Überredet
Irgendwie schaut mein Frauchen heute etwas traurig aus der Wäsche. Was ist nur mit ihr los? Sie macht auch keine Anstalten, mich endlich für den Spaziergang anzuleinen. Das ist seltsam. Sonst sind wir um diese Zeit längst unterwegs. Ich müsste auch mal dringend pieseln.
Sie sitzt da auf ihrem Sessel und macht nichts, sie liest nicht, sie strickt nicht, sie telefoniert nicht. Ungewöhnlich ist das und so langsam mache ich mir echt Sorgen.
Da, jetzt legt sie schon wieder die Hände auf ihren Bauch und stöhnt. Ob sie Bauchschmerzen hat, so wie ich neulich?
Ich lege ihr meinen Kopf aufs Knie und versuche sie zu hypnotisieren. Gequält lächelt sie mich an und krault mich ein wenig hinter den Ohren. Das tut gut, aber es reicht nicht. Ich will raus! Jetzt!
Wäre ich noch etwas beweglicher, dann würde ich ihr auf den Schoß springen. Aber das kann ich nicht mehr, es ist schon blöd genug, dass ich nicht einmal mehr aufs Sofa kann. Dort war es immer so schön gemütlich, besonders dann, wenn Frauchen und ich gemeinsam dort lagen.
Wir sind zwei alte Damen, mein Frauchen und ich. Aber ich finde, dass wir beide noch ganz passabel aussehen und im Großen und Ganzen sind wir auch gesund, meist jedenfalls.
Ob ich einfach mal meine Leine holen sollte?
Doch, die hängt an der Garderobe und ich komme nicht dran. Ob es hilft, wenn ich sie anbelle, die Leine? Einen Versuch ist es wert. Also dann!
„Was machst du denn für ein Getöse, Emmi?“, fragt Frauchen. Endlich steht sie auf, seufzt, zieht ihre Schuhe an und die dicke Jacke. Dann befestigt sie die Leine an meinem Halsband und dann habe ich erreicht, was ich wollte. Es geht raus an die frische Luft. Das tut uns beiden gut. Frauchens Wangen röten sich sogar ein wenig.
„Hast recht gehabt, Emmi, nach draußen zu gehen war die beste Idee des Morgens. Schau mal, wie herrlich die Sonne scheint!“
Nach dreimaligem Pieseln und einmal „Ihr wisst schon was“, gehen wir noch ein Stückchen weiter. Hach, wie gut, dass ich mich durchgesetzt habe. Frauchen kann froh sein, dass sie mich hat!
„Wie froh ich bin, dass ich dich habe“, sagt Frauchen in diesem Moment. „Ohne dich hätte ich mich heute nicht aufraffen können!“
„Sag ich doch!“, denke ich und springe an ihr hoch. Wir tun uns gut, wir beide, echt!
© Regina Meier zu Verl
