem es schon munter einherging. Es duftete köstlich nach gebrannten Mandeln, Bratwürstchen, Waffeln und allerlei anderen Leckereien.
„Wir gehen erst einmal über das ganze Gelände und schauen, was es so alles gibt!“, schlug der Vater vor. „Dann könnt ihr euch ein Karussell und eine Süßigkeit aussuchen, einverstanden?“
Doch Leni hatte nur Augen für einen Clown, der einen großen Strauß bunter Luftballons bei sich trug. Da gab es Flugzeuge, Dinosaurier, Fische und viele mehr. Leni suchte nach einem roten Herzen, fand aber keins. Sie zupfte den Clown am Ärmel.
„Hast du keinen Herzballon? Ich möchte so gern einen roten Herzballon!“, sagte sie. Der Clown schüttelte traurig den Kopf, überlegte kurz, sprang in die Luft, drehte sich um und flitzte dann wie ein Wirbelwind davon.
„Was war das denn?“ Der Vater staunte. „Was hast du ihm denn gesagt?“
„Ach, ich habe nur nach einem roten Herzballon gefragt und schon war er weg. Dabei wollte ich doch so gern so einen Luftballon haben. Ich möchte auch nicht Karussell fahren oder etwas anderes kaufen, ich möchte nur so einen Ballon.“
Leni weinte, gerade hatte sie sich an ihren Traum erinnert und nun wollte sie ihn Wirklichkeit werden lassen.
In diesem Augenblick kam der Clown zurück, er hatte in der rechten Hand den Strauß mit den vielen Ballons und links … einen glitzerroten Herzballon. Strahlend drückte er Leni den Ballon in die Hand, machte einen Diener und verschwand so schnell wie er gekommen war.
Leni war überglücklich.

Auf dem Friedhof standen vier Menschen. In der Ferne hörten sie die Musik des Rummels. Sie hielten sich an der Hand und schauten gen Himmel. Das Mädchen ließ den Ballon los, er sollte zur Großmutter fliegen und das tat er auch. Langsam stieg er gen Himmel und glänzte in der Abendsonne.
„Der ist für dich, Oma“, flüsterte Leni. Still gingen die vier Menschen nach Hause, jeder von ihnen ging seinen Gedanken nach, nur Timmy bedauerte, dass er nicht auf einer Karussellfahrt bestanden hatte.
„Morgen ist auch noch ein Rummeltag, mein Sohn!“, tröstete ihn der Vater.

© Regina Meier zu Verl
Diese Geschichte wurde von meiner Freundin Helen Swetlik ins Englische übersetzt:

Lies hier:

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Eine Überraschung für Mama

Eine Überraschung für Mama

Omas Bett steht am Fenster im Wohnzimmer. Wenn Mama das Kopfteil ein wenig höher stellt, dann kann Oma in den Garten schauen. Das gefällt ihr, denn raus kann sie nicht mehr, schon lange nicht. Sie muss fast den ganzen Tag liegen. Dadurch, dass das Bett aber nun im Wohnzimmer steht, nimmt sie am Familienleben teil und ist nicht so allein.
Ich spiele oft im Garten. Immer wieder schaue ich dann bei Oma vorbei, zeige ihr ein Blümchen, das ich gepflückt habe oder male ein Herz an die Fensterscheibe. Dabei darf ich mich aber nicht von Mama erwischen lassen. Sie mag das nämlich gar nicht.
Dieses Wochenende ist bei uns was los. Mama und Papa machen Frühjahrsputz. Jede Ecke wird aufgeräumt und entstaubt. Die Fenster werden auf Hochglanz poliert und selbst die Decken aller Räume werden geputzt. Dafür hat Mama einen weichen Lappen auf den Wischer gespannt und sie streckt und reckt sich, damit sie auch jeden Winkel erwischt. Das ist anstrengend, denn sie stöhnt in einer Tour.
Oma und ich schmunzeln bei jedem Seufzer und schauen uns wie zwei Verschworene an. Laut zu lachen, das wagen wir nicht, das würde Mama wohl ärgern. Dabei hat sie selbst es sich ja so ausgesucht und wir können ihr auch gar nicht helfen. Oma, weil sie krank ist und ich, weil ich auf Oma aufpassen muss. Das ist in diesem Fall ganz praktisch, finde ich.
Papa entrümpelt den Keller, so steht er Mama nicht im Weg und er muss auch nicht ihr Gestöhne anhören. Schließlich kann er ja nichts dafür, dass die Spinnen die Decke und Zimmerecken „bewebt“ haben. All die feinen Spinnweben, wahre Kunstwerke, verschwinden nun im Putztuch. Oma hustet, ich huste zur Gesellschaft gleich mit und wedle mit der Hand vor meinem Gesicht herum.
„Puh, staubt das hier!“, bemerke ich und fange mir einen bösen Blick von Mama ein.
„Meckern kann ich auch“, schimpft sie und macht weiter. Oma hustet schon wieder, ich auch. Papa kommt ins Wohnzimmer und wedelt ebenfalls mit den Armen.
„Das kann ja nicht gesund sein, Ingrid, denk an deine Mutter!“ Er geht zum Fenster und öffnet es weit. Im Raum wird es furchtbar kalt und Oma und ich husten um die Wette.
„Ihr macht mir doch was vor, ihr Beiden“, sagt Mama verärgert, hört aber auf, an der Decke herumzuputzen.
Als Papa das Fenster gerade wieder schließen will, steckt der Postbote seinen Kopf ins Zimmer.
„Ich habe schon drei Mal geläutet, habe einen wichtigen Brief für Sie!“, kündigt er an und überreicht Papa einen großen Umschlag.
„Schauen Sie, hier müssen Sie bitte quittieren. Er deutet auf sein Lesegerät und reicht Papa einen Stift. Papa zieht die Augenbrauen in die Höhe und staunt. Er fragt sich, was wohl in dem Brief sein wird. Als sich der Postbote verabschiedet hat, lässt sich Papa auf’s Sofa fallen, Mama daneben, gemeinsam öffnen sie den Briefumschlag. Sie lesen, dann kreischt Mama und Papa grinst, als er einen dicken Schmatz von seiner Frau bekommt.
„Du bist ja so süß, Freddy, richtig romantisch, ich bin hin und weg!“
Oma und ich schauen uns an und zucken mit den Schultern. Wir verstehen nicht, was da gerade los ist. Allerdings bin ich nicht ganz sicher, ob Oma nur so tut, oder ob sie genau weiß, was da vor sich geht. Papa sagt nämlich:
„Das ist ja sehr lieb und du darfst mich ruhig noch mal küssen, liebe Ingrid, aber ich war das nicht, Ehrenwort!“
„Was ist denn nur los?“, will ich jetzt wissen. Oma schweigt und grinst.
„Dein Vater hat mir eine Reise nach Paris geschenkt und nun tut er so, als wäre er es nicht gewesen!“, beantwortet Mama meine Frage.
Oma kichert und jetzt weiß ich auch warum: sie war das.
„Oma war’s!“, verkünde ich und bekomme einen Buff in die Seite.
„Mutter, ist das wahr?“
„Ja!“, sagt Oma. „Ich wollte euch etwas zum Hochzeitstag schenken und dachte mir, dass ihr mal nach Paris reisen solltet und den Knirps, den lasst ihr hier bei mir. Der muss Tante Elisabeth Anweisungen geben. Denn die wird sich während des Wochenendes um mich kümmern. Ihr seht, für alles ist gesorgt!“
„Aber …“, stammelt Mama, „aber, das geht doch nicht!“
„Geht!“, sagt Oma und da ist auch nichts dran zu rütteln.
Ich finde das gut, denn ich bin ja schon groß und kann Tante Elisabeth gut sagen, wo es langgeht. Vielleicht gehorcht sie sogar, wenn ich Pizza bei ihr bestelle und einen dicken Eisbecher. Wir werden sehen.

HIER auch als Hörbuch: Überraschung beim Frühjahrsputz

© Regina Meier zu Verl

Kirschzweige im Frühling

Geschichten von früher

Geschichten von früher

„Ach Vater, lass doch die alten Geschichten. Die hast du alle schon tausend Mal erzählt!“
Angela besucht ihren Vater, der seit einigen Jahren allein in seiner kleinen Wohnung lebt. Seit dem Tode der Mutter kümmert sie sich um die Wäsche und putzt seine Wohnung regelmäßig. Manchmal wird ihr das zu viel. Sie hat ihr eigenes Haus zu versorgen und die drei Kinder müssen von A nach B kutschiert werden. Heute ist sie besonders schlecht gelaunt, Freddy hat sein Turnzeug vergessen und sie musste es ihm in der großen Pause nachbringen.
Der Vater schluckt und senkt den Blick. Angela ist doch die einzige, mit der er noch reden kann. Ab und zu wechselt er ein paar Worte mit dem Briefträger und der Dame vom Pflegedienst, die jeden Morgen kommt. Aber sie ist immer in Eile. Zehn Minuten, dann muss sie zum nächsten Termin. Es ist schrecklich.
„Neue Geschichten habe ich nicht“, sagt er leise und in seinen Augen schimmern Tränen. „Hier passiert doch nichts und was morgen sein wird, das weiß ich nicht. Was soll ich also anderes erzählen, als Geschichten aus der Vergangenheit?“
„Ich weiß ja, Vater!“ Angelas Stimme klingt nun viel sanfter. Sie hat ein schlechtes Gewissen. Sie liebt ihren Vater sehr. Doch das Leben in der Familie ist manchmal sehr anstrengend und Toni, ihr Mann, ist die ganze Woche unterwegs und kommt immer erst am Freitag zurück. Angela wischt über den Bildschirm des Fernsehers.
„Im Fernsehen kommt auch nichts Schönes mehr, immer nur schlechte Nachrichten und Berichte vom Krieg. Dabei haben wir damals gedacht, dass es nie wieder Krieg geben würde irgendwo. Gehofft haben wir es und nun kommt es immer näher. Überall schlagen sie sich die Köpfe ein. Ich mag das nicht mehr anschauen, ändern kann ich sowieso nichts!“, beklagt sich der Vater.
Angela stimmt ihm zu. „Ja, das ist wirklich nicht schön. Aber verschweigen kann man es ja auch nicht, wir müssen doch wissen, was in der Welt los ist, nicht wahr?“
„Ich muss das nicht mehr wissen, ich vergesse es sowieso wieder. Gerade gestern hatte ich so ein Erlebnis. Ich hatte das Radio eingeschaltet und hörte Musik. Du weißt ja, dass ich die alten Schlager so mag. Ich kannte ein Lied, hätte den ganzen Text mitsingen können, aber meinst du, mir wäre der Name des Sängers wieder eingefallen? Ich bin fast verrückt geworden, weil ich mich nicht erinnern konnte. So fängt es an, liebe Angela!“
Angela lachte. „Ach Vater, das ist doch Quatsch! Was meinst du, wie oft ich mich nicht an Namen erinnern kann. Noch schlimmer ist es mit dem Einkaufen, wenn ich keine Liste mitnehme. Ich vergesse die Hälfte von dem, was wichtig ist. Das wäre mir früher auch nicht passiert.“
„Ehrlich?“
„Ja, ganz ehrlich, sei beruhigt. Das geht dir nicht allein so.“
„Angela, weißt du vielleicht den Namen des Sängers?“ Der Vater beginnt zu summen und einzelne Textpassagen zu singen. Wie schön das klingt. Angela legt den Putzlappen zur Seite und setzt sich zu ihrem Vater auf die Sessellehne. Sie legt den Arm um die Schultern ihres Vaters und schmiegt sich an ihn. Der summt weiter, so, als wolle er den Moment anhalten.
„Papa, ich weiß nicht, wer das gesungen hat. Aber es klingt schön. Wir sollten viel öfter die alten Schlager anhören, das fühlt sich an wie früher, als ich abends auf deinem Schoß saß und dir zugehört habe, weißt du noch?“
„Sicher weiß ich das noch. Du warst für mich die schönste Tochter der Welt und ich war so stolz auf dich. Ich denke noch sehr oft daran.“
„Entschuldige, Papa, dass ich vorhin so gereizt war!“, bittet Angela kleinlaut. Ihr wird bewusst, wie sie zu Unrecht wütend auf den Vater war. Der konnte schließlich nichts dafür, wenn sie Stress hatte. „Weißt du was?“, fragt sie, denn plötzlich kommt ihr eine gute Idee.
„Wir werden von jetzt an, wenn ich bei dir bin, die Zeit besser nutzen. Ich putze ganz schnell die Wohnung und dann setzen wir uns zusammen hin und hören Musik oder vielleicht magst du mir mal wieder etwas vorlesen, so wie früher.“
Der alte Herr nickt zustimmend. „Oh ja, das machen wir!“, ruft er begeistert. „Fangen wir gleich heute damit an, ja?“
„Okay, ich räume gerade das Putzzeug weg und koche uns eine Tasse Tee. Dann habe ich noch eine gute Stunde Zeit, bevor Freddy aus der Schule kommt. Ich muss ihn abholen, weil er gestern so ein blödes Erlebnis auf dem Weg nach Hause hatte. Ein größerer Junge hat ihm den Weg versperrt, als er vom Fahrradständer kam. Heulend kam er zu Hause an.“
„Das ist dir auch passiert, weißt du noch?“, fragt der Vater.
Angela kann sich nicht erinnern und lässt sich erzählen, was damals vorgefallen ist. Plötzlich hat sie dann die Situation wieder vor Augen und sie sieht ihren jungen Vater, der tüchtig mit dem Nachbarsjungen schimpft, weil er seine Tochter nicht in Ruhe lässt. Angela grinst.
„Du hast ihm ganz schön Angst eingejagt, dem Michael. Der hat es nie wieder gewagt, mich zu ärgern“, kichert sie. „Er wollte dann auch gar nichts mehr mit mir zu tun haben. Darüber war ich froh. Der hätte sich die Nase vergolden lassen können, dann wäre er für mich immer noch Luft gewesen!“
Nachdem Vater und Tochter eine schöne Teestunde miteinander verbracht haben und ihnen sogar der Name des Sängers wieder eingefallen ist, verabschiedet sich Angela.
„Ich guck mal, ob ich im Internet etwas über Rudi Schuricke finde und dann singen wir wieder gemeinsam: Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt … „
„Bella, bella, bella Marie, la la la la la la la morgen früh …“, stimmt der Vater ein und ein glückliches Lächeln liegt auf seinem Gesicht.
© Regina Meier zu Verl

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Bildquelle ponce_photography/pixabay

 

Elina und die rosafarbenen Stulpen

Elina und die rosafarbenen Stulpen (unter dem Text auch zum Anhören)

„Oma, was machst du denn da?“
„Ich ruhe mich aus, Elina!“ Oma Betty sitzt in ihrem Fernsehsessel und hat die Beine hochgelegt.
„Könntest du mir einen Gefallen tun, während du dich ausruhst?“, fragt Elina mit zuckersüßer Stimme.
„Das kommt darauf an“, sagt Oma.
„Worauf kommt es an?“, will Elina wissen.
„Also, wenn ich mich weiter dabei ausruhen kann und die Beine liegen bleiben dürfen, dann könnte ich dir einen Gefallen tun. Worum geht es denn?“
„Ich gehe doch jetzt immer zum Ballettunterricht. Die anderen Mädchen dort haben Stulpen über der Strumpfhose. Das gefällt mir gut. Ich möchte auch welche haben.“ Elina zeigt ihrer Oma, von wo bis wo die Stulpen gehen und erklärt dann, dass diese langen Socken ohne Fuß den Sinn haben, die Waden schön warm zu halten.
„Weißt du Oma, man kann sich leicht verletzen, wenn die Muskeln kalt sind!“
„Ich verstehe!“, sagt Oma. „Und nun möchtest du, dass ich dir ein Paar Stulpen stricke, stimmt’s?“
Elina strahlt. Sie wusste, dass Oma ein offenes Ohr für sie hatte und schnell ihren Wunsch erraten würde.
„Genau, rosa sollen sie sein. Genauso rosa wie mein Ballettkleid!“
„Dann müssen wir Wolle besorgen und ich muss doch meinen Sessel verlassen. Außerdem wird es gleich schon dunkel und wir schaffen es nicht mehr im Hellen zurück!“
„Mama könnte uns fahren, oder wir nehmen eine Taschenlampe mit“, schlägt Elina vor. Dann fällt ihr ein, dass Mama ja gar nicht zu Hause ist und Papa kommt erst spät, da er heute noch in die Stadt fahren wollte nach Feierabend.
„Mmh“, macht Oma. „Mmh“, macht auch Elina. Dann schwingt Oma die Beine vom Sessel und steht auf. Sie strickt ja viel zu gerne und möchte am liebsten heute noch beginnen mit den rosa Stulpen.
„Also gut, dann mal los, junge Dame!“
„Oma, du bist die Beste!“
Schnell packen sich die beiden warm ein und schreiben einen Zettel auf dem steht: Wir sind im Wollgeschäft, Stulpenwolle kaufen!
Oma nimmt vorsichtshalber noch das Handy mit, dann geht es los.
Nach einer Viertelstunde erreichen sie die Einkaufsstraße, an der auch Frau Wortmanns Wollgeschäft zu finden ist.
„Schau, Oma, das ist die richtige Farbe!“ Elina hat schnell ihre Wunschwolle gefunden. Oma kauft noch zwei Knäuel Sockenwolle zusätzlich und schon machen sie sich wieder auf den Heimweg. Als sie das Geschäft verlassen, ist es tatsächlich schon fast dunkel. Natürlich haben sie die Taschenlampe vergessen. Elina ist ein wenig mulmig zumute.
Auch Oma gefällt das gar nicht, denn ein Stück des Weges ist eine Landstraße ohne Bürgersteig. Da wird man schlecht gesehen und es ist ganz schön gefährlich. Erst im letzten Jahr ist ein Kind dort angefahren worden.
„Wir gehen ins Café und trinken einen heißen Kakao und dann rufen wir Mama an, dass sie uns später hier abholen kommt!“, schlägt Oma vor. Das findet Elina toll, denn sie bibbert schon jetzt vor Kälte. Ein schlechtes Gewissen hat sie auch, weil sie Oma ja überredet hat. Mama wird das gar nicht gefallen.
„Ich werde Mama sagen, dass ich mich verplaudert habe bei Frau Wortmann. Dann schimpft sie nicht!“, sagt Oma, die genau gemerkt hat, dass ihre Enkelin immer stiller wird.
„Guck, nun strahlst du wieder. Das ist super, denn das passt so gut zu dir wie dein Name?“
Elina weiß, dass Elina „Die Strahlende“ bedeutet. Das hat Mama ihr erklärt und seitdem gefällt ihr der eigene Name noch viel besser.
„Du strahlst wie ein Stern am sternenklaren Himmel, meine Kleine!“, schwärmt Oma, aber jetzt wird es Elina dann doch zu viel.
„Jetzt isses aber gut, Oma! Meinst du, ich könnte zum Kakao noch ein Stückchen Kuchen bekommen?“

© Regina Meier zu Verl

Hier lese ich dir die Geschichte vor:

Elina und die rosafarbenen Stulpen

Sonntags im Café

Sonntags im Café

Lieber Frank,

es ist Sonntag und wieder sitze ich in unserem Café. Ich habe mir ein Stückchen Käsekuchen bestellt und einen Kaffee mit Milchschaumwölkchen. Es ist Oktober. Der Herbst zeigt sich in seinen herrlichen Farben, die gerade von der Sonne ins rechte Licht gesetzt werden. Ich schaue aus dem Fenster und denke an dich.

Es geht mir gut heute, denn gestern haben mich die Kinder besucht und wir hatten einen schönen Tag. Ich habe die Gesellschaft genossen und als am Abend alle wieder nach Hause fuhren war ich erschöpft, aber glücklich.

Du weißt ja noch gar nicht, dass Linda wieder schwanger ist. War das eine Freude, als sie es uns erzählte. Endlich wird Henry ein Geschwisterchen bekommen und ich werde zum zweiten Mal Uroma. Ich empfinde es als ein großes Geschenk, dass ich das erleben darf.

Am Tisch nebenan sitzt das Paar, das schon immer da war, als wir noch zusammen in dieses Café kamen. Sie reden kaum miteinander, trinken ihren Kaffee, genießen ihren Kuchen und gleich wird sie die Serviette nehmen, ihren Mund abtupfen und dann wird sie seine Hand nehmen und sagen: „Wollen wir nach Hause gehen, mein Lieber?“ Dann wird er nicken, der Kellnerin winken und zahlen. So war es schon immer und ich wünsche ihnen, dass es noch lange so bleiben möge. Das Schicksal meint es gut mit ihnen, sie haben sich und das ist wunderbar. Was gäbe ich dafür, wenn du mir nun gegenüber säßest und ich deine Hand halten dürfte.

Aber ich will nicht undankbar sein. Wir hatten ein gutes Leben, wir zwei. Weißt du noch, wie glücklich wir waren, als wir unser Häuschen am Stadtrand bekamen und den ersten eigenen Garten anlegten. Wie groß war die Freude, als wir die erste Portion Kartoffeln ernten durften. Ich habe damals einen großen Topf Gemüsesuppe gekocht, mit Mettwurst drin. Das mochtest du doch so gern. Manchmal bringt mir Linda etwas Eintopf von zu Hause mit. Der schmeckt mir sehr gut, auch wenn sie ganz anders kocht als ich das früher machte.

Der Gemüsegarten ist nicht mehr da. Linda sagt, dass sie dafür keine Zeit hat, deshalb ist da, wo früher die Kartoffeln standen, nun eine Rasenfläche entstanden. Henry hat viel Platz zum Spielen. Markus hat sogar eine Rutsche aufgebaut.

Ich war aber lange nicht mehr dort. Es ist so umständlich, wenn sie mich erst holen müssen. Ich verstehe das und sie haben ja auch ihr eigenes Leben. Das Haus ist nicht allzu groß, wir haben ja damals auch ganz schön zusammenrücken müssen, als deine Eltern noch bei uns waren. Du weißt ja, wie sensibel ich bin. Wenn ich dort bin, dann muss ich ständig weinen und das möchte ich den Kindern nicht zumuten. Ich komme schon zurecht, wirklich. Du musst dir keine Sorgen um mich machen.

Das Paar vom Nebentisch ist gegangen. Er hat ihr in den Mantel geholfen und nun wandern sie Hand in Hand nach Hause. Beneidenswert!

Am Dienstagnachmittag kommt wieder der nette Herr vom Gesangverein mit seinem Akkordeon zu uns ins Heim. Dann sitzen wir alle zusammen im Speisesaal und singen miteinander. Darauf freue ich mich schon sehr. Es erinnert mich an die Zeit, in der wir noch im Chor gesungen haben. Ach, war das schön! Du hattest eine so schöne Stimme und manchmal hatte ich das Gefühl, dass du nur für mich allein gesungen hast. Ich singe aus vollem Herzen mit und freue mich daran, dass viele Bewohner das ebenso machen. Es geht nicht allen so gut wie mir, manche von ihnen sind verwirrt und erkennen nicht mal ihre Kinder. Aber wenn gesungen wird, dann sind sie dabei und Frau Müller, die sonst nie ein Wörtchen sagt, singt dann alle Strophen der alten Lieder mit. Das ist sehr berührend und ich bin dankbar, dass ich noch so gut beieinander bin.

Ich muss nun diesen Brief beenden, mein lieber Frank. Gleich kommt der nette junge Mann, der seinen Zivildienst in unserem Haus leistet. Er holt mich ab, denn allein schaffe ich es nicht mehr. Es sind nur ein paar Meter, aber im Herbst sind die Bürgersteige manchmal rutschig und ich möchte nicht fallen. Nächsten Sonntag werde ich wiederkommen und dann schreibe ich dir, so wie jeden Sonntag, mein Liebster. Pass ein wenig auf mich auf, bitte! Machst du das?

Deine Anni

© Regina Meier zu Verl

Der Tönne oder „Vor Gott sind alle Menschen gleich“

Der Tönne oder „Vor Gott sind alle Menschen gleich“

Du kannst der die Geschichte auch anhören, KLICK

Wenn du am Ortsausgang rechts in den Waldweg einbiegst und immer geradeaus gehst, dann kommst du zum Hof des alten Tönne. Du musst aber weit laufen, sicher sind es mindestens drei, vier Kilometer. Erst wenn du meinst, dass du am Ende der Welt angekommen bist, siehst du seinen kleinen Hof, der von einem wackligen Jägerzaun umgeben ist. Der Tönne lebt dort ganz allein. Nun ja, eigentlich ist er nicht allein, denn mit ihm wohnen dort viele Tiere und denen geht es da so gut, dass sie niemals auf die Idee kämen, ihr Zuhause zu verlassen.
Als ich das erste Mal dort war, vor vielen Jahren, war mir ein wenig mulmig zumute, denn uns Kindern war es verboten, den Tönne zu besuchen. Die Leute sagten, dass er ein seltsamer Geselle sei und man wüsste ja nie, was er so im Schilde führte. Gruselige Geschichten erzählte man sich. Eine davon handelte von einem Jungen, der von einem Tag auf den anderen verschwunden war. Damals hatte man den Tönne verdächtigt, dass er etwas damit zu tun hatte. Tagelang hatten die Polzisten ihn befragt und, wie die Maulwürfe, auf seinem Hof alles von unten nach oben gekehrt. Sie fanden das Kind nicht und sie konnten dem Tönne auch nichts anhängen, der immer wieder beteuerte, dass er sein Anwesen nicht verlassen hatte und auch den Jungen noch nie gesehen habe.
Selbst als der Junge längst wieder zu Hause war, er hatte sich im Gartenhäuschen der Oma versteckt, kreisten noch böse Geschichten im Ort. Statt sich bei Tönne zu entschuldigen, machte man ihm das Leben schwer, zerschlug seine Fensterscheiben, trampelte in seinen Gemüsebeeten umher und einmal hatte man sogar ein Feuer im Heuschober gelegt. So kam es, dass er sich völlig zurückzog und nur noch selten in den Ort kam, um das einzukaufen, was er auf seinem Hof nicht selbst anbauen konnte.
Trotzdem besuchte ich ihn, ich war einfach neugierig und wollte den alten Mann kennenlernen. Ich war zehn Jahre alt und gab nichts auf das Gerede der Leute. Er würde mir schon nichts antun, warum auch? Ein schönes Bild hatte ich für ihn gemalt, das ich sorgfältig verpackte, damit es keine Knicke bekam. Es zeigte unsere Kirche und den herrlichen Pfarrgarten rundum, der in den schönsten Herbstfarben erstrahlte und dessen Früchte für alle Gemeindemitglieder zur freien Verwendung standen. Der Tönne sollte etwas davon abbekommen, also packte ich auch einige Birnen, Äpfel und Pflaumen in meinen Rucksack. Hatte nicht der alte Mann auch ein Recht auf das Gemeingut? Ich fand das nur gerecht. Ja, und ich wollte ihn zum Gemeindefest einladen. Wir Kinder führten dort in jedem Jahr ein Theaterstück vor. In diesem Jahr handelte es davon, wie man sich Fremden gegenüber benimmt, dass man niemanden vor-verurteilen sollte, bevor man ihn kennengelernt hat.
„Vor Gott sind alle Menschen gleich“, sagte unsere Religionslehrerin und dieser Gedanke gefiel mit sehr. Wenn das so war, dann liebte Gott uns alle, meine Familie, die Nachbarn, die Menschen, die aus fremden Ländern zu uns gekommen waren, weil in ihren Ländern Krieg war und natürlich auch den Tönne.
Mit klopfendem Herzen kam ich also bei ihm an, nachdem ich fast eine Stunde durch das raschelnde Herbstlaub gewandert war. Der alte Mann stand auf einer Leiter und pflückte Birnen. Eine nach der anderen legte er in einen Korb, der an der Leiter hing. Ich nahm allen Mut zusammen und rief:
„Grüß Gott!“ Als sich nichts tat, versuchte ich es lauter: „Grüß Gott, Herr Tönne!“
Der Alte hatte mich nun gehört und blickte erstaunt in meine Richtung. Er kletterte vorsichtig von der Leiter und kam zu mir an den Zaun.
Er trug eine braune Cordhose, ein kariertes Flanellhemd und er hatte eine Schürze umgebunden, an der er seine Finger abwischte. Er lächelte.
„Die Birnen sind überreif und klebrig. So eine Schürze ist praktisch, darin kann ich mir die Hände abwischen und die Hose nimmt keinen Schaden!“, erklärte er mir. Dann reichte er mir die Hand.
„Grüß Gott!“, sagte er und seine Augen strahlten vor Freude. Sicher hatte er lange niemanden mehr gesehen, geschweige denn hatte ihn jemand besucht.
„Wissen deine Eltern, dass du hier bist, oder hast du dich verlaufen, junger Mann?“, fragte er mich und als ich verneinte und ihm sagte, dass ich ihn gern besuchen wollte, wurde er ein wenig nachdenklich.
„Ich würde dich gern herein bitten, aber du solltest nicht allein hierher kommen. Weißt du nichts vom Gerede der Leute?“, fragte er.
„Vor Gott sind alle Menschen gleich!“, antwortete ich. „Ich möchte Sie einladen zu unserem Gemeindefest am Sonntag. Wir spielen ein Theaterstück und ich würde mich so freuen, wenn Sie kämen!“
Der alte Tönne griff in seine Schürzentasche und holte einen Schlüssel heraus. Er schloss die Gartenpforte auf und bat mich herein. Das Tor ließ er weit aufstehen.
Dann ging er voran und bot mir einen Platz auf der Veranda vor dem Haus an. „Setz dich, Junge, ich hole uns etwas zu trinken.“
Ich packte meinen Rucksack auf einen Stuhl und setzte mich auf den anderen Stuhl. Als der Tönne zurückkam, holte ich die Früchte aus dem Rucksack und schenkte ihm mein Bild.
„Das habe ich für Sie gemalt!“, sagte ich.
„Es ist wunderschön!“, sagte der alte Mann und Tränen glitzerten in seinen Augen. „Danke, Junge!“
„Ich heiße Friedrich, aber alle sagen Fritz zu mir!“

Wir unterhielten uns eine Weile, doch dann schickte der Tönne mich nach Hause.
„Es wird bald dunkel werden und du hast einen langen Weg vor dir. Ich werde dich ein Stückchen begleiten und wenn du magst, besuch mich doch wieder. Aber frage deine Eltern um Erlaubnis, darum bitte ich dich, selbst auf die Gefahr hin, dass du dann nicht mehr kommen darfst!“
Sicher dachte er an die alten Geschichten, die über ihn erzählt wurden und ich konnte sogar verstehen, dass er ängstlich war. Deshalb versprach ich ihm, nicht mehr ohne das Okay meiner Eltern zu kommen.
„Und wie ist es mit Ihnen? Kommen Sie am nächsten Sonntag zu unserem Fest?“
„Das kann ich dir leider nicht versprechen, Fritz. Aber ich freue mich über deine Einladung. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue!“

Am Abend erzählte ich Papa von meinem Besuch beim Tönne. Der wurde zunächst ärgerlich und schimpfte mit mir.
„Mach so etwas nie wieder!“, brummte er. „Du weißt doch, dass du uns fragen musst, wenn du sowas machst!“
„Ihr hättet es doch sowieso nicht erlaubt!“, erwiderte ich kleinlaut.
„Stimmt!“, sagte Papa. Dann nahm er mich in den Arm. „Aber, auch wenn es verboten war und ich dich eigentlich bestrafen müsste, finde ich es gut, was du gemacht hast! Auf diese Idee hätte längst einer kommen sollen, schon vor Jahren!“

Am Sonntag, beim Gemeindefest, hielt ich Ausschau nach dem Tönne und fast hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben, als kurz vor Beginn des Theaterstückes meine Eltern erschienen. Sie hatten den Tönne in die Mitte genommen und nahmen Platz in der ersten Reihe. Es war so still im Gemeindesaal, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Als der Pfarrer aber aufstand und dem Tönne die Hand reichte, war der erste Bann gebrochen.
„Vor Gott sind alle Menschen gleich! So heißt das Theaterstück, das uns die Kinder der vierten Klasse nun vorspielen werden. Ich wünsche uns allen einen gesegneten Sonntag!“ Der Pfarrer setzte sich und wir Kinder nahmen die Plätze auf der Bühne ein.
Noch nie haben wir so schön gespielt, wie an diesem Sonntag. Mein Herz klopfte vor Aufregung und Freude und vor Stolz und der liebe Gott, der wird auch stolz gewesen sein auf uns!

© Regina Meier zu Verl 2015

Lisa und die Kochkiste

Lisa und die Kochkiste

Das Bauernhofmuseum finde ich supertoll. Wir fahren oft hin, meine Eltern, Oma und ich. Immer wieder gibt es etwas zu entdecken, das wir beim letzten Besuch noch nicht gesehen haben.

„Dort gibt es keinen neumodischen Kram“, sagt Oma immer und dann muss ich lachen, denn meine Oma ist eine supermoderne Frau, die ein Handy hat und ständig ihr Notebook mit sich herumträgt. Was sie unterwegs damit anfangen will, weiß ich auch nicht. Aber wenn sie nicht beides bei sich hat, dann wird sie nervös. Papa meint, dass das am Elektrosmog liegen muss, dass sie so nervös ist. Ich vermute aber eher, dass sie Angst hat, eine Nachricht von ihren Freunden zu verpassen und das kann ich gut verstehen. Freunde sind wichtig, ohne Freunde ist das Leben langweilig. Ich habe viele Freunde, doch davon will ich eigentlich gar nicht erzählen.

Heute möchte ich vom Museum erzählen, denn da waren wir am letzten Sonntag und das war spannend. Wir haben uns die Bauernhäuser angeschaut, die noch genauso eingerichtet sind wie vor hundert Jahren. Ich könnte mir sogar vorstellen, in einem dieser Häuser zu leben. Wenigstens für eine Weile, vielleicht in den Sommerferien. Da könnte ich dann bei der Ernte helfen, mit Pferd und Wagen. Das stelle ich mir toll vor. Ein paar Katzen sollten auch da sein, zum Kuscheln, die waren so wunderbar anschmiegsam. Aber das war nur ein Traum.

„Die Menschen damals haben schwer arbeiten müssen“, hat mir Papa erklärt. Das glaube ich ihm, sie hatten ja auch keinen Trecker, keinen Rasenmäher und auch keinen Elektroherd. Ein Feuer zu machen, das war mühsam. Jeden Morgen mussten sie den Küchenherd anheizen und das Holz dafür mussten sie auch selbst vorbereiten. Oma hat das nicht mehr erlebt, dafür ist sie zu jung. Aber ihre Eltern und Großeltern, die kannten das noch und sie haben viel darüber erzählt.

Am letzten Sonntag habe ich dann etwas entdeckt, das mich völlig begeistert hat. Eine Kochkiste. Sie stand in einer der Küchen und ich wusste natürlich zuerst nicht, was das war. Oma kannte sich aus. Sie erklärte mir, wofür man diese Holzkiste benutzte.

„Schau, die Kiste ist groß genug, dass ein großer Topf hineinpasst. Sie ist ausgekleidet mit Holzwolle und Heu. Wenn man einen Topf hineinpackt und den Deckel der Kiste verschließt, dann bleibt das Essen im Topf warm und kann sogar fortkochen!“

„Wie jetzt? Fortkochen? Ist es dann weg?“, habe ich gefragt.

„Oma hat laut gelacht.“
„Nein, es kocht weiter. Du kennst das doch.“

„Nein, das kenne ich nicht!“, behauptete ich und dann dämmerte es mir. Sollte Oma vielleicht den Milchreis meinen, den Mama nach dem Aufkochen immer im Bett weiterkochte?

Da hatte ich den Nagel auf den Kopf getroffen.

„Früher haben die Menschen auch schon versucht zu sparen. Wenn sie einen Eintopf kochten und der stundenlang auf dem Feuer gestanden hätte, dann wäre dabei viel zu viel Feuerholz verbraucht worden. Also ließen sie sich etwas einfallen und erfanden die Kochkiste.“ Oma holte ihr Handy aus der Handtasche und wollte nachsehen, wann genau man diese Kiste erfunden hatte, aber Papa schimpfte.

„Mutter, nun lass doch mal das blöde Handy. Das ist doch jetzt nicht wichtig!“

Oma war beleidigt und sprach nicht mehr mit Papa.
„Komm, Lisa, wir machen uns selbständig. Vielleicht bekommen wir irgendwo ein Stückchen Kuchen!“, schlug sie vor.

„Dein Papa war früher ein richtiger Wildfang und er hatte nur Blödsinn im Kopf“, verriet mir Oma. „Heute ist er mir ein bisschen zu vernünftig, ewig diese Meckerei!“, schimpfte sie.

„Ich drückte ihr einen dicken Schmatzer auf die Wange, um sie zu besänftigen.
„Was sich liebt, das neckt sich, stimmt’s, Oma?“, fragte ich sie und schon lachte sie wieder.

„Meine Oma ist super, Papa aber auch – und Mama sowieso!

© Regina Meier zu Verl