Die Eichen und das Maisfeld

Die Eichen und das Maisfeld

Drei alte Eichen standen auf einem Feld. Sie waren weit genug voneinander entfernt, dass die mächtigen Kronen ungestört in den Himmel ragen konnten, aber doch nah genug, um sich miteinander zu unterhalten.
Weit und breit waren sie von Maispflanzen umgeben. Kein Mensch war zu sehen, kein Haus, kein Auto. Wie auf einer Insel lebten sie, auf einer Insel im Maismeer, das sich leicht im Winde wiegte.
„Ich wünschte, dass wir einmal wieder etwas anderes als diesen langweiligen Mais zu sehen bekommen. Seit Jahren habe ich nichts anderen gesehen. Wir sind ja regelrecht abgeschnitten von der Welt!“, beschwerte sich die Eiche in der Mitte. „Käme nicht ab und zu die Katze vorbei, erführen wir doch gar nichts Neues mehr.“
„Dir kann man es ja niemals recht machen, meine Liebe. Ich erinnere mich an die Zeit, als hier noch eine Weide war. Da hast du ständig gemeckert, dass sich die Kühe ihre Hinterteile an uns gescheuert haben“, merkte ihre linke Nachbarin an.
„Genau!“, stimmte die dritte Eiche zu. „Du meckerst und schimpfst, aber ändern wird das nichts. Wir müssen uns mit dem zufrieden geben, was man uns beschert, nicht wahr?“
„Das will ich aber nicht!“, rief die Mittlere. „Ich mag nicht einfach alles so hinnehmen. Man sollte protestieren! Wir müssen einfach nur zusammenhalten, dann sind wir stark. Früher gab es Roggen, Weizen und Gerste, manchmal Kleewiesen, oder Lupinen. Heute baut man nur noch Mais an. Das Schlimmste aber ist, dass der gar nicht gegessen wird, er kommt in Biogasanlagen, ja, so ist das. Die Eule hat es mir erzählt.“
Die Eichen schwiegen. Die Mittlere war sauer, ihre Freundinnen nahmen sie einfach nicht ernst. Doch was sollte sie machen, sie hatte keine anderen Vertrauten.
Es fing an zu regnen, zuerst ganz wenig, dann aber schüttete eine dicke Wolke direkt über den drei Eichen alles Wasser aus, das sie mit sich herumgetragen hatte.
„Igittigitt!“, schimpfte die Mittlere. „Früher, da war das Wetter besser. Es ist September und es schüttet in einer Tour, das ist furchtbar, ganz furchtbar!“
Die beiden anderen schwiegen. Regnete es, war es nicht richtig, schien die Sonne, war es zu heiß, wurde es neblig bekam sie Schnupfen, wenn die Blätter fielen wurde sie depressiv, schneite es, war es ihr zu kalt, kamen die neuen frischen Triebe, dann kitzelte es sie. Sie war einfach der unzufriedenste Baum, der jemals auf diesem Feld gestanden hat. Dabei war sie doch schon so alt und sollte gelernt haben, wie wichtig die Jahreszeiten sind und dass alles seinen Sinn hat.
„Dass hier aber immer nur noch Mais gepflanzt wird, das macht keinen Sinn!“, behauptete die unzufriedene Eiche, so als habe sie die Gedanken der anderen gehört.
„Ein bisschen stimme ich ihr zu“, sagte die Linke vorsichtig, weil sie weder mit der einen, noch mit der anderen in Streit geraten möchte. „Eine schöne Blumenwiese wäre herrlich, dann kämen auch unsere Freundinnen, die Bienen wieder in Scharen zu uns. Wisst ihr noch, wie schön das war? Damals gab es auch noch diesen herrlichen Apfelbaum hier in unserer Wiese.“
Gerade, als sie das sagte, schickte die Sonne ein paar Strahlen durch den Regenvorhang und wenige Momente später erstrahlte am Himmel ein göttlicher Regenbogen.
„Schaut nur, wie schön!“, riefen alle drei und lachten glücklich. „Die Sonne ist auf unserer Seite. Wie reich wir doch sind!“
Der Friede unter den Freundinnen war vorerst wieder hergestellt und als später am Abend die Eule geflogen kam und sich auf einer von ihnen niederließ, da mussten sie zugeben, dass sie ein gutes Leben hatten, Mais hin oder her.
„Im nächsten Jahr wird es hier eine Blumenwiese geben“, verkündete die Eule.
„Lügst du uns auch nicht an?“, frage die Mittlere, obwohl sie wusste, dass die weise Eule immer die Wahrheit sprach.
„Halt sofort den Mund und verärgere unsere liebe Eule nicht!“, riefen die beiden anderen.
Doch die Eule ließ sich gar nicht aus der Ruhe bringen. Sie hatte erfahren, dass die Menschen nach anderen Möglichkeiten suchten, als immer nur Mais anzubauen. Der Bauer hatte sich mit seiner Frau darüber unterhalten und es hatte sie so sehr gefreut, dass sie das unbedingt mit jemandem teilen musste.
„Dann müssen wir ja nicht mehr protestieren, ihr Lieben!“, rief die mittlere Eiche glücklich. „Es ist aber gut, dass wir mal drüber gesprochen haben, nicht wahr?“
Die Eule kicherte leise. Sie kannte die Drei schon lange und wusste, dass sie, obwohl sie einander äußerlich so ähnlich waren, ganz verschiedene Bäume waren. Das war nicht anders als bei den Menschen. Leider war es mit dem Vertragen aber bei den Bäumen wesentlich leichter als in der Menschenwelt. Da konnte einem das Kichern vergehen, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Heute freute sie sich an der guten Nachricht, die sie ihren Freundinnen überbringen konnte und was morgen sein würde, wer weiß das schon?
© Regina Meier zu Verl

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