Henny auf Reisen
So richtig schönen Schnee hatte es in diesem Jahr noch nicht gegeben. Nur ein paar Flocken, die, kaum auf dem Boden angekommen, schon wieder tauten, gab es. Aber das war’s auch schon.
Henny wünscht sich nichts mehr, als endlich den Schlitten aus dem Schuppen zu holen und die kleinen Hügel im Stadtpark hinunterzusausen. Doch bestimmt würde es auch dieses Jahr mit Schnee nichts werden. Henny kannte das schon. Eigentlich gab es nur in den Bergen so richtig schönen Schnee zum Schlittenfahren. In den Bergen und bei Oma in der Eifel. Da gab es Berge, aber um Schnee musste man auch dort bangen.
Mama hielt so gar nichts von Schnee.
„Ich mag dieses weiße Zeug nicht, es sei denn, es ist Sahne auf dem Kuchen!“, witzelte sie, aber das konnte Henny auch nicht aufheitern.
„Könnten wir nicht ein einziges Mal Winterurlaub machen? So wie meine Freundin Lisa? Die fährt jedes Jahr mit ihren Eltern zum Ski fahren in die Berge!“
Mama seufzte.
„Dafür waren wir in den Herbstferien an der Nordsee“, sagte sie und ein bisschen klang ihre Stimme genervt.
„Och! Das ist schon so lange her!“ Henny versuchte es mit einem gedehnten Schmollen, das, so wusste sie, Mama leicht auf die Palme brachte. Meist aber gab sie dann doch nach, um ihre Ruhe zu haben. „Können wir nicht doch?“
Mama regte sich aber dieses Mal nicht auf.
„Doch. Ich glaube, ein Winterurlaub in der Eifel wäre für dich gar nicht so schlecht, oder?“, fragte sie und betonte dieses „für dich“ ganz besonders.
Sollte das etwa heißen, dass Henny ganz allein zu Oma in die Eifel fahren durfte? Vor Aufregung bekam sie einen Schluckauf. „Ich? Hicks, allein?“, fragte sie. Mama lachte. „Immer langsam, junge Dame, Zuerst muss ich mit Oma reden und mit Papa!“, sagte Mama.
„Jajaja! Gleich bitte!“ Vor Aufregung trippelte Henny vor Mama auf und ab.
„Ruf sie bitte gleich an. Hurra! Und dann fahre ich ganz allein mit dem Zug und nehme den Schlitten mit, die Skier und natürlich Ingeborg und Evelyn und Orinocco, ja, der muss auch mit. Und …“
„Halt, halt!“ Mama musste lachen. „Wie willst du das alles tragen und wozu um Himmels willen brauchst du deine Puppen und den Zottelbären beim Schlittenfahren?“
„Das ist doch klar, Mama! Es macht allein nicht so viel Spaß wie mit Freunden. Das sagst du doch auch immer!“ Für Henny war es selbstverständlich, dass die Freunde sie begleiten würden!
Mama seufzte.
„Dein Schneeanzug muss auch noch in den Koffer, die Stiefel und die Skischuhe, ach, und deine Jeans, Pullis, Shirts und die Wäsche. Wie soll das gehen?“
„Und meine Bücher, meine neue Kamera, das Handy und mein Tagebuch“, ergänzte Henny.
„Wir sollten einen Bus mieten!“, lachte Papa, der gerade hereingekommen war.
„Wieso Bus? Fahre ich denn nicht mit dem Zug zu Oma?“, fragte Henny, die für ihr Leben gern Zug fuhr.
„Allein?“ Mama verdrehte die Augen und Henny ergänzte verärgert: „…dafür bist du noch viel zu klein!“
Und beinahe hätte es nun sogar Streit gegeben.
„Okay!“, sagte Papa gerade noch im rechten Moment. „Du packst deine Sachen, Henny, und dann schauen wir, wie du mit all den Gepäckstücken zurechtkommst. Und dann reden wir weiter.“
„Und ich“, ergänzte Mama, „werde bei Oma anrufen. Wer weiß, ob sie überhaupt Zeit für dich hat.“
Oma hatte Zeit. Sie freute sich auf Hennys Besuch und einige Dinge erledigten sich gleich von selbst, denn einen Schlitten und Ski brauchte sie nicht mitbringen, das war alles bei Oma vorhanden. So fanden alle Freunde und genügend Wäsche Platz im Koffer. Die Bücher blieben allerdings zu Hause, denn davon hatte Oma genügend zur Auswahl.
Mama suchte einen Zug aus, der direkt zum Bahnhof fuhr, an dem Oma Henny in Empfang nehmen konnte und außerdem: So klein war sie ja auch nicht mehr, die Henny, immerhin schon zehn Jahre alt! Den Koffer schickten sie voraus, so dass Henny nur ein kleines Handgepäck mitnehmen musste. Darin war jede Menge Proviant und der Bär Orinocco, aber der blieb drin, bis sie bei Oma ankam. Hätte ja sein können, dass sonst einer gedacht hätte, Henny sei noch ein kleines Kind, nicht wahr?
© Regina Meier zu Verl