Fritzchen erzählt – Gedanken eines Kanarienvogels

Wir hatten zu Hause immer einen Kanarienvogel, sein Name war Hansi und er gehörte zur Familie. Später: Wir Kinder waren schon alle ausgezogen und hatten eigene Familien, da zog wieder ein Vogel bei Mama ein, ein zitronengelber Kanarienvogel, Hansi.

Natürlich habe ich an ihn gedacht, als ich die nachfolgende Geschichte geschrieben habe. Trotzdem heißt er hier Fritzchen, denn die Story ist erfunden. Doch, wie das in jeder kleinen Geschichte ist, steckt auch hier ein Fünkchen Wahrheit drin.

Fritzchen erzählt – Gedanken eines Kanarienvogels

Sie ist einsam, ich weiß es. Gestern Abend hat sie wieder geweint. Ich werde ganz traurig, wenn ich ihre Tränen sehe. Ich bin ein Mann und sie ist eine Frau. Ich möchte ihr eine Freude machen und singe für sie. Meine schönsten Koloraturen lasse ich erklingen. Das kann ich. Mehr kann ich nicht für sie tun. Bin ja selbst einsam und singe gegen die Traurigkeit an. Früher hat sie auch gesungen, mit ihrer Geige. Manchmal haben wir dann einen richtigen Wettbewerb veranstaltet. Oft habe ich gewonnen und sie hat ihre Geige in den Kasten mit dem roten Samtbezug zurückgelegt. Ein anderes Mal hat sie mich einfach ausgesperrt.
„Du kannst mich ganz schön aus dem Konzept bringen!“, hat sie dann lachend gerufen und mich samt Käfig auf den Balkon verfrachtet, nicht ohne mir vorher ein leckeres Salatblatt zwischen die Stäbe zu schieben. Ich glaube, dass alle Kanarienvögel das frische Grün lieben. Bei dem Gedanken daran bekomme ich Lust darauf. Ich setze noch einmal zu einer neuen Arie an, lege meinen Herzschmerz in das Lied. Einsame Frau, ich liehihibe dich sohoho!
Sie kommt aus der Küche, dann ist ihr Gesicht ganz nah bei mir. Vorsichtig klemmt sie ein kleines Apfelstück zwischen das Gitter.
„Mein Kleiner, was wäre ich nur ohne deinen Gesang“, flüstert sie. Obwohl mir das Wasser im Schnabel zusammenläuft, lasse ich es mir nicht nehmen, noch eine kurze Zugabe zu singen. Sie lächelt, endlich lächelt sie. Dann kann ich mich ja beruhigt über den Apfel hermachen.

© Regina Meier zu Verl

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Bildquelle Widerstroem/pixabay

 

2 Kommentare zu „Fritzchen erzählt – Gedanken eines Kanarienvogels

  1. Liebe Regina
    Als ich die rührende Geschichte vom sangesfreudigen Fritzchen las, erinnerten mich die Zeilen spontan an ein vor Jahren von mir verfasstes Gedichtchen, welches ich dir hier gerne anfügen möchte:

    DS HÜNDLI

    Nach em Tod vom Walter
    het me d Lisa sälte gseh….
    Si mög allwäg nümme meh
    u gspür halt o ds Alter

    Gloffen isch si schitter
    mängisch sogar am ne Stock
    meischtens im ne graue Rock
    verchummeret u bitter

    Chürzlech ha se troffe
    u se schier nümm umegchennt…
    Voruus isch es Hündli grennt
    si isch graduuf gloffe

    Dank däm junge Hündli
    füelt si sech jitz nümm alei
    treit o Röck, wo Tüpfli hei
    u gniesst jedes Stündli

    mc

    Was vermögen doch Tiere uns Menschen immer wieder aufzuheitern! Sie sind Balsam für die Seele und ersetzen sehr oft Medikamente.

    Mit lieben Frühlingsgrüssen
    Marianne

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    1. Liebe Marianne,
      danke für das wunderbare Gedicht! Ich stimme dir in allem zu, Tiere sind uns Menschen gute (vielleicht die besten) Freunde. Ich kann mir gut vorstellen, dass so manches Medikament durch die Liebe eines Tieres ersetzt werden könnte.
      Liebe Grüße an dich
      Regina

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