Opa nun wieder

Opa nun wieder

„Die große Uhr am Kirchturm schlug zwölf Mal, als die Pferdekutsche vor dem Wirtshaus vorfuhr. Der Kutscher sprang vom Bock und beeilte sich, zu den Pferden zu kommen, als sich Eingangstür öffnete und ein kleiner, hässlicher Mann mit nur einem Zahn auf der Bildfläche erschien!“
„Bernhard, du sollst doch dem Jungen keine Gruselgeschichten erzählen!“, schimpfte Oma und drohte warnend mit dem Zeigefinger.
„Und der kleine dicke Mann schimpfte und drohte mit dem Zeigefinger!“, fuhr Opa fort.
„Wie Oma“, freute sich Robin und Opa nickte. „Genau so!“ Opa grinste und fuhr fort:
„Du sollst doch nicht hier vorfahren, wenn die Turmuhr zwölf Mal schlägt. Das birgt Gefahr. Große Ge…“
„Bernhard!!!“, rief Oma. „Schweig still jetzt!“
„Aber warum denn, Oma? Es ist doch gerade so spannend!“ Robin wollte unbedingt wissen, wie es weiterging. Opa wartete einen Moment, dann erzählte er weiter.
„Weißt du, vor kleinen dicken und zudem noch hässlichen Männern mit nur einem Zahn, die mit dem Zeigefinger drohen wie Oma musst du dich sehr in Acht nehmen. Ich habe es selbst einmal erlebt, damals war ich ungefähr so alt wie du jetzt, dass ich beinahe mein Leben gelassen hätte!“
„Bernhard!“, Oma schrie es jetzt. „Hör sofort mit diesem Blödsinn auf!“
„Zu spät, Elisabeth“, sagte Opa. „Die Geschichte hält mich gefangen. Meine Freiheit erhalte ich erst wieder zurück, wenn ich sie zu Ende erzählt habe. Bis zum bitteren Ende.“
„Wer sagt das?“ Omas Stimme war nun leise geworden. Gefährlich leise. „Du willst mich wohl auf den Arm nehmen?“
„Aber nein, wo denkst du hin!“ Opa machte ein so unschuldiges Gesicht, dass Oma schon wieder ein wenig lächeln konnte. „Du kennst mich doch, Elisabeth!“
„Eben, deshalb!“, sagte Oma und machte keine Anstalten, den Raum zu verlassen. Sie würde das Erzählen überwachen und notfalls wieder eingreifen.
„Erzählst du jetzt weiter, Opa? Haben dich die kleinen, dicken Männer verhauen oder gefesselt oder mit dem Messer …?“
„Robin!“, schrie Oma. „Sei wenigstens du still! Und Schluss damit jetzt!“
„Schlimmer!“, sagte Opa da aber schon. „Viel schlimmer. Es waren meine Lehrer und die …“
„Hatten eine Kutsche? So alt bist du doch noch gar nicht, Opa, dass die Lehrer mit der Kutsche kamen und dann die Kinder gequält haben, stimmt‘s?“ Robin ließ nicht locker, er wollte nun wissen, was passiert war Ein bisschen zweifelte er ja daran, dass Opa die Wahrheit erzählte.
„Welche Kutsche?“ Opa schien mittlerweile auch zu zweifeln. Wie aus einem tiefen Schlaf erwachend riss er erschreckt die Augen auf und schüttelte den Kopf. „Was wollte ich gerade erzählen?“
„Nichts“, sagte Oma schnell.
Die beiden sahen sich an, grinsten und brachen in ein lautes Gelächter aus.
Was für eine blöde Geschichte! Robin wollte schmollen, dann aber musste er auch lachen. Opa nun wieder!

© Regina Meier zu Verl

Photo by Maryia Plashchynskaya on Pexels.com

4 Kommentare zu „Opa nun wieder

  1. Ja, was wären wir ohne unsere Opas?
    Opas kennen viele Geschichten, kurze, lange!
    Vor allem sind diese Geschichten spannend und immer wahr.

    Meinen Kindern und auch meinen Enkelkindern habe ich nur wahre Geschichten erzählt!
    Mein Ehrenwort.

    Christoph

    Gefällt 1 Person

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